Stunden der Andacht. -------------------- Ein Gebet: und Erbauungsbuch für e Israels frauen und Jungfrauen, zur öffentlichen und häuslichen Andacht, so wie für alle Verhältnisse des weiblichen Lebens. Von Fanny Neuda, geb. Schmiedl. „Ich denke: Beten stebt bei mir. cthöcea und Gen-iIhcea in bei Höchsten Hand.” (Ps. 77, 11.) Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. Prag. Eigenthum und Verlag von Wolf Pafcheles. Leipzig bei C- L. Ftitsche. Frankfurt a/M. bei J. Kaufmann. Hamburg bei M. W. Kaufmann. Breslau bei M. Monasch. 1858. „Das Gebet liegt in unserer Natur. Es ist der Seufzer einer gefangen„ Seele, es ist der Borgefchmack ihrer Befreiung, es ist das Borgefühl der Ewigkeit” „Der Mensch betet, auf welcher Stufe der Sättigung er auch stehen nmg.” Das Buch der Erziehung. Ihrer Hochgeboren der edlen großherzigen Frau Baronin Louise von Rothschild Gemahlin des edlen Barons Herrn M. Carl von Rothschild in Frankfurt am Main in tiefster Ehrfurcht gewidmet von der Verfasserin und dem Berleger. Inhalt. Seite Vorwort .................................... IX Vorwort des Verlegers .................................... XI Veim Eintrittin das Gotteshaus ......................................... 1 Am Morgen .......................................... 2 do. No. II. .......................................... 4 Am Abend .......................................... 5 do. No. II. .......................................... 7 Der Schlaf (Eine Betrachtung).......................................... 9 Am Sonntag .......................................... 9 Am Montag .......................................... 11 Am Dienstag ............................................ 12 Am Mittwoch .......................................... 13 Am Donnerstag ......................................... 14 Am Freitag .......................................... 15 Beim Eingange des Sabbath nach dem Lichtzünden 17 Am Sabbath .......................................... 18 Beim Ausheben der Thora am Sabbath 20 Beim Ausheben ver Thon: am Neujahr- und Versöhnungstage .. 21 Beim Ausdehnt der Thore” an den übrigen drei Festen . . . . . . .. 21 Gebetfür den Landesfürsten .......................................... 22 Betrachtung, wenn der Neumond eingesegnet wird 24 Am Neumonde .......................................... 20 An denersten Tagen des Pessachfestes .......................................... 27 Nach dem Priestersegen .......................................... 28 An den leßten Tagen des Pessachfestes .......................................... 30 VI Seite Gebet am Wochenfeste Z! Am Zerstörungstage Jerusalems, den 9. Aw (תשעת בעב) 36 An einem allgemeinen Fasttage 38 Jm Monate 39 Vor dem Eintritt des neuen Jahres, zum Jahresschluß ערב רה֕ 40 Am Morgendes neuen ............................ 42 Beim Schofarblafen...................................... 43 Betrachtung am Neujahrs- und Versöhnunguage . . . . . . . . . . 45 Während der Bußtage ............................ 47 Am Tage vor dem neuen Jahre oder dem Versöhnungstage, wenn man die Gräber besucht ............................ 49 Am Vorabend des Bersöhnungstages (כל נדרי) 50‏ Am Morgen des Bersöhnungstages......................... 51 Zu Mnsfafdes Versöhnungstages 56 Zug des Oberpriesters nach und aus dem Tempel............. 57 Seelengebet ............................ 60 Zu Mincha des Versöhnungstages 61 Zum Schlusse des Versöhnungstages נעילה 63 An den ersten Tagen des Laubhüttenfestes 64 An den letzten Tagen des Laubhüttenfestes................... 66 Am Thora-Freudenfest (שמחת תורה) 67 Am Lichtfeste (חנוכה) 68 AmFest derLoose(פורים) 70 Gebet eines jungen Mädchens ............................ 71 Gebet einer Waife.....,................................. 72 Gebet einer Braut....................................... 74 Gebet einer Braut am Hochzeitstage........................ 75 Gebet einer Mutter am Hochzeitstage ihrer Tochter 77 Gebet einer Mutter am Hochzeitstage ihres Sohnes 78 Gebet einer Frau, diesich Mutterfühit ............................ 79 Vor der Entbindung...................................... 81 Nach derselben ............................81 Gebet einer Mutter, deren Kind zur Beschneidung getragen wird 82 VII Seite Gebet einer Mutter, deren weiblichem Kinde der Name gegeben wird 83 Gebet einer Wöchnerin, wenn sie zum erstenmal wieder das Got- teshaus besucht 84 Jn kinderloser Ehe....................................... 85 Gebet einer Mutter um das Wohlgerathen ihrer Kinder ............................ 87 Gebet einer Mutter bei der Confirmation ihrer Kinder בר מצוה 88 Gebet einer Mutter, deren Kind in der Fremde ist ............................ 90 Gebet einer Mutter, deren Sohn in Militairdiensten ist ............................ 91 Gebet einerun glücklichen Ehegattin ............................ 92 Gebet einer Frau, deren Mann auf Reisen ist ............................94 Für den kranken Gatten.................................. 95 Eine Mutter für das kranke Kind.......................... 97 Eine Mutter für ihr erwachsenes krankes Kind 98 Gebet für Eltern ............................ 99 Für Pflegeeltern.........................................100 Bei Erkrankung des Vaters ............................101 Bei Erkrankung der Mutter ............................ 102 Eine Wittwe, die unmündige Kinder hat ............................ 102 Eine Mutter, deren Kinder sie ernähren..................... 104 Um Lebensunierhalt......................................105 Im Wohlstand............................106 Gebet einer Unbemittelten.................................107 Gebet einer Dienenden ............................ 109 Gebet um Geduld und Kräftigung-im Leiden 110 Gebet inschwerer Krankheit............................... 112 Gebet nach der Genesung ............................ 114 Gebet einer kränkelnden Person ............................ 116 Gebet aus einem Kurplahe................................118 Gebet im höheren Alter ............................ 119 Gebet aus der Reise...................................... 121 Gebet nach überstandener Gefahr........................... 122 Gebet während einer Seefahrt ............................ 123 Gebet währeud eines Seesturmes ............................ 124 VIII Seite Gebet nach znrückgelegter Seereise ............................ 125 Gebet während der Dürre und Regennoth ............................ 126 Gebet am Sterbetagder Eltern............................127 Gebet am Grabe des Vaters 128 Gebet am Grabe ver Mutter.............................. 129 Gebetam Grabe des Gatten ............................130 Gebet einer Mutter am Grabe ihres Kindes ............................ 132 Aufb dem Grabe eines Verwandten.......................... 133 Am Laubhüttensest beim Kreisgang mit dem Lulaw und Essrog 134 Gebet am Reujabrs- und Betsbhnungsfeste und vor Alesa . . . . . 135 Challa-Gebet חלה ............................ 136 Hagbaha ............................ 137 Eine Legende ............................ 139 Dankfür vie Genesung ............................ 141 Ein Wort an die edlen Mütter und Frauen in Israel ............................ 143 Vorwort. Vorliegende Gebete sind ursprünglich nicht für die Veröffentlichung verfaßt worden. — In meinem von den mannigfachsten Ereignissen reich durchwirkten Leben ward es mir gar oft zum unentbehrlichen, måchtigen Bedürfn1sse, mit dem erhabenen Weltgeist, der so hoch thront und so tief niederschaut, Zwiesprache zu pflegen, um bei ihm die Einsicht und die Kraft zu sinden, auf dem Pfad meiner oft gar schwere Opfer heifchenden Pfl1chten nicht zu wan- ten und nicht zu weichen. Derart entstanden die meisten - der vorliegenden Gebete. In ihnen fand ich den Moses- Stab, der aus dem dürren Fels eines traurigen Geschickes den Born erhebender Gefühle und himmlischer Tröstungden mir hervorrief, die Jakobsleiter, auf der die Engel er Geduld, der Hoffnung und der Gottergebenheit mir vom Himmel niederstie en. Ich ward sgchon früher von mehreren kompetenten Seiten aufgefordert, diese Gebete der Oeffentlichkeit zu übergeben; aber es widerstrebte mir stets, die Gefühle und Gedanken, die in meinen einsamsten und heiliFgsten Stun- Ren! mein Herz bewegten, vor die riehtende ritik hinzu- stellen. Doch jetzt drängt mich mein eigenes Herz aus beson- deren Rücksichten hierzu. Jch möchte nämlich den Manen meines theuern, mir unver eßlichen Gatten Abraham Neuda, der als Rabbiner zu LoFchitz in Mähren nach schwerem Krankenlager in der Mitte seines an edlen und gegegneten Thaten so reichen Lebens, in seinem 42. Lebens;a re, am 22. Februar 1854, durch den Tod mir Jgenommen ward, durch die Herausgabe dieser Blätter ein enkmal lieben- der Erinnerung nach meinen schwachen Kräften setzen. Die x meisten dieser Gebete sind ohnehin Herzenseågüsse, die sich an Ereignisse knüpfen, welche ich an feiner eite, mit ihm und durch ihn erlebt habe. Möge seine verklärte Seele im Jenseits darin jene Treue und Liebe erkennen, womit ich sein Leben hienieden zu beglückten strebte. Wir besitzen bereits woh manche vorzügliche Schriften dieser Art, Andachtsbücher für Frauen, männlicher Feder entflossen, und die meinigen dürften wohl schwerlich der nüchternen Prüfung ebenso Stand halten, als jene. Doch der Probirstein für den Werth derartigder Arbeiten ist wohl der: welche Gefühle sie in der Seele es Betenden erregen und zurücklassen. Jch weiß, daß den Meinigen Vieles zu ihrer Vollendung abgeht; jedoch hoffe ich, daß sie als das Ergebniß eines weiblichen Herzens um so eher im Her- zen der Frauen ihr Echo finden dürften. Ein Mann, wenn er noch so Lgelehrt und groß sein mag, kann sich doch nicht in alle a en und Verhältnisse der Frauen ver- setzen, kann doch nicZt so leicht in die verborgensten Win- dungen des weiblichen Gemüthes dringen, um auf die Töne seiner zartesten Saiten zu lauschen und ihnen dann durch das lebendige Wort einen Ausdruck zu sehen: während die Frau nur in ihr eigenes Herz zu bli en braucht, um in den Her en ihrer Schwestern zu lesen, nur ihre eigenen Erlebnisse sich verge enwärtigt, um all deren Leiden und Freuden mit zu empsinden. So mögen denn Sie, meine freundlichen Leserinnen, dieses Buch wohlwollend und nachsichtig aufnehmen, und möge Gott, der Allweise, es se neu mit der Kraft, in den Herzen der Betenden die Gefühle der Andacht zu wecken, ihnen Trost zu spenden, wenn sie des Troftes bedürfen, und Erhebung und Ausdauer in allen Perioden und Er- eignissen ihres Lebens. Loschitz, den 21. Elul 5614. Die Versasserin. Vorwort des Verkegers. Seit einer Reihe von Jahren erschienen in meinem Verlage sowohl Gebet- als Lehrbücher für Israeliten, welche nicht nur beim geehrten Publikum freundliche Aufnahme fanden, wie es wiederholte starke Auflagen beweisen, sondern auch von den größten Gelehrten und den geachtetsten Blät- tern und in neuester Zeit auch manche von dem hohen k. k. Unterrichtsministerium zu Wien empfohlen wurden. Im Jahre 1846 habe ich ein Gebetbuch für israelitische Frauenzimmer, verfaßt von dem rühmlichst bekannten Ge- lehrten Dr. El. -1'etteri-ei, in Verlag genommen,*) das für immer mein Eigenthum bleibt, wovon ich bereits fünf Auf- lagen veranstaltete. In meinem unablässigen Bestreben, dem geehrten Publikum stets Zeitgemäßes und Ausgezeichnetes U bie- ten, gebe ich wieder ein Gebetbuch heraus, das ho?fentlich als etwas Neues und Gelungenes anerkannt werden wird. Es ist das erste Mal, daß eine hoclå3ebildete Frau als „ Verfasserin eines Andachtsbuches für ochen-, Fest- und Fasttage in allen Verhältnissen des weiblichen Lebens auf- tritt. Ihr Werk hat schon im Manuscripte die beifälligste Beurtheilung der angesehensten Gelehrten gefunden, we1che es mit dem Bemerken empfohlen, daß ein so vollständiges Gebetbuch für öffentliche und häusliche Andacht, so glück- lich ausgeführt, noch nicht erschienen, daß dessen gemüth- liche, eist und Herz ansprechende Gebete, so wie die *) Siebe die Besprechungen des Dr. Julius Fürst „Sabbathblatt”, des Dr. Jellinek „Allg. Zeitung des Judenthums” des Dr. Philippsohn. XII religiösen Betrachtungen über sich selbst, über Gott und die Ewigkeit, die es bringt, unübertrefflich seien. Die Verfasserm dieses Andachtsbuches hat den Beweis geliefert, daß eine Frau die beste Dolmetscherin des weiblichen Her- zens ist, daß eigene reiche Erfahrung, Selbstempfundenes, die ganze weibliche Eigenthümlichkeit dau gehören, das weibliche Herz zu verstehen und seinen Frommen Bedürf- nissen ganz zu genü en. Die andächtigen Herzenser ießun- gen dieses GebetburFes tragen das Gepräge der Urä)rün - ichkeit, He sind in den Lagen niedergeschrieben, für weliFe sie bezei net sind; sie lehren, wie man bei freudigen, wie bei trüben Erlebnissen zu dem allmächtigen Schöpfer des Weltalls, dem Lenker des Schicksals, dem allgütigen An- ordner unseres Wohles emporzublicken und auf ihn zu ver- trauen habe; sie flößen Trost und Muth, Hoffnung und Ausdauer ein; sie lehren die wechselvollen Geschicke und Begebenheiten des weiblichen Lebens mit Geduld und Wurde zu ertragen, und die wahre Bestimmung dieses Lebens zu erkennen und zu erfüllen; sie beweisen ferner- daß keine Stunde im Le en heilsamer ist, als die stille Ruhestunde der Andacht, wo im treuen Nachhalle des be- wegten Herzens wahre Worte den Lippen entströmen, um sie treu und wahr dem heiligen, liebenden Allvater im Himmel anzuvertrauen. Aber auch noch einem längst ge- fühlten Bedurfnisse hat die begabte Verfasserin dieses höchst gelungenen Werkes damit abgeholfen, daß sie demselben einen Anhang über Hauspäda ogik der Mütter und Frauen hinzufügte, der seiner NützliclFkeit und Trefflichkeit wegen gewiß allgemein willkommen sein wird. Da dieses einzig in seiner Art dastehende Andachtsbuch in der neuen Auf1age auch eine prachtvolle typographische Ausstattnng erhalten hat, so erscheint es auch als eines der schönsten Geschenke für Jsraels Frauen und Mädchen. Daß diese zweite Auflage eben so freundliche Aufnahme sinde, ist der sehnlichste Wunsch des Verlegers Prag, Im Monat EIUI 5617. Wolf Pascheles. 1 Gebet beim Eintritt in das Gotteshaus. „Eine feste Burg ist unser Herr, Dorthin flüchtet sich der Fromm, und geschüht ist er.” (Sp. 18, 10.) Sei mir gegrüßt, du heiliges, stilles Hans, du freundlicher Tempel des Herrn! Seid mir gesegnet, ihr geweihten Hallen! Hier wohnt und thront der Herr unter uns, hier strahlet mir ent- gegen die Glorie des Allmächtigen, umschwebet mich seine Weihe, seine Heiligkeit! Niedergebeugt und gedrückt von den Kümmernissen des Lebens bettete ich diese Schwelle, und siehe, ein höherer Geist ziehet in mein Herz ein, es schwindet die Sorge, und die Beklom- menheit meiner Seele weicht dem inbrünstigen, thränenreichen Ge- bete, das meinen Lippen entströmt. .,Ja hier ist eine Stätte Gottes, und hier eine Pforte, die zum Himmel führt” Ueberall bist du, mein Gott, mir nahe, doch hier am nächsten! Hier fühle ich mich geborgen und gesichert unter deinem Schutze, mein himmlischer Vater! Hier fühle ich mich geschirmt vor des Lebens Anfeindungen und Versuchungen , hier bringt meine Seele dir ihre Opfer, weihet ihr Leben dir, ihrem Hort und Schöpfer, offenbart dir alle ihre tiefsten Wünsche, ihre verborgensten, geheim- sten Regungen. Draußen im Gewirr und Gewühle der Welt, da steht das Leben mit all seinen Lockungen und Verführnngen, mit all seinen Hemmnissen und Beschwernissen, gleich einer Scheidewand zwischen meinem Herzen und dir, meinem Gotte, aber mit dem Eintritte in diese stillen, einsamen, heiligen Rüume fällt die Scheidewand, stürzt die Schranke zusammen, und meine Seele erhebt steh zu dir voll Jnnigleit und Jnbrunst, voll von den heiligen Schauern der 2 Andacht. Jch fühle mich reiner und besser, denn die Tugend und die Religion erscheinen mir hier in ihrer hehren, himmlischen Ge- stalt, in ihrer ewigen, unvergänglichen Majestö.t. Es erweitert sich mein Herz, es wird hell in meinem Innern, es heiligen sich alle meine Gedanken und Gefühle, es fliehen die sündigen Nei- gungen, und machen Platz den Trieben zum Guten, Edlen und Hohen. O, daß diese Gefühle, dieser lichtvolle Ausblick zu dir, mein Schöpfer, nimmer in mir sich trüben. und die Weihe und Heiligung, die hier in mein Herz"sich ergießt, auch auf mein Leben in der Außenwelt sich erstrecken möge, daß diese Stunde mir werde eine Stunde der Segnung und Begnadigung, eine Stunde der Erhörung und Gewährung, vor dir, Gnadenvoller, Allerbarmer! Amen. Am Morgen. I. „Herr! Früh weilest du mich hören, Früh wende ich mich zu dir und harre.” (Ps. 5, 4.) Allmächtiger, du führest herauf den hcllen Morgen an die Stelle der dunklen Nacht, und Alles, was da ist, freuet sich des strahlenden Morgenlichtes, freuet sich des wiedererweckten Lebens. Die ganze Natur wird ein großer Gottestempel, der von feier- lichen Hhmnen, von lobpreisenden Hallelujahs wiedertönt, die dir, erhabener Weltenschöpfer! alles Geschaffene entgegenbringt. In den Tiefen rauschen Ströme dir ihr Lied, und von den Bergen steiget Dampf auf zu dir, als Weihrauch von riesigen Altären. — Auch ich, die Einzelne in diesem großen All, falte dankend meine Hände, und mein inbrünstiges Gebet steigt, als„ meine kindliche Opfergabe, mit auf zu deinem erhabenen Weltenthrone! Als ich gefesselt im bewußtlosen Schlummer lag, finstere und bange Nacht um mich her, da warst du mein Hüter und Beschützer; dein Vaterauge sah voll Fürsorge auf mich herab, und deine Va- terhand war schirmend über mein Haupt gebreitet, um jegliche Noth und Gefahr von mir abzuwenden, und die Süßigkeit des friedlichen Schlafes mich ungestört genießen zu lassen. Und nun, da ich durch die nächtliche Ruhe neugestärkt und erquickt bin, da hast du mein Auge wieder befreit von des Schlummers Banden, 3 daß es der.verjüngten Schönheit der Natur sich erschließe, und mich erweckt zu frischer Thätigkeit und Arbeit, zu neuer Lebensluft und Liebe. Mein Gott! es ist mein fester Wille, diesen Tag in nützlicher . Geschäftigkeit zuzubringen. Alle meine Pflichten und Aufgaben will ich still, anspruchslos” und in regem Eifer erfüllen, nichts vernachlässigen, und in Allem den Geist der Ordnung walten lassen. Doch mein Gott, wie schwankend ist des Menschen Wille, und wie fruchtlos ist sein Thun und Schaffen, so du nicht deinen Segen darauf ruhen lässest! Drum flehe ich in Inbrunst zu dir, Allmächtiger: Laß wohlgelingen, was ich in Demuth und im Vertrauen auf dich beginne, daß meine Thätigkeit und mein Fleiß den Wohlstand und die Ehre meines Hauses mehre, mein Wirken und Walten ein heilsames sei, und stets das Nützliche und Wohl- thuende für meine Lieben zu Tage fördere. Lege deinen Segen auf das Geschäft und den Beruf meines Gatten, daß seine Pläne und Entwürfe stets weise und glücklich, und seine Unternehmungen frucht- und gewinnbringend seien. Begnadige uns Alle mit deinem besten Gottessegen: einer festen Gesundheit, einem heitern Sinne und einem genügfamen Herzen, daß wir mit frohem Muth und voller Kraft unser Tagewerk vollbringen. Gib, o Gott, daß ich den Tag rein und sündenfrei verlebe, nie vergesse, daß es die Be- stimmung jedes Tages ist, uns besser und volIkomumer zu machen, und uns auf jenen großen Tag vorzubereiten, wo du uns in das Reich des höhern Lebens einberufst — damit nicht der Erwerb und der Gewinn irdischer Güter ganz und gar unser Sinnen und Denken gefangen nehme. Laß, Allgütiger, stets Friede und Eintracht in meinem Hause herrschen. Erleuchte meinen Geist, daß ich es verstehe, mir die Liebe und die Achtung meiner Angehörigen zu erwerben, und wenn mir was Liebloses begegnen sollte, mit Gleichmuth und Geduld es aufzunehmen, und dem bittern Worte stets ein sanftes Schwei- gen entgegen zu setzen. Bewahre mich, daß ich in den Stunden der Freude und des Genusses, mich niemals dem Uebermuth und der Versündigung hingebe, und lehre n1ich, o Gott, in den Stun- den des Schmerzes deinen Willen ergebungsvoll tragen, und deine Huld in jedem Verhältnisse erkennen. Segne mir diesen Tag, daß er einer der guten, einer der nützlichen, einer der glücklichen werde, heilbringend für mein ganzes Leben. Amen. 4 II. „Mit jedem Morgen neu Jst Vater deine Treu.” (Klagel. Jerem. Z, 23.) Mein Schöpfer und Erhalter! Abermals ist ein Tag ange- brochen, von neuem durchdringt der freundliche Morgenstrahl die Welt, und neu belebt vom wohlthätigen Schlummer stehe ich hier vor dir, mein Gott, und weiß nicht, wofür ich zuerst dir danken, um was zuerst dich anflehen soll. Dieses Weltall, so strahlend von Weisheit, Allmacht und Güte, ein Werk deiner unermeßlichen Vaterhuld und Liebe, hast du zum Wohnsitz für den bevorzugten Sohn der Schöpfung, für den Menschen hervorgerufen, und alle Schätze und Kräfte der Na- tur ihm dienstbar gemacht. Aus Staub hast du seinen Leib ge- bildet, der Scholle ihn entnommen, auf daß er die Vergänglichkeit und Nichtigkeit seines irdischen Wesens erkenne, und sich beeile, die Aufgabe und Bestimmung seines Lebens zu erfüllen; daß er das Gute, das er heute thun kann, nicht auf morgen verschiebe, damit ihn nicht, bevor er sein Werk vollendet, die letzte Stunde ereile. — Seinem Leibe hast du den Odem des Lebens eingehaucht, ihn mit einem Funken deines göttlichen Geistes begabt, damit er durch ihn deine Allmacht erkenne, durch ihn sich angefeuert fühle dir nachzustreben, und zu werden dein Ebenbild an Güte und Milde, an Langmuth und Verföhnlichkeit. Der Erdensohn jedoch, wie oft vergißt er die hohe, weise vüterliche Bestimmung, zu der du ihn berufen hast, vergißt in sei- nem Uebermuthe oder in seinem Leichtsinne über die Schöpfung den Schöpfer, über die Gaben den Gebet. Er berauscht sich in den Vergnügungen des Lebens, und verabsäumt über die Erde den Himmel, über das Empfangen das Spenden, über das Wohlleben das Wohlthun, über den Genuß die Thätig- keit, verschließt sein Jnneres den Anforderungen des Rechts und der Menschlichkeit, und verschließt sein Ohr dem Nothschrei seines Nächsten, dem Hilferuf seines Bruders! Mein Gott und Herr, mögest du mich bewahren, daß mein Leben nimmer eine solche verfehlte Richtung annehme, daß mein Herz nicht so sehr am Jrdischen und Weltlichen hange, um darüber die höhere Weihe des Daseins zu vergessen und aufzugeben. Mö- 5 gest du meinen Geist in dem Lichte deiner Weisheit erstarken lassen, daß ich alle Pflichten als Tochter, als Gattin, Mutter, Hausfrau und Mensch mit freudigem Herzen erfülle, und keine davon verab- säume und vernachlässige, daß ich liebend und ergeben das Schick- sal meines Gatten theile, und in guten, wie in bösen Tagen der Schutzengel seines Lebens, sein Trost und seine Freude werde, daß ich meinem Hause vorstehe mit frommem, verständigem Sinne, und meine Kinder erziehe mit weiser Sorgfalt zu guten, gottgefälligen Menschen, zu treuen, thätigen und gerechten Mitgliedern des Va- terlandes. Mögest du mein Herz erwärmen und durchglühen mit Liebe und Erbarmen gegen meinen Nächsten, daß es mir zur Wonne werde seinen Kummer zu mildern und seine Schmerzen zu heilen, so oft und so viel ich vermag. Mögest du, mein Gott, mich und die Meinen, meinen Gat- ten und meine Kinder theilnehmen lassen an den reichen Spenden deiner Huld, daß wir stets die Befriedigung alles dessen finden, was der Körper zu seiner Nahrung und Kräftigung, was die Seele zu ihrer Erhebung und Erheiterung und das Herz zu seiner Erquickung und Labung bedarf. Mögest du uns das Brod, das wir essen, und"das Gewand, darin wir uns kleiden, in Ehre ge- winnen lassen, frei von drückenden Sorgen und Schmerzen, geseg- net von einer festen, dauernden Gesundheit, daß wir niemals ab- hangen mögen von den Wohlthaten und der Gunst der Menschen, sondern jegliches empfangen aus deiner milden Baterhand, die da stets offen ist, zu sättigen Alles, was da lebt, in Gnade und Erbarmen. Amen. Abendgebet. I. „Des Tages befiehlt der Herr seine Gnade über mich- Und Nachts ist noch sein Lied bei mir. -— Ein Gebet zu Gott ist — mein Leben.” (Ps. 42, 9.) Allvaterl Abermals ist ein Tag dahingegangen, und die Nacht hat ihren dunklen Mantel über die Erde ausgebreitet. Die Natur scheint zu ruhen, und der Menschenfohn folgt ihrem Bei- spiel und überläßt sich dem wohlthätigen Schlafe. Abs! bevor 6 ich mein Auge zum Schlummer schließe, will ich es zuerst noch dankend zu dir, mein Schöpfer, erheben, bevor ich mein Denken und Fühlen dem Schlafe gefangen gebe, soll der Gedanke an dich noch mein Herz beschäftigen. Und wie wohl thut es meiner Seele, an dich zu denken, All- gütiger, der du so gnadenvoll, so mild, so väterlich uns hegst und trägst. „Wie süß ist es, dir zu danken und deinen Namen, der so groß ist und so herrlich, in Lob und Preis aus- zusprechen.” Wie mannigfache Wohlthaten habe ich schon heute von dir empfangen, mit wie vielen Gaben und Segnungen hast du mich erfreuet. Des Himmels Licht hast du mir leuchten, an der Erde Pracht mein Auge sich ergötzen lassen; deine Milde hat mich gesättigt, deine himmlische Huld mit den Fittigen der Liebe mich gedeckt, und deine Gnadenhand. mich gehalten und emporge- tragen über so mancherlei Uebel und Gefahren, die unsichtbar mich umfchwebten. Aller Frohmuth, den ich empfunden, kam von dir, und in trüben Schmerzensstunden hast du mein müdes Haupt an dein treues Vaterherz gelegt, und mich mit deinem Himmelstrost gestärkt. Drum danket meine Seele dir, mein Mund preiset dich, mein Herz hanget an dir in Liebe und Zuversicht, du Unerforschlicher in den Höhen, der du stets gibst, und nie empfängst, Segen spen- dest, und keines Segens bedarfst, der du selber bist der unversieg- bare Quell und Born alles Guten und Segenreichen! Ja du, mein Gott, bist voll unbegrenzter Huld und Liebe, doch ich — mit Angst und Zagen frage ich mich: Habe ich auch durch mein Wirken und Schaffen am heutigen Tage deiner Liebe mich würdig gezeigt? habe ich diesen Tag auch so verlebt, wie ich ihn hätte verleben sollen? —— Habe ich alle meine Gelübde und Pflichten gegen Gott und meinen Nächsten erfüllt? -— Habe ich das Gute, das sich mir zu thun dargeboten, nicht verabfäumt, oder es nur halb gethan, mit lauem Sinn, mit kaltem, unfreundlichem Her- zen? — Habe ich Gott in allen seinen Wegen und Schickungen verehrt, auf ihn meine Hoffnung, in ihn meine Zuversicht gesetzt? — Habe ich allen Versuchungen zur Thorheit und Sünde wider- standen? Mit Schmerz und Reue muß ich es bekennen, Gott, ich habe vor dir gesündiget! Nicht immer habe ich dich im Herzen getra- gen, nicht immer bin ich auf dem Wege geblieben, den du in Huld und Gnade uns vorgezeichnet, nicht immer hat der Gedanke an 7 dich meine Gefühle geheiligt, meine Leidenschaften gesänftigt! — Wie fühle ich mich nun niedergebeugt von den Vorwürfen meines Gewissens! Ach, wie hassenswerth ist doch die Sünde, wie ent- würdigt und entadelt sie uns, und raubt uns des Lebens schönstes Gut: den Frieden und die Ruhe unsrer Seele. O, erbarme dich meiner, du gütiger Vater in der Höhe, der du so unendlich reich bist an Liebe und Erbarmen. Vergib mir, wo ich in meiner Sündhaftigkeit mich vergangen, und entziehe mir nicht deine Vaterhuld und Liebe. Nimm von mir die Bangigkeit und Beklommenheit der Seele, und las; deinen Himmelsfrieden sich auf mein Gemüthåenken, daß ich mit versöhntem Herzen, ver- söhnt mit dir, mein ott, und mit meinem Gewissen, der Wohl- that des Schlafes mich erfreuen könne. Mögest du, Gnadenvoller, deine Liebe über mich wachen lassen, mich bewahren und behüten vor den Scbrecknissen und Ge- fahren, die im Finstern schleichen. Laß den Schlaf, den du auf Erden gesandt, zum Trost aller Bedrängten, zur Linderung aller Schmerzen und Sorgen, auch auf mich und meine Angehörigen seinen wunderthätigen Balsam ausgießen. Birg uns im Schat- ten deiner Flügel, so find wir geborgen immerdar, denn du, Gott, bist mein Banner, und eine sichere Zu- flucht mir, mein Schutz, mein Fels, mein Hort. In deine Hand befehle ich meinen Geist und meinen Leib, meinen Frieden und mein Glück, befehle ich Alles, was mir lieb und theuer ist im Leben. Ob ich schlafe, ob ich wache, Gott mit mir, ich fürchte Nichts. Amen. Abendgebet. II. „Rubig lege ich mich nieder, Schlase und erwache wieder, Denn mich hält der Herr.” (Ps. 3, 6.) Es lagern sich die Abendschatten über die Erde. Und wie erquickend ist ihre Frische und Kühle nach einer heiterm Tages- glnth; wie wohl thut die Abend-Ruhe und Stille nach der Werk- thätigkeit und dem Geräusche des Tages, die friedvolle”Dämmek rung nach des Tages blendendem Glanze! Der nächtliche Him- 8 me! bevölkert sich mit Sternen, jenen leuchtenden, strahlenden Wesen, die so mild und beschwichtigend, als wären sie Gottes vermittelnde, friedenbringende Boten, auf uns niederschauen, und unsere Blicke von dein Jrdischen ab- und zu dem Himmlischen hinauflenken. Feierlicher Ernst erfüllet unsere Seele, und von tieferen heiligen Empfindungen durchströmt, erhebt sich unser Herz zu dir, Unsichtbarer, Unbegreiflirher, der du überall uns umgibst und gegenwärtig bist, im tiefsten Dunkel der Nächte, wie inmitten des Tages Licht und Helle. Jch hebe meine Hände zu dir empor, mein Gott, und danke dir aus tiefer Seele für Alles, womit deine Vatevhuld mich heute hat bedacht, für jede Segnung, mit der du mich begnadigt, für jede Freude, mit der du mein Leben geschmückt. Und auch für das Traurige und Betrübende, das du aus meinen Weg gelegt, will ich dich preisen; denn Alles, was du thust, ist wohlgethan! Du hast diesen Tag geschaffen, mit Allem, was er enthalten, du führst nun auch die Nacht herauf mit ihrer ftärkenden Ruhe, mit ihrem erquickenden Schlafe, und über dem Schlafe wachest du, der du nimmer schläfst und schlummerst. Dein allsehendes Auge ruht auf den in Ohnmacht und Bewußtlosigkeit geschlossenen Lidern; deine schirmende Hand streckest du aus über das Lager des Schlummernden zum Schutze gegen die Gefahren, die im Dunkeln lauern! — Wie wohl thut mir der Gedanke: Du Gott bist mir nahe, du schirmest, du wahrest und hütest mich! Ohne Zittern und Zagen gehe meine Seele zur Ruhe, der Herr ist bei dir, was könntest du fürchten! Stärket euch, ihr ermatteten Glieder, erhebe dich, mein erschöpfter Geist, wirf von dir, mein Herz, deine Kümmernisse und Sorgen, deine Lasten und Beschwer- nisse, und gib dich ganz und ungetheilt hin den Süßigkeiten der Ruhe. Doch nur einem reinen Gewissen ist der Schlaf sanft und er- quickend; drum, Vater, bevor ich mein Lager suche, flehe ich voll Demuth und Inbrunst dich an. Vergib und verzeihe mir, wenn ich heute vor dir gefehlt, und mein Thau und Lassen dir mißfällig war. Blicke versöhnt auf meine Reue nieder, entziehe mir niht deinen Schutz, und laß mich einer ungestörten, ungetrübten Ruhe genießen, und des Morgens wieder neu belebt und gekri;iftigt er- wachen, zu nützlicher Thütigkeit, und zu frommem Wi en und Schaffen, nach deinem Wohlgefallen. Amen. 9 Der Schlaf. Eine Betrachtung. III. „Ich liege ich fchlafe —; ich erwache, denn mich siüst der Ewige” (Ps. 3, 6.) Schlas— friedlich sanster Engel, den Gott in das Thränen- thal der Erde herabgesandt, um mit seinen weichen Fittigen das Leid des Lebens zuzudecken, senke dich ruhebringend auf meine Augenlider, — tritt ein in die Hütten, wo das Elend wohnt, und umspiele mit süßen Träumen die Lagerstätte des Unglüeklichen, daß er seine Sorgen ver-gesse und seiner Kümmernisse nicht mehr gedenke. Bringe Genesung den Kranken, daß sie gestärkt und srischbelebt erwachen, und von neuer Jugendkraft ihre matten Glieder durchströmt fühlen — und allen denen, die um einen ge- liebten Hingeschiedenen weinen, zeige du, daß auch der Tod nur ein friedlicher Schlaf sei, auf den ein herrliches Erwachten folget, ein seliges Auferstehen in den Gefilden des Lichts, wo keine Nacht mehr ist, und kein Grauen der Nacht, sondern himmlische, unaus- sprechliche Seligkeit in Gottes Nähe. Wohl sinnig und bedeutungsreich ist die Sage, daß des Nachts die Seele ihren müden Leib, ihre zeitliche Staubhülle, verläßt, um in das große Himmelsbuch die während des Tages verübten Thaten einzuzeichnen. — Und wenn dann einstens am Tage des Gerichts Gott den Menschen vor seinen Richterstuhl ruft, dann zeigt er ihm die eigene Handschrift hin, um der ver- übten Tbaten ihn zu überweisen. O, meine Seele, mögest du nur edle Gedanken und segensreiche Handlungen einzuzeichnen haben in dieses Buch des ewigen Gedenkens! — Amen. Am Sonntag. „Gott spricht: Es werde Licht!” (l.B.Mose 1, 3.) Herr und Schöpfer der Welt! Eine neue Woche hat be- gonnen! Ihr erster Tag rufet mir vor die Seele jenen großen 10 ersten Tag der Weltschöpfung, da Alles war wüst und öde, und unendliche Finsterniß ruhete über dem schauervollen Abgrund des Nichts” Da sprachst du -— und aus dem Schooße grauenhaften Dunkels rang, sich hervor das freudvolle, strahlende Licht; dieses erste Bedingnis; alles Lebens und Seins. Und Tag für Tag er- tönte von neuem dein allmächtiges „Werde” durch die Räume der Schöpfung, und immer weiter dehnte sich der Kreis des Geschaffe- nen, und immer neue Wesen, neue Gebilde traten ans Licht des Daseins, bis sie endlich da stand die Welt in ihrer Vollendung, ein Abdruck deiner erhabenen Herrlichkeit und Majestät, ein Wie- derschein und Strahl deiner allumfassenden Weisheit und Güte, und ein Tag himmlischer Ruhe die schöpfungsreiche Woche schloß, der von dir gesegnet wurde und geheiligt zur Ruhe und Feier für alle Zeiten. Mein Gott, wohl nicht zu viel und zu schwer war es deiner Allmacht, die ganze Schöpfnng an einem Tage, durch einen einzi- gen Ruf, einen einzigen Hauch erstehen zu lassen, allein du wolltest uns die große Lehre geben, daß jeder Tag der Woche dem Schafsen und Wirken bestimmt sei, darum der Mensch keinen Tag dahin gehen lassen dürfe in trägem, nutzlosem Müßiggange, und der Tag, den wir nicht durch Thätigkeit und Betriebsamkeit bezeichnen, ein verlorner für uns sei, ausgestrichen aus dem Buche unseres Lebens. Gib, o Gott, daß es mir gelinge, dieser Bestimmung getreu zu leben und alle meine Tage durch eine weise Thätigkeit auszu- füllen. Mögest du, du Gott der Stärke, mir beistehen mit deiner Hilfe, mögest du, du Quell aller Weisheit, mich erleuchten durch Verstand und Einsicht, daß ich stets bei meinem Thun und Lassen einen heilsamen, würdigen Zweck vor Augen habe, und immer das rechte Mittel zu dessen Erreichung sinde. Berleihe, o Gott, mei- nein Körper Gesundheit und Kraft, meinem Gemüthe Geduld und Ausdauer für all die Aufgaben und Anforderungen meines Stan- des und Berufes, daß ich niemals ermüde und ermatte in dem, was Pflicht und Gewissen von mir fordern. Laß leuchten meinem Geiste das Licht der Erkenniniß und des Glaubens, daß er nimmer von dem düstern Schleier der Sünde verhüllt und umdunkelt werde, und daß die Jrrlichter der Leidenschaften meine Vernunft niemals irre führen; und wenn ich einst am Schlusse meiner Lebenswoche an der Pforte stehe, die einführt zur ewigen Ruhe, und den Blick zurückwende auf mein vollbrachtet? Schassen und 11 Wirken, daß mir dann das freudige Bewußtsein werde, „daß A”llcs gut fei,” würdig meiner menschlichen Bestimmung, wür- dig deines göttlichen Wohlgefallens. Amen. Am Montag. „Und Gott sprach: Uebers Weltgetü1nniel, Dehne sich ein Hünmel!” (1. B. M. l, 6.) Jch schaue hinauf, mein Gott und Herr, zu dem schönen, wundervollen Himmel, den du über die Erde gewölbt, aus dessen heiterer Blaue du uns so freundlich anblickft, aus dessen umwölk- ten Höhen, Allvater, du zu uns redeft, in der ernsten furchtbaren Sprache des Donners und des Blitzes, ich schaue hinauf, und mein Blick hanget mit Ehrfurcht an diesen Höhen, die du so reich mit Wundern haft gefchmückt und ausgestattet. Ach, wie arm wären wir, so du in deiner Huld uns diesen Anblick nicht gewährt hättest. Was wäre uns die Erde, wie traurig, wie öde, wie freudlos, so wir den Himmel nicht über uns hätten! Unsere schönsten Hoffnungen tragen wir in den Himmel hinein, dorthin sehnt sieh unser Geist, dorthin richtet sich unser Blick in Freud und Leid, in guten, wie in bösen Tagen, und es kehrt Friede und Stärkung in unser Herz ein. Ja, hoch in dem Himmel ist dein Thron, in den fernen Weltenhöhen ist dein Sitz, doch nicht Leim bist du, o Gott, dem Erdenkinde; dein Recht und deine ilde, die walten bis an der Welten Ende, und das geringste deiner Geschöpfe trägst du an deinem Vaterherzen, leitest du an deiner treuen Vaterhand. Erhalte mir, Allvater, stets ein offenes Auge für die Wun- derwerke deiner Schöpfung, und einen offenen Sinn, um dich, den weisen, allmächtigen, allliebenden Schöpfer und Vater des Alls zu erkennen: ein offenes Herz, daß darin einziehe die allumfassende . Liebe: die Liebe zu dir, mein Gott, und die Liebe zu deinen Ge- schöpfen; daß darin heimisch werde der Muth und die Kraft, die Willenskraft und die Ausdauer zu üben das Gute, zu vollführen das Heil- und Segensvolle für mich, für meine Angehörigen und meinen Nächsten. Erhalte mir den Himmel des Lebens rein und 12 ungetrübt von Gram und Schmerz; erleuchte ihn mir durch das segensvolle Licht deiner Huld und Gnade, die du nimmer ver- sagen und entziehen wollest mir und den Meinigen und der ganzen großen Menschenwelt. Amen. Am Dienstag. „Gott sprach: „Ein Meer von Blumen, Blüthen, Sprossen, „Sei übers Erden-Antlitz ausgegosfen!” (1.B. M 1, 11.) Ewiger Gott und Vater! Tiefe unnennbare Rührung er- greift mein Gemüth, wenn sich mein Blick in deine reiche, gesegnete Schöpfung verliert. Wie vieles Schöne, Herrliche, Wundervolle tritt uns darin entgegen, in dem all deine Huld und Treue, all deine unbegrenzte Vaterliebe so sichtbar sich au spricht. Was könnte nur immer das verlangende Menschenherz sich wünschen, das deine reiche und schöne Schöpfung ihm nicht in Hülle und Fülle darbietet! Was den Körper nährt und kräftigt, was das Herz erquickt und erfreuet, was den Geist adelt und erhebt, hast du für ihn hervorgerufen. Du ließest an die Erde dein göttliches Wort ergehen — da fprießte der Boden hervor die unzähligen — Keime und Sprossen, das wogende Korn, den fruchttragenden Baum, die farbensehimmernden Blumen, die heilbringenden Kräu- ter; da bildete sich der sprudelnde Quell , der brausende Strom, das weite, unübersehbare Meer. Wenn mein Herz an alles dieses denkt, dann zieht Hoffnung und Vertrauen in mein Gemüth ein; der Gott, der diese Welt zur .Heimath des Menschenkindes so wundervolI hat ausgestattet, zur Sättigung seines Hungers, wie zur Erquickung seiner Augen, wie zur Erfrischung und Belebung seines Geistes: dieser liebevolle Gott sollte nicht auch immer noch voll vorsorgender Vaterliebe aus seine Menschenkinder niederblicken, jedes Unheil von ihnen ab- wenden, die Bäume des Glücks für sie erblühen, die Blumen der Freude für sie sprossen lassen, und seinen Engeln besehlen, daß sie uns aus ihren Händen tragen? — Der Gott, der dem Meere seine Gesetze angewiesen, daß es das trockene Land nicht über-schwemme, der befiehlt auch meinen Thränen, die der Schmerz erpreßte, daß sie 13 trocknen von meinen Wangen, damit die Rosen der Freude wieder darauf sichtbar werden. Du Erhalter der Keime und Saaten, die du am dritten Schöpfungstage ins Sein gerufen, erhalte auch in mir die Keime und Saaten solcher hoffnungsreichen Gedanken, daß die Stürme und Sonnengluthen der Zeit ihnen nichts anhaben mögen, son- dern daß sie im Boden meines Herzens feste Wurzel fassen, und segensreiche Früchte tragen, daran die Welt sich erfreue, und du, mein Gott, Gefallen findest. Amen. Am Mittwoch. „Jn des Himmels blauer Ferne Strahl” Sonne, Mond und Sterne!” (1. B. M. 1, 14.) Der du thronest im ewigen Lichte, dich preiset meine Zunge, zu dir erhebt sich mein Herz in Demuth und Vertrauen. Das Auge sieht dich nicht, der Verstand erfaßt dich nicht, aber das Herz ahnet dich, und die Seele erkennet dich im hellen Licht und Spie- gel deiner Wunder, die täglich neu an ihr vorüberziehen. Am vier- ten Schöpfungstage hat deine schaffende Allmacht sich geosfenbart im Strahlenglanz der Himmelslichter, die auf dein Wort und Ge- heiß hoch im Raume ihren Gang angetreten. Du sprachst: „Es werde Licht!” glänzendes, erquickendes Licht im weiten Reiche der Schöpsung, und aussiammte die Sonne am Himmelszelte, Alles überströmend, Alles durchdringend mit ihrem Lichte und ihrer Glut. Herauf zog der Mond am abendlichen Himmel, still und mild, der Gefährte der Leidenden, deren Lager der Schlummer flieht, der Tröster der Betrübten, die der schweigenden Nacht ihren Gram anvertrauen und es erglänzte das ungezählte Heer der Sterne, die mit freundlichem, strahlendem Auge — als wäre es das Auge der wachenden Vorsehung ——— aus uns hernieder- blicken und uns die Seele erheben. Gott, mein Gott, wir groß, wie voll unendlicher Huld Und Liebe bist du, daß du so viel Licht und Glanz über die Schöpfung hast ausgebreitet. Es füllet sich mein Herz mit Anbetung und Verehrung, es steigert sich mein Muth und mein Vertrauen m den trüben und düstern Tagen des Lebens. Du hast den Himmels- 14 lichtern ihre Bahn vorgezeichnet, daß sie zur rechten Zeit auf und nieder gehen; du führest herauf nach jedem Tag den stillen Abend, um Ruhe und Schlun1mer zu geben der milden Erde, und lässest einen frischen Morgen anbrechen nach jeder Nacht, um neu zu be- leben und zu erwecken, Alles was schlummert und ruhet. — Du wirst auch zur rechten Zeit dein tröstend Himmelslicht uns senden, wenn die Nacht des Elends und des Mißgeschickes unser Dasein verfinstert; du wirst die Sonne deiner göttlichen Gnade und Huld uns leuchten lassen, wenn Kümmernisse und Sorgen unser Leben umwblken; du wirst den Abendschatten über uns heraufführen, wenn des Schicksals heiße Gluthen uns zu verzehren drohen. Und so will ich denn mit diesem frohen Vertrauen zu dir, Allvater, mein Tagewerk beginnen, das du segnen mögest aus der Fülle deiner Gnade, daß es mir und den Meinigen zum Heile ge- reiche. Amen. Am Donnerstag. „Gott wie viel sind deine Werke, Du hast sie alle in Weisheit geschaffen.” (Ps. 104, 24.) Wie groß sind deine Werke, Herr. Ein Tag verkündet dem andern deine Wunder, ein Tag erzählt dem andern deine Huld und Liebe für deine Geschöpse. Am fünften Tage der Woche hat dein Schöpsungswille alles Lebensbegabte auf Erden ins Dasein gerufen. Wie viel, wie zahllos find deine Geschöpfe, die diesen Erdball bewohnen, wie verschieden ihr Wesen, ihre Gestalt, ihre Triebe und Bedürfnisse — und über alle wachet dein Vaterauge, und für alle sorget deine Vaterhuld. Was in den Wüsten und Einöden lebt, oder in den üppigen, fruchtreichen Thülern sich aufhält, was hoch in den Lüften seinen Flug hat, und was tief im Meeresboden sich bewegt, sie Alle sind von dir bedacht und versorgt. Sie rufen dich an in der Sprache ihrer Noth, und du erhörest sie, und gibst einem Jeden nach seinem Bedarf. Wie sollte dein Auge nicht auch auf mich ruhen, der du mich so sehr begabt und ausgestattet hast mit den Zeichen deiner Huld und Liebe. Drum will ich denn froh und freudig dich preisen, mein Gott, mit vollem, freudigem Herzen die Pflichten erfüllen, die mein Be- ruf und meine Stellung in der großen Wesenkette mir auferlegen, 15 und mich niemals hingeben den niederbeugenden, entmuthigenden Sorgen über des Lebens Bedürsnisse und Entbehrnisse. Der du das Leben gibst, wirst auch des Lebens Bedarf und Unter-halt ge- ben; der du dem Thiere des Feldes sein Brod gibst, den jungen Raben, wornach sie schreien: du wirst auch mich nicht ausschließen sz von den Gaben und Spenden deiner milden Hand. Um eines nur, bete ich zu dir, Allvater: Verleihe mir Einsicht und Ver- stand, daß ich deine Gaben mit weisem Herzen genieße und deine Segnungen niemals mißbrauche. Erleuchte mich, daß ich stets meines Vorzuges über das Thier mir bewußt, meiner höhern Be- stimmung würdig lebe, daß ich nicht anheimfalle den thierischen Gelüsten, nicht untergehe und versinke in den Schlamm der Sünde, sondern immer besser und vollkommener werde, immer würdiger deines Wohlgefallens, und immer höher mich erhebe zu dir, der du den Menschen geschaffen hast zu einem heiligen Leben aus Er- den und zu einem seligen Fortdauern im Jenseits. Amen. Am Freitag. Und Gott sprach: „Wir wolleu einen Menschen machen in unserm Ebenbilde in Aehnlichkeit mit uns.” (1. B. M. 1, 26.) Groß bist du, o Gott, in deinen sichtbaren Wundern und Werken; und größer noch in deinem unsichtbaren Wirken und Walten. In den sechs Schöpsungstagen hat dein allmächtiges Wort diese große, herrliche Welt ins Dasein gerufen, die Erde, und was sie süllet, die Thiere und die Pflanzen, den erquickenden Thau und den leuchtenden Sonnenstrahl. Und als sie dastand, die Welt in ihrer Herrlichkeit, führtest du ihr den Menschen zu, auf daß er erkenne all die Herrlichkeiten, daß er genieße all das Geschasfene und dich preise, der du so gütig und so huldvoll bist. Allgütiger, Welten preisen dich, Engelschöre lobsingen dir, und wie sollte nicht erst der Mensch, der Sohn der Erde, dich an- beten und preisen, den du also bedacht, also vüterlich begabt hast, und gesegnet, geehrt und verherrlicht. Ja, mein Gott, ich will dich anbeten, dich preisen durch ein Leben voll Tugend, voll Heiligkeit und Reinheit, voll Gottesfurcht 16 und Menschenliebe, und mich niemals der Sünde, der Undankbar- keit gegen deine Güte hingeben. Du hast, o Gott, in deinem Ebenbilde den Menschen ge- schaffen und gebildet. Einen Körper hast du ihm gegeben, so kunstreich, so edel an Form und Gestalt, und einen Geist, noch edler, noch erhabener, ein Funke deiner Weisheit, ein Abglanz dei- ner Liebe, und sie beide verbunden zu einem herrlichen, wunder- baren Ganzen. Und dies Meisterwerk der Schöpfung sollte ich in mir verunstalten, zerstören durch Sünde und Laster, sollte meinen Körper entstellen durch Unmäßigkeit und Unsittlichkeit, ihn seiner Anmuth berauben durch gemeine Lüste, durch ungezügelte Begier- den, durch Bosheit, Haß, Neid und Scheelsucht! — Und sollte dem Geiste seinen Adel nehmen durch gemeines Sinnen und Trach- ten, durch unheiliges, thierisches Streben und Treiben! — Nein, nein, ich will sorgfältig auf mich achten, will mein Gemüth ver- edeln durch Wohlthun, will meinen Geist erheben durch deine Lehre und dein göttliches Gesetz, will meinen Körper, diese zarte Hülle der Seele, vor jedem fchädlichen Einfluß behüten, vor Allem, was seine Gesundheit erschüttern, die Regsamkeit seiner Kräfte schwächen könnte: denn er ist ein Gebilde deiner Hände, das Mittel und Werkzeug unserer Wirksamkeit auf Erden! — Mögest nur du mir beistehen, mein Gott und Herr, und mich stärken in meinem Streben, mögest du mich bewahren, Allbarm- herziger, vor jeder Versuchung, daß nicht Mangel und Noth, Kummer und Sorge mich bewältigen, daß nicht körperliche Leiden und Drangsale das Licht meines Geistes trüben, daß nicht Seelen- kummer und Pein meinen Körper schwächen und zerstören vor der Zeit, damit ich stets aufwärts strebe, und dir die Kraft des Geistes, und die Gluth des Herzens zum Opfer bringe, bis einst nach dei- nem unerforschlichen Rathfchlusse Körper und Geist sich trennen, und die Seele sich encporfchwingt, um wieder zu sein bei dir, AU- erhabener, der du bist und bleibst von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. 17 Beim Eingange des Sabbath nach dem Lirhtzünden. {rem he} בָּרוּךְ אַתָּה יְיָ אֱלֹהֵינוּ מֶלֶךְ הָעוֹלָם אֲשֶׁר קִדְּשָׁנוּ בְּמִצְוֹתָיו וְצִוָנוּ לְהַדְלִיק נֵר שֶׁל שַׁבָּת.‏ (An Feiertagen {he נר של יום טוב} und {he ברכת שהחינו}) Sei gelobt und gevriesen, Ewiger, uns durch deine Gebote haft gehei- ligt und uns geboten, die Satsbath- lichter zu zündet! (die Festlichter zu zünden). „Mit dem Licht” verehret den Herrn” (Jes. 24, 15.) Allmächtiger! mit freudigen Gefühlen zünde ich, nach deinem Willen und Geheiß, die Lichter, zum Schmuck und zur Verherr- lichung der sabbathlichen Stunden, die du geweiht und geheiligt. Wie süß, wie köstlich sind sie diese Stunden, die deine Gnade uns gegeben hat! Wie wohl thut unserm Herzen die sabbathliche Ruhe und Stille, wo der Körper sich erholt von den Mühen und Anstrengungen der Woche, der Geist sich erhebt in heiligen Be- trachtungen, wo das Herz dich sucht, mein Gott, und dich findet im inbrünstigen Gebet, im gläubigen Anhören deines Wortes, in der ungestörten Bewunderung deiner Güte und Liebe. Viel sind der Sorgen und Kümmernisse der Werktage, viel der Kämpfe bringt das Leben doch mit der Sabbathstunde kehrt Ruhe und Friede ein in unser Herz. Es weicht von uns das unruhige Verlangen, das ausregende Streben und Ringen nach den irdischen Gaben und Gütern, eine süße Ruhe lagert sich auf unser Gemüth, und das Herz öffnet sich stillen, freundlichen, wohlthuenden Ge- fühlen. Allgütiger! Wie können wir dir genug danken für all deine Huld und Güte! Die ganze Woche hindurch hast du mit deinem Schutze und deiner Gnade uns umgeben; mit Leben und Gesund- heit, Nahrung und Kleidung, Licht und Wärme hat deine Vater- hand uns gesegnet; tausend Freuden hast du uns bereitet, die un- serm Herzen wohlgethan, oft, ohne daß es uns selber recht bewußt ward! Tag für Tag fiel das Manna deines göttlichen Scgens für uns herab, und am Ende der Woche, ooll so mannigfacher Segnungen, gibst du uns erst deine reihte Himmelsgabe, den Sabbathtag. Der Sabbath ist der Wochen Krone und - Zier! Er adelt unser Streben, er weihet unsern Genuß, gießet mildes Himmelslicht auf die Dunkelheit unserer Erdenbahn, und 18 führt uns zu dir zurück, wenn uns das Streben der Woche von dir entfernt. Wir blicken zu dir auf, mein Gott, mit gläubigem Vertrauen in Deniuth und Liebe, und mit jedem Ausblick zu dir, mit jedem Gedanken an dich fällt ein Schleier von unsern Augen, lichter und immer lichter wird es in unserer Seele, und wir ahnen eine bessere Zukunft, einen höheren Sabbath in deiner Nähe, wo angeleuchtet von deines Thrones Glanz und Strahl der müde Erdenpilger eingeht zur ewigen Ruhe, und die Pforten deines Evens sich öffnen für die Frommen und Gerechten, die ihre Bahn hier vollbracht, ihre Lebensaufgabe vollendet haben. Und je her ber hier die Mühe war, desto köstlicher dort die Frucht; je fleißiger hier der Arbeiter, desto reicher dort der Lohn. — So mögest du mir denn, mein Gott, diese heiligen Stunden segnen, daß sie ihre erhebeüde uüd beseligende Kraft an mir be- währen, dasz sie bringen Erholung und Stärkung meinem Körper, Einsicht und Erleuchtung meinem Geiste, daß es mir immer mehr gelinge, dich mein Gott zu erkennen, dir ähnlich zu leben, und da- durch deines Wohlgefallens und deiner Liebe stets würdiger zu wer- den. Verleihe mir und den Meinigen deinen allmächtigen Schutz, schirine uns vor jedem Unfall und jedem Unheil, hilf uns jede Bersuchung, jeden Reiz zur Sünde überwinden, und lasse leuchten das Licht der Freude in unserm Herzen, das Licht des Friedens und der Liebe in unsern Häufern. Amen. Am Sabbath. „Utiendlich ist des Sabbaths Segen, Wenn wir nur seinen Ruf versteh'u, Nicht trage: Ruhe nur zu szflegen- Zur Heiligung ist er auscrseh’n” (Salomon.) Mein Gott und Vater! mein Schöpfer und Erhalter! In fechs Tagen hat dein göttlich Wort aus dem Nichts hervorgerufen diese große schöne Welt, und auf den siebenten hast du gelegt deinen Segen und deine Weihe, und ihn gemacht zum Ruhetag für den Menschen. Da feiern denn alle Gewerbe, alle Geschäste sind beseitigt, und das Lärinen der Werkstätte schiveiget in den 19 Gassen, unsere Häuser sind freundlicher geschmückt, unsere Herzen heiterer gestimmt, über Alles ist ausgegossen ein höherer festlicher Glanz. „Es ist Sabbath dem Ewigen zu ehren.” Doch nicht die eitle, nichtige, werthlose Ruhe des Müßigganges, wobei der Geist verfällt, und sinnliche Gelüste sich unserer bemächtigen, ist des Sabbaths Zweck und Ziel: sondern bloß die Ruhe des Kör- pers, damit desto bcsser die Seele ihre Thätigkeit entfalte; die Ruhe des äußern Menschen, damit desto lebhafter der innere Mensch hervortrete und unser besseres Selbst zur Herrschaft und Geltung gelange. Am Sabbath sollen wir den Dienst der Welt verlassen, um uns dem heiligen Dienste Gottes zu weihen, wir sollen niederlegen die Arbeit für unser irdisch Theil, um-unserem geistigen, ewigen Heile ganz und ungetheilt zu leben, damit wir nicht untergehen im Strom des weltlichen Treibens, damit unser sittlicher Werth, die höheren Regungen des Herzens uns nicht im Gewühle des Lebens verloren gehen, damit nicht die lärmenden s Stimmen von Außen die heiligen, göttlichen Stimmen in uns übertönen und zum Schweigen bringen. So will ich denn auch, mein Gott und Herr, deinem Gebote folgend, an diesem heiligen Tage mich frommen Beschäftigungen hingeben. Ich will an deinem Gottesworte mein Herz erheben, will vor allem in dem Buche der Bücher, in deiner heiligen Thora lesen, von deinen Wundern und deiner Allmacht, von deiner Weis- heit und deiner Huld und Barmherzigkeit, damit ich dich immer inniger erkennen, immer demuthsvoller verehren lerne, damit ich immer mit kindlicher Hingebung dir nachgehe, und dich immer liebe mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzem Vermögen. Ich will die sabbathlichen Stunden dazu verwenden, um das Herz meiner Kinder zu bilden, die Lehren der Tugend und Gottesfurcht in ihre Seele zu prägen, und den Geist der Liebe, des Gottver- trauens und der Gottergebenheit in meiner Umgebung herrschend zu machen nach meinen Kräften. Doch nicht nur auf die Glieder meines Hauses, auch auf den weiten Kreis meiner Nebenmenschen will ich meine Gedanken richten, will aussuchen unter ihnen den Dürftigen und den Leidenden, dem ich vielleicht mit Rath oder That beistehen kann! So will ich diesen Tag feiern, und „des Sabbaths gedenken, um ihn zu heiligen” ist Wahrheit und Wahrhaftigkeit! Stärke nur immer, o Gott, meinen Willen dazu, gib mir Weisheit, Kraft und Ausdauer, diesen Willen zu verwirklichen, und gib, daß die sabbathlichen Gefühle, die heute 20 mich beseelen, mich begleiten mögen in das Leben der Woche, da- mit ich auch mitten im Geräusche der Arbeitstage den Adel der Sabbathweihe in der Seele trage, daß mein Herz stets reiner, mein Geist stets vollkommener werde, bis er einst verklärt und vollendet eingehet, zu feiern jene große Sabbathruhe im Jenseits. Amen. Beim Ausheben der Thon am Sabbath. „Dies ist das himmlische Panier- Um das wir n1nthig stritten- Und tausend Tode baden wir Um dies Panier gelitten.” (Riesser.) Gepriesen sei der Name dessen, der seinem Volke Jsrael die Thora gegeben in seiner Heiligkeit! Gepriesen sei der Name des Weltenherrn, gepriesen die Krone deiner Herrlichkeit, die Stätte, an der du thronest! Möge deine Gnade walten über dein Volk Israel in Ewig- keit, daß deine rettende Hand sichtbar werde an deinem Volke und in deinem Heiligthume; daß dein himmlisch Licht in seiner Klarheit uns zuströme, und unser Gebet Erbarmen finde, und in Gnaden aufgenommen werde. Da stehe ich vor dir mein Gott, bereit und willig zu deinem Dienste, und beuge das Knie vor dir und deiner heiligen Thon, heute und immer. Nicht auf Menschen stütze ich mich, nicht auf die, die sich für Götter halten, vertraue ich und verlaß ich mich, auf Gott vertraue ich, auf Gott im Himmel. Du bist Gott in Wahrheit, deine Thora Wahrheit, deine Propheten Wahrheit. Du bist es, der wohl thut und Wunder wirkt in Wahrheit. Auf dich stütze ich mich und vertraue ich, deinen heiligen Namen lob- preise und verehre ich mit Herz und Mund! Möge es dein Wille sein, daß du mir ösfnest das Herz für deine Gotteslehre, und mir gewährest, was mein Herz begehret, mir und deinem ganzen Volke Israel, daß wir zum Leben, Glück und Frieden bedacht sein mögen. Amen. 21 Beim Ausheben der Thora0am Neujahrs- und Versöhnungstage. Gott der Herr ist allmächtig, langmüthig, gnädig, voller Huld und Wahrheit, er bewahrt seine Gnade bis in das tausendste Geschlecht, er vergibt und macht rein von Schuld, Missethat und Sünde. Allmächtiger Weltenherr! Laß uns in einer gnadenreichen Stunde Erhörung und Gewährung finden für unser Wünschen, Hoffen und Verlangen, und gib uns, was unser Herz begehrt. Vor Allem beten wir um Vergebung unsrer Schuld und Sünde für uns und unsere Angehörigen, um eine innige Versöhnung in deiner Liebe und Barmherzigkeit. Läutere uns von unsern Sün- den und Bergehungen und bedenke uns mit deinem Heile und dei- nem Erbarmen, zu einem langen und glücklichen Leben in Frieden und Ruhe. Laß deine Für-sicht walten über uns, daß wir ernährt und verpflegt werden aus deiner vollen, offenen, milden Hand, und das Brod, das wir essen, und das Gewand, darin wir uns kleiden, uns reichlich gewährt sei in Anstand und in Ehren unfer ganzes Lebenlang, aus daß wir mit freiem, heiterem Herzen und Geiste deinem Gottesworte nachgehen und deine Gebote halten und befolgen mit aller Innigkeit und Willigkeit. Gib uns Ver- stand und Einsicht, immer tiefer einzudringen in das Verständniß deiner heiligen Gotteslehre, daß uns dein göttlich Wort in allen seinen Tiefen und seinem innersten Sinn verständlich werde. Sende uns Heilung und Genesung für jedes Leid und Weh, und fegne uns in unserm Schaffen und Wirken, daß jedes harte Geschick von uns genommen werde und nur Heil und Trost, Gunst und Freundlichkeit uns umgebe auf allen unsern Wegen. Amen. Beim Ausheben der Thora an den übrigen drei Festen. Gott der Herr ist allmächtig, langmüthig, gnädig, voller Huld und Wahrheit, er bewahrt seine Gnade bis in das tausendste Ge- schlecht, er vergibt und macht rein von Schuld, Missethat und Sünde. 22 ” Allmächtiger Weltenherr! Laß in einer gnadenreichen Stunde mein Gebet vor dich gelangen zum Guten, daß das Hoffen und Sehnen meines Herzens„ sich erfülle! Würdige mich und meine Angehörigen deiner Gnadengaben und kräftige und befähige uns, daß wir deinen Willen thun mit ganzem und ungetheiltem Herzen. Bewahre uns vor dem eigenen bösen und sündigen Herzenstrieb, und gib uns unser volles Theil an deiner Gottetlehre, auf daß wir würdig befunden werden, daß der Abglanz deiner göttlichen Macht und Herrlichkeit sichtbar an uns werde und der Strahl dei- nes göttlichen Lichtes, der Geist der Einsicht und der Weisheit uns das Leben verkläre, auf das an uns in Erfüllung gehe der Spruch, der geschrieben steht: „Und es wird ruhen aus ihm der Geist Got- tes, der Geist der Weisheit und des Verständnisses, der Geist des Rathes und der Stärke, der Geist der Erkenntnis; und Furcht Got- tes!” So möge es auch dein Wille sein, Gott, unser Herr, daß ich zu allem Guten, Gottgefälligen, mich befähigt und berufen fühle und stets wandle in deinen Wegen. Heilige uns in der Beobachtung deiner göttlichen Gebote, daß wir würdig und theilhaftig werden eines langen, glücklichen Lebens hienieden und des ewigen zukünftigen Seins. Wahre uns vor allen bösen leichtsinnigen Gedanken und Werken, vor bösen Stunden, die unversehens kommen über uns, vor jedem bösen Ver- hängnisse, das uns bedrohet und überfällt, daß, wer nur auf dich, mein Gott vertraut, in deiner Huld und Liebe stets geborgen sei. Amen. Gebet für den Landessüriteu. *) „Bete für das Wohl deines Königs.” (Sp. d. Bäter.) Allmächtiger Gott und Herr des Weltalls! Von dir kommt alle Macht und alle Größe, du setzest Könige und Regenten aus ihren Thron, umgibst sie mit einem Strahl deiner Majeftät, und verleihest ihnen Ansehen und Gewalt, daß sie Recht und Gerech- tigkeit aus Erden handhaben, daß sie werden ein Schuh aller Ge- *) Dieses. wie das Seelengebet an Festtagen, ist der Agende meines theneken seligen Gatten entnommen. 23 drückten und Bedrängten, eine Zuflucht aller Schwachen und Hilfs- bedürftigen, und daß der Völker Heil und Wohl unter ihrem Scep- ter erblühe. -— Zu dir beten wir aus des Herzens Tiefe und Fülle um Segen und Heil für unsern erhabenen, allgeliebten Landes- fürsten und Vater, den Kaiser Franz Joseph den Circen. Segne ihn Gott in deiner Allmacht, mit den besten Gaben deiner - Liebe und’ Gnade. Gedenke ihm, was er in den wenigen Jahren sei- ner Regierung schon Großes und Heilsames hat geschaffen und voll- bracht, und vergilt es ihm in Allem, was er beginnt und unter- nimmt. Segne ihn mit dem schönsten Segen gekrönter Häupter, mit der Liebe seiner Völker, mit dem Frieden seines Reiches, mit dem Glück und dem Wohlstande in dem weiten Gebiete, das sein Scepter umfaßt, daß er lange regiere in Glück und Herrlichkeit, den glorreichen Thron seiner Väter mit immer größerem Glanze umgebend. Segne die durchlauchtige Landesmutter, unsre erhabene Kaiserin Elisabeth. Gib ihr in himmlischer Fülle Alles, was nur das Menschenherz und Frauenherz erfreuet. Segne die hohen Diener, die Minister und Räthe, die ihm zur Seite stehen, daß Alles, was sie zum Heil des Staates unter- nehmen, unter ihrer Hand gedeihe, daß nicht der Unverstand der Thoren daran rüttle, nicht die Tücke der Böswilligen es zerstöre, sondern allgemeine Liebe und Vertrauen ihnen entgegen komme, und ihre edle Mühe unterstütze und fördere. Und so möge dein Segen und deine Gnade walten über Alle, die dem Dienste des Vaterlandes ihre Kräfte widmen, die ihm die- nen mit dem Arm, oder mit dem Geiste, die das Recht sprechen, die Wahrheit verbreiten, die Wissenschaft fördern, die Kunst pfle- gen, den Frieden sichern, und des Vaterlandes Ehre und Wohlfahrt mehren — Ihnen allen sende deinen himmlischen Segen, daß sie den ersehnten Lohn finden für ihre Bemühungen, daß des Lebens Glück und Freude ihre Schritte begleite und ihr Händewerk ge- linge, zu ihrem und zu unsrer Aller Wohl und Heil. Amen. 24 Betrachtung, wenn der Neumond emgesegnet wird. „Und zum Monde sprach der Herr, daß er sieh erneue, ein glänzend herrlich Bild, für die Erdensöhne.” — (Gebet.) „Lob und Preis dir, Gott und Herr des Weltalls, der du mit deinem Worte geschaffen hast die Himmel, mit einem Hauche deiner Allmacht all’ ihre leuchtenden Heere! Du hast Allen ihren Gang und Stand angewiesen, daß sie nimmer verwechseln und ver- fehlen ihre Bestimmung. „Zum Monde aber sprachst du,. daß er sich erneue, ein glänzend herrlich Bild für die- Erdensöhne,” in dem steten Absterben und Wiederaufleben sei- nes Lichtes ist er ein Bild und Gleichniß unseres wechselnden und— wandelnden Lebens aus Erden und aus der Höhe spricht er zu dem. Menschen herab, tröstend und erhebend, mahnend und” warnend. Zu dem Unglücklichen spricht der Mond: „Sage nicht und traure nicht, armes Herz, welches auch dein Leid sei, wie trüb und düster auch dein Pfad ist, und dein Leben umnachtet und umdun- kelt — sieh mich an! nicht trübseliger und nächtlicher kann dein Geschick sein, als meine Gestalt noch vor wenigen Tagen war, und schon wieder stehst du mich leuchtend und glänzend am Himmels- Plan. So auch wird dein Schicksal sich wandeln, denn nicht ewig, währt die Trauer, nicht aus immer zürnt der Herr! Drum zage nicht und ängstige dich nicht, trage muthvoll und ergeben, was der Herr dir auferlegt, bald läßt er dir wieder leuchten seinen Gnadenstrahl, und führt dich aus der Finstcrniß zum Lichte. Und du, Glücklicher, mahnt er den Beglückten und Erhöh- ten, sei nicht so stolz, thue nicht so groß, wenn auch des Glückes Glanz und Strahl dich umgibt und des Lebens Straßen sieh hell und leuchtend vor dir aufthun. Sieh auf mich, auch ich strahles jetzt im Lichte, doch eine kurze Zeit nur und ich wandle glanzlos und verdunkelt, und vergebens sucht mich dein Auge. Gleich mir aber geht des Menschen Schicksal einen ewigen Kreisgang, und ehe du dich’s versiehest, kannst auch du der Nacht und dem Grauen des Unglücks anheimsallen. Darum sei demüthig und bescheiden, laß fallen deine Strahlen in die dunkeln Hütten des Elends, erhelle die Finsterniß des Unglücks neben dir, und gieße milden Trost, wo und wie du kannst, in die betrübten und gedrückten Herzen. 25 Und zu der Jugend spricht der Mond in seiner stummen und doch so mächtigen Beredtsamkeit; Ihr, die ihr im Neumonde des Lebens steht, nehmet auch ihr mein Bild euch zur Lehre. Wie ich von Tag zu Tag immer zunehme an Licht und immer höher steige auf meiner Bahn, so möget ihr mit jedem Tage zunehmen an Licht und Kraft des Geistes, und immer höher streben auf der Bahn eurer Bestimmung, damit ihr nicht der trostlosen Nacht der Un- wissenheit und der Sünde anheimfallet und euer Leben nicht im Dunkel der Thatenlosigkeit unbemerkt dahinschwinde, sondern im hellen Glanz der Weisheit und der Tugend die Welt erleuchte und erfreue. Dem Greise aber, der im letzten Lebensviertel matt und ge- beugt einhergeht, sein Licht immer abnehmen und schwinden sieht, dem ist der Mond in seiner Höhe ein gar beredter Tröster, und jede Neumondsverkündigung ist für ihn eine himmlische Verheißung des jenseitigen Lebens, „denn zum Monde sprach der Herr, daß er sich erneue, ein glänzend herrlich Bild für die Erdensöhne, daß auch sie gleich ihm sich einst erneuen and verjüngen, zum Ruhm und zur Verherrlichung ihres Schöpfers.” Wie er vor unseren Augen abstirbt und erbleicht, um wieder von Neuem in verjüngter Gestalt zu erscheinen, so der Mensch in seiner Unsterblichkeit. Hier erlischt sein Lebenslicht, aber dort in den jenseitigen Gefilden, wo kein Wechsel ist und kein Wandel, sondern nur Ewigkeit und Freuden der Ewigkeit, strahlt es wieder auf, um nimmermehr unterzugehen. So möge denn, Allgütiger, der Mond sich erneuen zum Heil und zum Segen für mich und für die gesammte Menschheit, sein trostreiches, erhebendes Bild uns stets vor Augen sein und Hossnung und Zuversicht, Muth und Vertrauen, fromme Vorsätz"e und Bestrebungen uns ins Herz legen. Möge der kommende Monat mir und den Meinen Alles brin- gen, was zu unserem wahren Wohl gereicht: Gesundheit der Seele und des Körpers, innern und äußern Frieden, gesegnete Früchte unsrer Thätigkeit und eine reiche Saat für unser ewiges Heil. Amen. 26 Am Nemnonde. ”Lehre uns unsre Tage zählen, Daß wir weisen Herzens werden.” (Ps. 90, 12.) Herr des Lebens, der du ordnest der Zeiten Lauf und Gang, du hast sie eingetheilt in kleine und große Abschnitte, in Jahre, Monate und Tage. Durch den Wechsel dieser Perioden werden wir inne, wie im raschen Flug die Zeit unaufhaltsam dahinrauscht, und uns mit jedem Flügelschlage dem Endziele alles irdischen Seins, der Ewigkeit näher bringt, und wie sie, die flüchtige Zeit, ist sie einmal dahingezogen, niemals wieder zurückkehrt, und all unser Wünschen und Sehnen nach ihrer Wiederkehr ein vergebliches ist. Drum sollen wir sie nützen, so lange sie unser ist, keinen Punkt von ihr vergeuden, keine Stunde verlieren in müßigem Tändeln und Träumen, in eitlem, unnützem Thun und Treiben; denn einst wirst du uns, o Herr, für jeden Augenblick unseres Le- bens zur Nechenschaft ziehen! — Wir müssen die That vollbrin- gen, so lange die Zeit sie uns darbeut, wenn wir erst viel beden- ken und zögern, so führt sie uns der Zeitenstrom davon, und uns bleibt nur das leere Nachsehen und Bedauern. Aber was wir be- ginnen und unternehmen, wonach wir streben und ringen, sei ein Heiliges und Gottgeweihtes, entsprechend unsrer hohen Bestim- mung auf Erden, würdig unsrer göttlichen Abstammung. Drum flehe ich dich an, Allvater, um Einsicht und Erkenntniß, die Zeit so zu verwenden, daß sie mir und den Meinigen und meinen Nebenmenschen zum Heil und zum Segen gereiche, daß ich jede Stunde, jeden Augenblick meines Lebens benutze zu weiser Thätig- keit und Betriebsamkeit, zu fruchtbringenden Wirken und Schaf- sen, zur Beredlung meines Herzens, zur Vorbereitung und Bil- dung meiner Seele für die Ewigkeit. Laß, Allgütiger, der du bis- her mich geleitet und geschirmt, auch ferner mir und meinen An- gehörigen deinen gnädigen Schutz angedeihen; laß den Monat, der da kommt, fried- und freudevoll für mich sein, wahre unsere Gesundheit und unser Leben, mildre und sänftige unsern Kummer, erhöhe unsere Lebensluft, fegne unser Gewerbe und unsern Fleiß, und laß aus der Fülle deiner Gnade uns zuströmen, was uns Noth thut und wohl thut. 27 An den ersten Tagen des Pessach-Festes. *) „Und ist auch jene Zeit vorbei Der Sklaven heißes Dürsten, Und leben wir auch frank und frei Im Schuhe edler Fürsten, So bringen heute dennoch gern Die Goiterlösten ihrem Herrn Des Dankes frommes Opfer.” (Büschenthal.) Mein Gott und Herr! Das Pessachfest ist ers chienen, das freud- volle Gedentsest der Jubeltage, wo du unsere Väter vom unmensch- lichen Druck erlöset und mit aufgehobener Hand aus dem trauri- gen Lande der Knechtschaft in das schöne Land der Freiheit ge- führt hast, aus der sinsteren Umgebung von Wahn- und Jrrglau- ben in das Lichtgebiet der Erkenntnis; und des reinen beseligenden Glaubens an dich, mein himmlischer Vater, und an dein Gotteswori. Mit Rührung und Freude begehen wir dieses Fest, das uns jene glückliche Zeit vor die Augen führt, wo du Jsraei dir zum Eigenthum erkoren, es von allen Völkern auserwählt, es dir hast angelobt wie der Bräutigam die Braut und an dich geknüpft mit den Fäden der Huld und Liebe; und wo dein Volk wiederum an dir gehangen hat, wie die jugendliche Braut an des Geliebten Arm, wie das Kind am Mutterherzen; dir gefolgt ist voll Gläu- bigkeit und Treue in ein fremdes unbekanntes Land, mit dir ge- treten ist hinaus in eine schauerliche Oede und Wüstenei. Einlanger Zeitraum ist seitdem dahingeschwunden, das Herz deines Volkes hat sieh seitdem so oft geändert, doch deine Liebe blieb -immer die- selbe! — „Der Väter Schutz und Beistand warst du von Ewigkeit, ein Schild und Helfer ihren Kindern nach ihnen durch alle Zeiten.” Dubistunser Führer, unser Schützer, unser Hort, wie du es von jeher gewesen. Mehr als ein Mizraim haben wir durchzogen. Haß und Borurtheil legten ein schweres Joch auf unsern Nacken — doch *) Pessach, das Uebersehreüungsfest, ist das Fest der Weihe der Israeliten zu Bekennern des einzigen und einigen Gottes, getragen von der Erinnerung an den wundervollen Auszug aus Egypten. Es beginnt am Abend des 14. Rissan und dauert 8 Tage, von denen je- doch nur die ersten und leßten 2 Tage ganze Feste sind, die 4 Zwi- lchentage aber sind nur Halbseste. 28 mitten durch die Finsterniß des Elends und des Drnckes leuchtete stets ein Strahl deiner Gnade über uns und führte endlich einen Morgen der Erlösung herauf, wo wir anerkannt in unsrer Men- schenwürde, geschützt von milden gereihten Gesetzen frei und un- gefährdet leben. Mögest du, Allgütiger, auch ferner mit uns sein. Wie du in jenen Tagen die Ketten gesprengt, unter denen unsre Väter gefeufzt und mit furchtbarer Hand das Joch der Knechtschaft und der Tyrannei zerbrochen, so mögeft du unsre Seele befreien und erlösen von dem erniedrigenden Joche der Sünde und der Leidenschaften, daß sie in freier siegender Kraft sich erhebe über jede Anfechtung und Versuchung, und wie du von ihren Altären die zahllosen Götter und Götzen Mizraims gestürzt hast, so möge deine Allliebe auch uns beistehen, niederzukämpfen und zu zerstören all die Götzen der Eitelkeit und der Weltlust, daß unser Jnneres ganz erfüllt sei von dir, du einziges hohes und herrliches Wesen, nur voll und durchdrungen von kindlicher Treue und Liebe, von unerfchütterlichem unwandelbarem Vertrauen und unbegrenzter Hin- gebung zu dir, der du der Hort und Retter bist der Einzelnen, wie der ganzen Völker und mit deiner Hilfe ihnen nahe bist in Drang- sal und Noth! Also mein Gott wollest du deine Huld über uns walten lassen, uns zu erheben und zu heiligen mit deinem Geiste. Gelobt feiest du Ewiger, der du Israel und die Feste heiligst. Amen. Rath dem Priestersegen. „Sie sollen meinen Namen aussprechen über die Kinder Israel und ich werde sie segnen.” (Lewit. 6, 27.) Allgütiger! Laß den Segen , den wir zu dieser Stunde empfangen, den Segen, den einst deine geheiligten Priester über dein Volk ausgesprochen haben, an uns in Erfüllung gehen; in seiner ganzen Fülle und Bedeutung, in allen seinen Theilen möge er sich an uns bewähren. Segne uns, Herr! — denn du allein bist die Quelle alles Segens und alles Heils. Segne uns mit des Lebens reichen Gütern und Gaben, segne uns mit einer festen, dauernden Gesund- heit, mit einem langen Leben, mit der Kraft zu üben das Gute 29 und zu vollführen das Gottgefällige. Segne uns in Allem, was wir beginnen, segne uns in unsern Kindern und .Kindeskindern, daß sie uns heranwachsen und wohlgerathen zu unserer Freude und Ehre. Und behüte uns — behüte uns in dem, was du uns ge- geben und bescheert. Behüte uns, Allgütiger, vor jedem Unfall und Ungemach; behüte uns vor dem Verluste treuer Freunde und ge- liebter Angehörigen, behüte uns vor Nahrungssorgen und Kümmer- nissen, vor Abhängigkeit von den Gaben und den Wohlthaten von Fleisch und Blut. Behüte uns, Allgütiger, in Allem, was wir lieben und ehren. Laß uns leuchten, Herr, dein Angesicht — dein An- gesicht in seiner göttlichen Milde und F-reundlichkeit, erleuchte uns der Erde Nacht und Nebel, zünde in der Seele uns an das Licht der Wahrheit, um dich zu erkennen mein Gott und zu erfassen in deiner ewig waltenden Güte und Herrlichkeit. Und sei uns gnädig — deine Gnade allein ist unsre Hoffnung und unser Heil! Sei uns ein gnadenreicher, milder und barmherziger Richter bei unsern Verirrungen und Vergehungen und nimm in deiner Huld und Liebe uns auf an dein Herz, wenn wir als reuige Kinder zu dir wiederkehren. Laß über uns walten deine Gnade und dein Erbarmen, wo und wann wir deiner be- dürfen und zu dir rufen. Wende, Herr, dein Angesicht uns zu -— es ruhe auf uns dein Blick, er ermuntere uns zu allem Guten und Gerechten und halte uns zurück von den Thaten der Finsterniß. Dein An- gesicht, das sich uns zuwende, sei unser Trost und unsre Zuversicht im Leiden; wenn Alles sich von uns wendet, wenn Vater und Mut- ter, wenn Freunde und Gönner uns verlassen, so verlasse du uns nicht und neige dein Angesicht uns zu. Gib uns Frieden, Herr — Frieden mit der Welt und Frieden mit uns selber, den Frieden eines ruhigen Gewissens und der erfüllten Pflicht! es fliehe uns der Haß, der Neid, die Miß- gunst und der Mißverstand, alles, was Streit und Zerwürf- niß herauf beschwört. Gib uns Frieden, Herr, den wahrhaf- ten reinen überschwünglichen Gottesfrieden, auf daß wir einst in Frieden von hinnen gehen, befriedigt von dem Rückblick auf unser vollbrachtes Leben, Frieden finden in deiner Nähe mein Gott. „Himmelfreudigkeit in deinem Antlitze und siegende Seligkeit in deiner Rechten.” Amen. 30 An den letzten Tagen des Pessach-Festes. „Gott ist mein Sieg, mein Sang. mein Theil, Er war, er ist und bleibt mein Heil.” (2. B. M. 15, 2.) Wir feiern heute den Jahrestag des ewig denkwürdigen Durchzuges unsrer Väter durchs Meer. Mit Jubel und Begei- sterung wendet sich unser Herz nach jenen gesegneten Gefilden hin, die Zeugen der unvergeßlichen Wunder waren, durch welche du die Befreiung und Erlösung unserer Väter verherrlichtest. Groß war die Noth Jsraels. Vor ihnen das tobende Meer, hinter ihnen die unzähligen Schaaren der Egypter, ein kampfgeüb- tes Herr, gewappnet und gerüstet gegen die weht- und waffenlosen Pilger; keine Aussicht, kein Weg blieb den Bedrängten offen, um der furchtbaren Macht ihrer Dränger zu entgehen, aber du Retter der Berfolgten, du Hort der Gedrückten, du Rächer der Unschuldi- gen, du sahest ihren Jammer, hörtest ihren Nothschrei, und öffne- test für sie den wundersamen Pfad, den noch kein Menschenfuß ge- wandelt, noch kein Menschentritt entweihet. Es tönte dein mäch- tig Wort hin über die Fluthen. „Stimme Gottes über die Wasser, Stimme Gottes über die rauschend en Wasser.” Da erstarrten die Fluthen im Herzen des Meeres, es thürmten sieh die Strömungen zu festen Mauern und die Untiefe ward für Js- rael zum sichern Geleise. Aus Wellen und Wirbeln bauetest du ihnen die Brücke, auf der sie gehoben und getragen von deiner All- macht hinübergelangten zum rettenden Uferland. Aber unter den Füßen ihrer Verfolgten sank der Boden, öffnete sich der Abgrund, und Pharao und sein Heer sanken in die Tiefen des Meeres und über ihnen tobte die Fluth, thürmten sich hoch auf die schäumen- den, zischenden Wogen! —— Die Strafe Gottes folgte den F-revlern in die Tiefen des Abgrunds. Endloses Halleluja ertönte aus dem Munde der Geretteten. „Dies ist mein Gott, ihn will ich preisen, denn hoch erhaben ister.” Und der Säugling an der Mutterbrust stimmte mit ein in den Wettgesang Moses und Jsraels, der heute noch in unsern Tempeln ertönt, zu deines Namens Ehre und Ruhm. So preise auch du meine Seele den Herrn, der da demüthigt des Stol- zen Haupt und hoch emporhebt das gedehmüthigte und gebeugte. Er ist unser Hinter und Beschützer zu jeder Zeit der Noth. „Er was, er ist — und wird sein unser Hort immerdar.” 31 Die Zeit der sichtbaren Wunder ist längst vorüber; die Natur tritt nicht mehr zu unsern Gunsten aus ihrem ewigen Gekeife; aber deine Allniacht mein Gott, waltet noch jetzt wie chedeni über uns, dei11e Wunderkraft wirkt still und unsichtbar zu unserem Heile fort, und die Werkstätte der Natur ist noch immer in ewiger Be- wegung zur Erzeugung alles dessen, was uns noth und wohl thut. Wenn wir bedrängt, verfolgt, Verzweifelnd einen Ausweg suchen, zeigst du uns noch iu1uier den wundersau1en Rettuugsweg, den Pfad des Heils und der Hilfe. Bald ist es der treue Freund von außen, der uns hilft und räth, bald ist’s die innere Herzen-”Jstimme, der Gotteseugel in uns, der uns sicher und ungefährdet durch das Lebensnieer führt, über dessen Fluthen du, Gott,thronest, und dessen Wogen und Brandungen du nach deinem allmächtigen Willen auf- regst und wieder sänftigest. Drum freue dich, meine Seele, des Herrn und wandle in Gläubigkeit und Den1uth seine Wege, und wie auch dein Lebenshini- mel sich umdüstert, und der Boden unter deinen Füßen einzubrechen droht, zage nicht und wanke nicht in deinem Vertrauen auf den Herrn; zur rechten Zeit wird auch dir die Hilfe konnneu, woher alle unsere Hilfe kommt. Besiehl dem Herrn deine Wege und er wird sie dir ebnen, fein ist die åNacht und die Gewalt, die Huld und die Gnade ewig- lich. Amen. Am Wochenseste.*) „Gedenket der Lehre Moses, meines Knech- tes, dem ich aufgetragen auf Tboreb an ganz Israel Gesepe und Rechte. (Mal. 3, 22.) Mit heiliger Rührung begrüße ich den heutigen Festtag, dies Wiegenfest unserer erhabenen Religion, dieses Erinnerungssest je- net hohen Epoche, die so viel Heiland Segen in die Welt gebracht. *) Das Wochensest ch1Ii1:W) wird am S. Rivau, also 7 Wochen nach dem 2. Pessachseste, gefeiert. Dasselbe wird auch das Fest der Gesehgebuug genannt, zur Erinnerung an die Offenbarung Gottes auf dem Sinai, die an diesem Tage stattgefunden, wo die göttlichen zehn Worte an Israel ertheilt wurden. 32 Unter dem Rollen des Donners, unter dem Zucken des Blitzes, stiegest du, Allvater, auf den bescheidenen Gipfel des Sinai her- nieder und redetest zu deinem Volke in deiner so hehren und doch so milden Sprache, du ließest dich herab, der Hohe und Erhabene, zu dem schwachen, gebrechlichen Menschensohn, offenbartest dich ihm in deiner Herrlichkeit und Glorie, und ertheiltest ihm Satzungen des Rechts und der Wahrheit, Lehren des Trostes und der Erhebung. Der frohen Begebenheit dieses Festes verdanken wir unsern hbchsten Schatz, unser kostbarstes Kleinod, die zehn Gebote. Diese Pfosten und Grundsteine unseres beseligenden Glaubens, diese treuen Leiter und Führer durchs Leben, diese Wegweiser auf den Pfaden des Rechts und der Pflicht, diese Stützen und Anker in Mühen und Drangsalen, die Alles in sich schließen, was den Geist erhebt, was das Herz veredelt, was den Menschen menschlicher, das Kind kindlicher macht, was dem Verzweifelnden Trost, dem Zwei- felnden Zuversicht gibt. 1. „Jch bin der Ewige dein Gott, der dich aus dem Lande Mizraim, aus dem Sklavenhause befreite.” Dies das erste Wort der göttlichen Offenbarung. O, sei mir gesegnet, du herrliches Wort! Was die Ahnun- gen des Herzens uns leise verkünden, das rufst du mit lauter Stimme durch die Welt hin , was ans jedem Blatte im Buche der Naturhingezeichnet ist, daran legst du dein Siegel und deine Gewähr- schaft an: Es” ist ein Gott! Ein Gott der Allmacht, der mit ge- waltigem Arm unsre Dränger und Verfolger zu Boden schlägt, ein Gott des Erbarmens, der auf die Jammertöne der Gedrückten und Geknechteten horchet, der ihre Bande und Riegel löst und sie zu Frei- heit und Glück führet! Wie froh und weit wird mein Herz im Vertrauen zu ihm, der auch mir allliebend seine Hand reicht, wenn Druck und Noth mich beengt, wenn des Verfolgers Hand auf mir liegt, wenn die Thore des Glücks mir geschlossen sind! 2. „Du sollst keine andre Götter vor mir haben.” Denn der Ewige ist ein einziger, alleiniger Gott, ihm allein gebührt Lob und Preis und Anbetung; ihm, mein Herz, weihedeine Verehrung, deine Liebe, deine Dankbarkeit! Er allein ist es, der huldvoll mich durchs Leben führt, mein Schöpfer, mein Erhalter, der meine Jugend leitet, mein Alter schirmet, der stets und über- all der eine und derselbe ist, im Himmel, aufErden und in den Tie- fen des Meeres. Drum sei muthig und getrost meine Seele! Wenn auch das Geschick dir nicht freundlich lächeln mag, wenn dich auch 33 Manches drückt und schmerzt, trage es mit Ergebung und Geduld, mit Hoffnung und Vertrauen, denn der Allweise und Allliebende, unser alleiniger Hort und Regierer, der in seiner Weisheit den Sturm geschaffen, wie den Sonnenschein, hat es ja also über dich verhängt, und was er thut, kann es anders sein als zu unsrem Heil? Er wird alles wohl machen. 3. „Du sollst nicht aussprechen den Namen des Ewi- gen zum Falschen.” Wie sollten wir den Namen Dessen zur Unwahrheit ausspre- chen, dessen ganzes Wesen Wahrheit und Treue ist. Die Treue und Aufrichtigkeit sind Strahlen seines göttlichen Wesens, sie ver- klären das Gemüth, welches sie in sich aufnimmt, und heiligen es zum Ebenbilde des Ewigen. O möchten doch nimmer diese gottes- ähnlichen Gefühle aus meinem Herzen weichen, möchten sie stets auf meinen Lippen wohnen, daß die Gedanken meiner Seele wie die Worte meines Mundes bei dir Gefallen fänden, mein Gott und Herr. 4. „Sechs Tage sollst du arbeiten, der siebente aber ist ein Tag der Ruhe.” Wenn der Müssiggang ein verderbliches Laster ist, so ist nicht minder das ewige Jagen nach irdischem Besitz, das unaufhörliche Mühen und Sorgen, Streben und Ringen im weltlichen Erwerb und Verkehr zerstörend und verderbenbringend. Unser Körper würde ermatten, unser Geist, bald seine höhere Bestimmung auf Erden vergessend, würde über das Jrdische das Himmlische aufge- ben, wenn nicl)t Gott in seiner vorsorglichen Huld für uns die Sabbathfeier angeordnet hätte, zur Erquickung unsres Körpers und zur Aufforderung an unsern Geist, sein Augenmerk dem Göttli- chen zu widmen. Da soll Alles der erquickenden Ruhe theilhaft werden, Eltern und Kind, Herr und Knecht; selbst das Thier hat Gott, in seiner Allliebe, mit in der Sabbathruhe eingefchlossen. Gesegnet hat Gott den Sabbath und ihn geheiligt, und ein Segen wird er uns, wenn wir in ihm und durch ihn uns heili- gen, durch fromme Gebete, durch veredelnde Betrachtungen, durch den 2Iuf;)lick zu unserem Hort und Schöpfer! 5. „Ehre Vater und Mutter.” Die alten Weisen lehrten uns: Drei Wesen haben Theil an dem Menschen: Gott, Vater und Mutter! Wie hoch und heilig muß in den Augen Gottes die Pflicht der Kindlichkeit sein, denn dreifach ruft er uns zur Ausübung derselben: durch das Ge- 34 fühl der Kindesliebe, die er in unser innerstes Sein gepflanzt, durch das Gesetz der Dankbarkeit gegen sie, die unsre Schutzengel auf Erden sind und die nach Gott den größten Theil an unser Le- ben haben, und endlich durch das göttliche Gebot: „Ehre Vater und Mutter, damit es dir wohl gehe.” — So sei mir denn dreimal geheiligt du süße Pflicht! Vater und Mutter, wie schlägt euch mein Herz entgegen in Liebe und Dankbarkeit; euch will ich ehren und eure Herzen erfreuen, alle meine Kräfte will ich vereinen, um das göttliche Gebot der kindlichen Ehrfurcht, das an allen Saiten unsrer Seele einen Wiederhall findet, zu erfüllen. 6. „Du sollst nicht morden.” Das Leben unsres Nächsten muß uns ein unverletzliches Hei- ligthum sein. Doch nicht nur sein Leben allein, sondern auch alles Das, was sein Leben verschönert und beglückt, darf von uns nicht verletzt und gefährdet werden. Nicht immer bedarf es des Schwertes und des Dolches um den Menschen ins Herz zu treffen. Das tückische, verläumderische Wort wird oft zum giftigen Pfeil, der uns eben so schmerzlich und tödtlich ins Leben greift. Der geistige Mord ist nicht minder Verderbenbringend, als der Todtschlag einer mörderischen Hand, und nicht weniger strasbar in Gottes Augen. 7. „Du sollst nicht die Ehe brechen.” Das heiligste Gut, der kostbarste Schatz zweier Gatten ist die eheliche Liebe und Treue. Wer möchte mit frevelnder Hand diese Krone zerstören, diesen Kranz zerreißen, in sträflichem Leicht- sinn diese zarten Blüthen zertreten, die den ehelichen Garten zie- ren! Vor den Pforten dieses Evens hat Gott in seiner Huld gleich einem Cherub mit slammendem Schwerte sein göttliches „Gebot hingestellt: „Du sollst nicht die Ehe brechen;” damit jeder leicht- sinnige Gedanke, jedes silndige Gefühl erfchreckend davor zurück- bebe und zitternd entweiche. 8. „Du sollst nicht stehlen.” Laß dir nimmer einfallen das Eigenthum deines Nächsten an dich zu reißen. Ob er seinen Besitz durch Fleiß und Thätigkeit er- rungen, ob ihn Gottes Segen allein, ohne sein eigenes Hinzuthun reich gemacht, nimmer laß dich bedünl"en, deine Hand daran zu legen. Der Diebstahl, welchen Namen, welche Gestalt er auch annimmt: Gewalt, Trug, List, er bleibt sieh immer gleich. Auf welche Art immer du des Nächsten Gut an dich ziehst, es wird dir 35 nimmer zum Heile gereichen, der Gottesfegen flieht dich. Du hast deine Hand befleckt mit der gen1einsten, der niedrigsten aller Tha- ten, und Gott, der Reine, der Lichte und Hehre, wendet zürnend sein Antlitz von dir ab! 9. „Du sollst nicht falsches Zeugniß ablegen.” Wie viel Unheil und Frevel bringen wir durch falsches Zeug- niß in die Welt. Wenn wir auch nicht mit eigener Hand das Ver- brechen üben, fördern wir dasselbe doch nicht minder durch die falsche Aussage vor Gericht, und führen oft durch ein einziges Wort das Laster zum Sieg und Triumph, wir verleiten den Richter zu ungerechtem Urtheil und bedrücken die Unschuld, die zu Gott um Rache wider uns ihre Stimme erhebt. Wir glauben vielleicht zu- weilen, das Unrecht, das wir begünstigt, sei gar nicht groß, sei gar sehr zu entschuldigen. Doch wer kann jemals die Tragweite der Sünde bemessen? Das Böse muß Böses, das Unrecht muß Unrecht gebären. Haben wir einmal der Sünde die Hand gereicht, ehe wir uns versehen, dehnt sie sich aus, wird weiter und größer, umspinnt uns so mit ihren verderblichen Netzen, daß wir ihr nim- mer entkommen und uns mit Schrecken ihr verfallen sehen. 10. „Du sollst nicht Gelüste tragen nach deines Nächsten Gut.” O Neid, du Quelle aller Laster! Was wir als eigen besitzen, was die Gnade Gottes uns befcheert, machst du in unsern Augen gering und unscheinlich, nur das, was unser Nächster besitzt, über- tünchst du mit Glanz und Schönheit, nach dem richtest du unsere Wünsche, stachelst du unsere Begierden. Du jagst den Frieden aus unserem Herzen, machst unser Leben zur Hölle; aus dem Himmel eines zufriedener! Gemüths stürzeft du uns in die Tiefen des Un- sriedens und der Zerrissenheit mit uns selber. Drum will ich mich hüten vor dem Neide, vor den Gelüsten nach Andrer Besitz und nach dem, was Gott in feiner Allweisheit nicht für gut gefunden, mir zuzutheilen. Lob und Preis dir, Allvater, für diese göttlichen, beseligenden, heilbringenden Lehren und Satzungen. Heil dem, der ihnen Herz und Seele öffnet und sie darin eingräbt mit diamantner Schrift. Sie sind uns ein theures Angebinde deiner Huld und Treue, mein Gott, wir wollen sie in unserem Herzen tragen, sie an die Pfosten unsres Hauses befestigen, sie an unsre Hand und Stirne knüpfen, damit sie uns stets vor Augen bleiben und unsre Richtschnur wer- den fürs Leben, damit in ihrem Lichte unsre Augen sich der Wahr- 36 heit üssnen, in ihren Ermahnungen wir uns stählen zur Ausübung unserer Pslichten und in ihren Hinweisungen aus dich, du Erha- bener, den Trost und die Erhebung finden, um im Kampfe mit den Mühsalen der Erde freudig und muthig zu bestehen. Gib, o Gott, daß die Feier dieses Festes mein ganzes Leben verkläre, es zu einem großen Festtage mache —- zu einem Feste der Erinnerung an deine heiligen Lehren, an deine inhaltreichen zehn Worte. Amen. Am Zerstürnngstage Jerusalems, den 9. des Monats Aw. *) „Vergessen könnt’ ich meine Rechte. Doch Zion, nie vergess’ ich dein, Wenn deiner ich nicht mehr edächte- Mög’ mir geraubt die SpracZe sein- Wenn meine höchste Lust und Liebe Jerusalem nicht immer bliebe.” (Ps. 137, 5—6.) Eine traurige Erinnerung durchzieht heute unsere Seele, unser Geist trägt uns hin in die alte Heimath unseres Volkes, an die Thore der Stadt, die man die königliche nannte. Weinend weilt unsere Seele in deinen Mauern, Jerusalem! —- Jerusalem! wo ist deine Pracht und Majestät, wo sind deine Könige, aus Da- vids, des heiligen Sängers, Stamm entsprossen, wo ist dein Tem- pel, über dem die Glorie des Herrn strahlte? dein Allerheiligstes, worin der AlIerhöchste thronte? Wo sind deine Altare, worauf das freudvolle Gemüth seine Dankopfer niederlegte, und das reue- gequälte Herz durch Sündenopser sich Entlastung und Versöhnung verschafste? Wo sind deine Priester, deine Propheten, diese Wort- sührer bei Gott für den Sündigen und Schuldigen, diese begei- sterten Mahner und Warner der Menschheit, diese beredten Ver- kündiger des Göttlichen und Heiligen? *) Der neunte Ab, das größte der jüdischen Trauerseste. An diesem Tage wurde einst der erste Tempel durch Nebncadnezar, der zweite durch Titus zerstört und das Jsraelitische Reich durch die Römer gänzlich ausgelöst. 37 Alles ist dahin, überall Trümmer und Vernichtung! — Mit Schmerz umfasse ich diese Trümmer und beweine deinen Untergang, unglückselige Stadt! Mit deinem Fall betraure ich auch den Fall meines Volkes. — Doch nicht mit dir, vor dir schon war mein Volk gefallen von der Höhe einer gottgeliebten Nation in den Ab- grund der Sünde und des Treubruches an unserm Hort und Schöpfer; dein Sturz hat den ihrigen nur besiegelt und der Welt geossenbart; Gottes strafende Hand in dir das Paradies wiederum zerstört, welches er dem sündigen Volke geschaffen und bereitet hatte. Traute, meine Seele, traure, denn dieser Tag ist den trüben Erinnerungen des großen Verlustes geweihet; aber inmitten dei- ner Trauer tröste dich„ und preise gläubigen Sinnes Gott den Herrn, denn dieser Tag ist auch ein Tag des Trostes, ein Tag der ermuthigenden Hinweisung auf Gottes versöhnende Liebe und Gnade! Denn wie die Mutter das leichtsinnige, verirrte Kind mit der Hand züchtigt, aber mit den Blicken des Mitleids und des Erbarmens seine Thränen sieht, so hast du, mein Gott, dein Volk wohl gestraft, aber nimmermehr dein Angesicht von ihm abgewen- det! Nach Jerusalems Fall haben wir uns wie verirrte Schafe zerstreut in alle Länder, unter die verschiedensten Völker, aber du, ein treuer Hirte deiner Heerde, ließest uns nimmer unter und ver- loren gehen. Die Stürme des Unglücks haben uns umtost, doch nur zu beugen, nicht zu brechen und zu vertilgen vermochte uns ihre Wuth; die Kälte des Hasses um uns her hat unsere Glieder er- starren gemacht, aber deiner Liebe Sonnenschein hat uns wieder ertoärmet. Fluthen sind über uns dahingegangen, aber durch die Fluthen führte uns deine Gnadenhand ans grüne trockene Eiland. Noch sind wir dein Volk, noch sind wir deine Kinder, dein Zorn hat sich besänftigt, ein neues Vaterland hast du uns geöffnet, und wieder stehen wir, Menschen unter Menschen, Bürger unter Bür- ger, und alle Völker sind unsere Brüder. Und den Tempel — auch den wollen wir uns aufbauen nach Kräften und Vermögen: das Allerheiligste — das sei uns unser Herz, darin sollft du woh- nen und thronen, und kein unheiliges, unreines Gefühl es ent- weihen; der Altar -— das sei uns die 1eidende Menschheit; auf diesem geheiligten Altar wollen wir unsere Spenden und Opfer niederlegen; und wenn uns die Priester fehlen, so möge unsere gläubige Hoffnung und unser kindliches Vertrauen unser Priester und Fürsprecher fein vor deinem Throne. Amen. 38 An einem allgemeinen Fasttage. „Also spricht der Herr: Die Fasttage wer- den sich in Freuden- und Wonnetage ver- wandeln, so ihr nach Frieden und Wahr- heit findet. (Sechar. S, 19.) Ewiger, Gott unserer Väter! Erschöpft von Fasten und Kasteien, mit wankenden Kniern, mit bebenden Lippen treten wir vor dich hin, um dein Erbarmen und deine Gnade für uns anzu- rufen. Schwach und zum Bösen geneigt ist das menschliche Herz, die Sünde seiert ihre Triumphe darin, der Uebermuth und die Härte breiten sich darin aus; doch indem wir am Fasttage den sinnlichen Genüssen uns entziehen, lehren wir unser Herz gegen ihre Lockungen und Versuchungen stark und fest werden, und ihrem mächtigen Reize widerstehen. Indem wir fasten und unsern Leib kasteien, erkennen wir durch unsere Erschöpfung die Hinfälligkeit und Ohnmacht unseres Wesens, und die Demuth ziehet wieder bei uns ein. Indem wir die nothwendigsten Bedürfnisse uns ver- sagen, der Entbehrungen Qual und Schmerzen uns fühlbar wer- den, öffnet sich unser Herz dem Mitgefühl für den Armen und Dürftigen neben uns, der ja oft die dringendsten Bedürfnisse nicht befriedigen kann. Wo der Fasttag eine solche Wirkung in uns hervorruft, da ist er ein Tag der Gnade und des Wohlgefallens vor Gott. Doch der Fasttag, an dem der Mensch sich kasteiet und dabei der Sünde nachgeht, der ist dem Ewigen ein Gräuel. Also spricht der Herr: „Das ist ein Fasttag, daran ich mein Gefallen habe. Oeffne die Ketten des Frevels, löse die Bande des Gebeugten, die Bedrückten laß frei, jedes Joch zerreiße, dem Hungrigen brich dein Brod, dem Obdachlosen bringe in dein Haus, den Nackten kleide, Verbirg dich nicht vor deinem Fleische, und es wird dein Licht anbrechen, wie die Morgenröthe, und dein Heil gar schnell emporsprießen, es gehet dann deine Frömmigkeit vor dir her, und Gottes Herrlichkeit beschließt den Zug. Du rufest, Gott antwortet, stehest, und er spricht: „Hier bin ich.” — O daß mein Fasten dir, mein Gott, ein solch wohlgefälliges sei, daß es nicht bloß erschöpfend auf meinen Leib wirke, sondern auch er- hebend und veredelnd auf meinen Geist und auf mein Herz, daß du meine Kasteiung eundlich von mir annehmen mögest, als ein Sühnopser, als ein Ziehen meines aufrichtigen Willens nach dei- 39 neu Geboten zu leben und zu handeln, auf daß ich mich stets er- freue deiner Huld und deines Wohlgefallens, auf daß du mich, mein Gott, erhörest, wann und wo ich dich anrufe, auf daß du bleibest mein Hort und mein Helfer, mein Licht und meine Leuchte zu allen Zeiten. Amen. Gebet im Monate Elul. O Vater, nimm uns wieder auf, so wir reuig zu dir zurückkcbt-en. (Klagel. Z, 2l.) Dieser Monat, der Schlußstein des verlebten Jahres, ist voll Ernst und hoher Bedeutung für uns: denn in diesen letzten Tagen des scheidenden Jahres soll sich unsere Seele vorbereiten auf den großen Tag, wo du, mein Gott, mit uns ins Gericht gehst, du, der Allerheiligste, mit uns gebrechlichen sündigen Menschen, du, vor dem selbst die Bewohner des Himmels nicht genug rein erscheinen, und wie erst wir mit dem schwachen schwankenden Menschenherzen, das so oft von den Lockungen und Verführungen der Erde gefan- gen wird, in das durch Auge und Ohr die Sünde einzieht und immer heimischer darin wird, und das so oft bald bewußt und bald unbewußt vor dir sich vergehet und deine heiligen Gebote verletzt. Geweihet und geheiligt sind uns diese Tage, wo wir durch unser Bitten und Beten vor dir, Allerbarmer, die Verzeihung und Vergebung unserer Sünden uns erstehen, durch unsere Reue und unsere Thränen die Makel und Flecken der Schuld von uns weg- waschen möchten. Wir wollen zu dir zurückkehren mit wahrem ausrichtigem Herzen, und mit dem festen Willeu zur Besserung un- seres Thuns und unseres Waudels. O, heilige du uns diese Tage durch deinen Segen und deine Gnade, Allbarmherziger! daß sie für uns werden Tage der Rück- kehr und der Wiederkehr zu dir, o himmlischer Vater, daß sie uns werden Tage der wahrhaften Besserung und Heiligung, wo unser Herz mit verjüngter Liebe der Macht, der Tugend und der Religion sich aufthut, wo der wohlthuende Geist des Glaubens und der Liebe uns einziehet in die Seele, und wir uns, von ihm durch- drungen, von ihm gestärkt und angetrieben fühlen zum Guten und 40 Edeln, zum Kampf und Sieg gegen Sehwachheit und Sünde, daß sie uns werden Tage der Erhi5rung und Gewährung unserer Bit- ten und Wünsche, und Tage der Verzeihung und Vergebung all unserer Vergehen, Herr, vor dir. Amen. Vor dem Eintritt des neuen Jahres. Zum Jahres- sthluß. (ערב ראש השנה) „Lobe meine Seele den Herrn, und was in mir ist, seinen heiligen Namen, lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan.” Es neigt sieh der Tag, zu Ende geht das scheidende Jahr, es schließet sich vor uns wie ein gesiegeltes Blatt, zu dem wir nichts mehr hinzufügen und von dem wir nichts mehr hinwegnehmen können, das uns nichts als die Erinnerung dessen, was es für uns enthalten, und dessen, was wir hineingetragen, zurückläßt, und das nun an dem Throne des Allerheiligsten für oder gegen uns zeugen wird. In vielfältiger Gestalt stellt sich das verlebte Jahr noch ein- mal meinem Geiste dar. Es ziehen an mir vorüber die strahlen- den Erscheinungen der Freude, der frohen Tage und Stunden, wo das Licht deiner göttlichen Gnade mir geleuchtet, wo das Reich deiner Segnungen sieh mir geöffnet, und das Leben in seinen schönsten Seiten sieh mir gezeigt; sie treten vor mir hin all die heitern, glücklichen Stunden voll Genuß und Befriedigung, mit denen deine Allgüte mein Dasein geschmückt und gesegnet hat, Stunden voll glücklicher Thätigkeit, voll des seligen Bewußtseins meiner hohen Menschenwürde und Bestiunmmg, und es füllt sich mein Herz mit Rührung und Anbetung, und meine Brust erhebt sich voll des nnnennbaren glühenden Dankes dir, Allvater, All- beglücker! „Lobe meine Seele den Herrn, und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lebe den Herrn, meine Seele, und ver- giß nicht was er dir Gutes gethan.” Aber auch die düstern Bilder des Sehmerzes und des Trüb- sals, die deine Hand über mich verhängt, werden vor mir lebendig! Ost waren es Tage voll Qual und Angst, die mich niederdrückten; oft bitter-e Täuschungen, schwere Prüfungen, die meine Seele mit Trauer füllten; oft war’s Noth und Gefahr, die meinen Blick 41 trübten und umnachteten; oft tiefer Gram und schweres Leid, die mein Herz zufammenpreßten und meine Kräfte aufzehrten! Aber auch in den dunkelsten, herbften Stunden des Lebens ließest du deine Liebe mich fühlen, gabst du deinen Trost mir ins Herz. Wenn ich ermüdet war und ermattet von der dornenvollen Bahn, erneuetest und verjüngtest du die Kraft-meiner Glieder; wenn Alles mir Hilfe und Rettung absprach, wars deine Hand, die mir half zur rechten Zeit; und wenn Alles mich verließ, standest du allliebend mir zur Seite, und wieder erklingen alle Saiten meines Herzens in tiefen innigen Tönen des Dankes und des Lobes gegen dich, Allvater. „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan!” — Die Nacht ziehet herauf, es scheidet das Jahr — laß, All- mächtiger, mit ihm alle Leiden und Bitterkeiten, alle Sorgen und Beschwerden unseres Lebens dahin fchwinden, alle Krankheit und Gebrechlichkeit vergehen, allen Zwist und alle Zwietracht enden, allen Haß und alle Leidenfchaften von uns weichen, und die Sün- den Und Vergehungen, die unser Leben beflecken, und um deretwilleu wir hier voll Reue und Zerknirschung stehen, mögen Allerbar- mer von dir vergeben und vergessen sein. Mit dem ersten Frühroth des neuen Jahres möge uns das Leben in erneuerter, freundlicher Gestalt entgegentreten, uns und unseren Lieben und Angehörigen Glück und Wohlergehen bringen; Gesundheit und Kraft unserm Körper, Reinheit und Heiterkeit unserer Seele, und Wachsen und Gedeihen unseren Kindern, einen gesegneten, sruchtbringenden Erwerb und einen ungetrübten, un- gestörten Gcnuf;, Frieden und Zufriedenheit unserm Herzen, Frie- den unsern Häusern und Familien, Frieden und Segen unserm Vaterlande. Amen. 41 trübten und umnachteten; oft tiefer Gram und schweres Leid, die mein Herz zufammenpreßten und meine Kräfte aufzehrten! Aber auch in den dunkelsten, herbften Stunden des Lebens ließest du deine Liebe mich fühlen, gabst du deinen Trost mir ins Herz. Wenn ich ermüdet war und ermattet von der dornenvollen Bahn, erneuetest und verjüngtest du die Kraft-meiner Glieder; wenn Alles mir Hilfe und Rettung absprach, wars deine Hand, die mir half zur rechten Zeit; und wenn Alles mich verließ, standest du allliebend mir zur Seite, und wieder erklingen alle Saiten meines Herzens in tiefen innigen Tönen des Dankes und des Lobes gegen dich, Allvater. „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan!” — Die Nacht ziehet herauf, es scheidet das Jahr — laß, All- mächtiger, mit ihm alle Leiden und Bitterkeiten, alle Sorgen und Beschwerden unseres Lebens dahin fchwinden, alle Krankheit und Gebrechlichkeit vergehen, allen Zwist und alle Zwietracht enden, allen Haß und alle Leidenfchaften von uns weichen, und die Sün- den Und Vergehungen, die unser Leben beflecken, und um deretwilleu wir hier voll Reue und Zerknirschung stehen, mögen Allerbar- mer von dir vergeben und vergessen sein. Mit dem ersten Frühroth des neuen Jahres möge uns das Leben in erneuerter, freundlicher Gestalt entgegentreten, uns und unseren Lieben und Angehörigen Glück und Wohlergehen bringen; Gesundheit und Kraft unserm Körper, Reinheit und Heiterkeit unserer Seele, und Wachsen und Gedeihen unseren Kindern, einen gesegneten, sruchtbringenden Erwerb und einen ungetrübten, un- gestörten Gcnuf;, Frieden und Zufriedenheit unserm Herzen, Frie- den unsern Häusern und Familien, Frieden und Segen unserm Vaterlande. Amen. 42 Am Morgen des neuen Jahres.*) Wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn, wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Gebieterin, so schauen un- sere Augen auf zu Gott, unserm Herrn. (Ps. 123, 2.) Wie wir das alte Jahr unter Thränen und Gebet geschlossen, Herr, vor dir, so finden uns auch die ersten Stunden des jungen Jahres wieder in deinen heiligen Hallen versammelt, um dir un- sere ersten Gefühle zu weihen und vor deinem Vaterauge unsere Herzen zu öffnen. Wie Vieles, o Gott, haben wir von dir zu erbitten und zu erbeten zum neuen Jahre! Wie das Kind dem Vater nahen wir dir und öffnen dir Herz und Seele, vertrauen wir dir all unser Weh und Leid, unser Denken und Empfin”oen. Was verborgen und geheim uns niederdrückt, was die Seele sich scheut auf die Lippen zu legen, das erzählt dir heute die glühende Thräne un- sres Auges, das thun wir dir heute unter Seufzen und bitterm Weinen kund. — Doch was uns vor Allem die Seele bewegt, ist das Bewußtsein, daß heute der Tag des Gedächtnisses ist, daß heute vor dich hintritt das verlebte Jahr mit all unserm Thun und Wirken, um für oder gegen uns zu zeugen. Mit Angst und Zagen blicken wir darauf zurück, und mit Bangen und Beben fragen wir uns: Was wird das verlebte Jahr von uns ausfagen? Haben wir es zum Guten und Segensreichen angewendet? Haben wir seine Tage zu unserm ewigen Heile, zu unserer Veredelung und Besserung benützt, oder haben wir sie leichtsinnig vergeudet in der eiteln Mühe, nur die vergängliche Frucht des Lebens zu erhaschen, oder find sie uns verflogen wie der Traum, vorübergezogen wie die Wolke, ohne Werth und Bedeutung, ohne Nutz und From- men? — Das Jahr ist unwiederbringlich hin, aber das Werk des Menschen, das er geschaffen, das gute wie das böse, das bleibt zurück, und schwer und fchmerzlich legt fich das Gedächtniß unsres *) Am 1. Tischri beginnt im jüdischen Kalender ein neues Jahr. Dieser Tag ist daher als „Gedenktag” (יום הזכרון) der göttlichen Wo lthaten, die uns aus dem alten Jahr ins neue Jahr hineingelei- ten, dem innigsten Danke und den ernstesten Betrachtungen geheiligt. 43 Fehls auf unsere Seele, drückt sich als scharfer Stachel in unser Herz und bedeckt uns mit Scham und Schmach! Nur im Ber- trauen auf deine unendliche Güte und Gnade treten wir heute vor dich hin, um mit unseren Thränen und unserer Reue die schwere Schuld zu sühnen, unter der wir seufzen. Nur deine Barmherzig- keit, nur deine Liebe, die da nicht will, daß der Frevler sterbe, sondern zurückkehre und sich bessere — ist mein Trost und meine Hoffnung. In Demuth und Zerknirschung rufe ich deinen heili- gen Namen an, und flehe: Vergib, Allvater, Vergib meine Sünde, und verfahre mit mir nach dem Maße der Barmherzigkeit, die so groß ist, und nicht nach meiner Schuld. Laß deinen Schirm und deine Obhut in dem neuen Jahre wie bisher über mich wal- ten; erhalte mir meine Lieben und Angehörigen, verzeichne uns in das Buch des Lebens, zum Leben, zum Glück, zur Wohlfahrt; wende ab von uns jedes böse Geschick, jedes traurige Verhängniß. Laß süß und mild die Frucht des Lebens für uns reifen. Laß deiner Gnade Sonnenschein unsern Pfad erleuchten, lege die Fülle deines göttlichen Segens auf all unser Beginnen, gib Gelingen unserm Streben, Heil unserm Wirken, Verwirklichung unseren Hoffnungen, Gewährung unseren Wünschen. Laß des Friedens und der Eintracht beseligendes Band fest und dauernd sich um unsere Herzen legen. Laß dein Erbarmen walten über jedes Leid und Weh, schicke Heilung allen Wunden und Leiden der Seele, wie allen Gebrechen und Krankheiten des Körpers; schicke deinen Trost und deine Hilfe Allen, die deines Troftes und deiner Hilfe bedürftig sind. Gib, daß wir geduldig und ergeben in alle Lagen des Lebens uns fügen, unverzagt und vertrauensvolI der Zukunft entgegenharren und reines Herzens vor dir wandeln, bis wir am Ende aller unserer Lebensjahre vor deinem Himmelsthrone erschei- neu, um dir Rechnung darüber abzulegen. Amen. Beim Schofarlblasen. „Hei! dem Volke, das den SchofakIlang verstehet, es wandelt, -Herr in deinem Lichte, in den Strahlen deines Angesichts.” (Ps. 89, 16.) Wie erbebt mir das Herz bei des Schofars feierliFhem SchTlle, seine Klänge wiederhallen an den tiefsten Saiten meines Innern, 44 seine ernsten Töne rufen mir zu: Erdenkind, ermanne dich, er- manne dich! Ein Jahr ist nun wieder hingegangen, und du, du stehest noch immer da, befleckt von den Sünden der Vergangenheit, beschwert von deinen alten Jrrthümern und Fehlern; reinige dich, wasche dich in dem klaren Wasser der Unschuld, thue jene ab von dir durch Gebet voll Inbrunst vor Gott, durch Thränen und durch Reue, schüttle ab von dir den alten Menschen, verderbt durch sün- dige Gelüste und Triebe, betritt die Schwelle des neuen Jahres als ein neues Wesen, als ein neuer Mensch, geschafsen im Bilde Gottes, als ein Kind an Unschuld und Lauterkeit des Herzens. In das verjüngte Jahr tritt du selber verjüngt ein, verjüngt in der Kraft zu allem Guten und Edlen; verjüngt in dem festen Vor- satz und Entschluß, Gott zu dienen und deinem Nächsten wohlzu- thun; verjüngt in den heiligenden Gefühlen zu ringen nach Frieden, Wahrheit und Gerechtigkeit. — Es spricht der Herr: „Werft ab von euch alle Sünden, wodurch ihr euch vergangen habt, schaffet euch ein neues Herz, einen neuen Sinn! Warum wollt ihr dahinsterben, Haus Jsraels!” Am heutigen Tage sitzeft du, o Gott, zu Gericht, und des Schofars Schall Verkündigt dem Menschen den Tag des Gerichts. Gott der Allerheiligste geht ins Gericht mit dem schwachen Erden- sohne, mit dem Staubgebornen, an dessen Schritte sich die Sünde klammert. „Gott, du schauest alle meine Heimlichkeiten, aller meiner Sünden Zahl, und ich muß vor dir ver- gehen!” Und wieder tönt des Schofars Klang, und inmitten seiner Töne durchdringt mich der tröstende Gedanke, daß du, o Gott, nicht nur unser Richter, sondern auch unser Vater, nicht nur allgerecht, sondern auch allgnädig und allerbarmend bist. Du haft auch diesen furchtbaren Tag, den Tag des Gedächtnisses, in deiner Vaterhuld für uns geschaffen und festgesetzt, nur uns zum Heil und zum Segen, um unser Gewissen aus seinem sorg- losen Schlummer wach zu rufen aus dem Leichtsinn und der Zer- streuung des alltäglichen Lebens und Treibens, uns aufzurütteln zum Bewußtsein unseres bcssern Jchs und unserer höhern Bestim- mung auf Erden. -— Und ein trostreiches Licht fällt mit diesem Gedanken in meine Seele, und betend und hoffend trage ich mein Herz zu dir hinan! In Thränen gedenke ich meiner Sünden, ich bereite tief und bitter all meine Vergehen, ich gelobe mir, von heut an, mich eines 45 bessern Wandels, eines reinern Lebens zu befleißigen, ich gelobe mich dir, o Gott, heute aufs neue an; mit neuer Liebe und neuem Eifer will ich deine Gebote befolgen, deinen heiligen Willen zu dem meinigen machen, und vor dir wandeln in Demuth und Un- terwürfigkeit. Allerbarmeri mögen meine Thränen und meine Reue, meine aufrichtigen und innigen Entschlüsse wirksame Für- sprecher für mich an deinem Throne sein, daß du versöhnt und freundlich auf tnich niederblicken- und mich befreien mögest von meiner Schuld, daß ich gereinigt und geläutert das neue Jahr be- ginne, damit es mir und den Meinigen Glück und Segen bringe. Gib, daß des Schosars mahnende Stimme das ganze Jahr in unserm Innern wiederilinge, um uns an dein allsehendes Auge und an den Tag des Gerichts zu erinnern, auf daß wir stets das Gute lieben, das Rechte üben, und jeden Reiz und Trieb zur Sünde überwinden, wie du bezwingest deinen Zorn und dich hüllest in Huld und Gnade. „Hei! dem Volke, das den Schasarklang verstehet, es wallet, Herr in deinem Lichte, in den Strahlen deines Angesichtes.” Betrachtung am Neujahrs- und Versöhnungstage. „Meine Sünden haben mich ergriffen- Jch wage nicht sie anzublicken.” (Ps. 40, 13.) Mein Gott, wie furchtbar und verabscheuungswerth ist die Sünde! —— Rein hast du die Seele geschaffen und uns eingehaucht, aber die Sünde schlingt sich an ihr hinauf, wie eine böse Pflanze, die dem Baume feine Nahrung entzieht, und entweiht die Tochter des Himmels, und entstellt in ihr das erhabene Bild des Schöpfers; sie nistet sich ein in unser Herz und verlöscht in ihm den göttlichen Strahl, zerstört in ihm jeden Keim zum Guten. Sie richtet sich auf, als eine furchtbare Scheidewand zwischen dem ent- weihten Geschöpfe und der heiligen hocherhabenen Gottheit, sie beraubt uns der süßen Tröstungen des Glaubens, und des erheben- den und beseligenden Aufblickes zu dir, mein Gott; sie vernichtet das frohe Bewußtsein, und die Ruhe und Zufriedenheit des Ge- müthes, verdunkelt den Himmel in uns, bedeckt uns mit Scham und Schmach und ersüllt uns mit Reue und Qual. 46 Ja, furchtbar und verabscheuungswerth ist die Sünde, denn sie entstellt und zerstört nicht nur unser inneres Wesen, sie entstellt und zerstört auch unsere äußere Gestalt. Zum Dank, daß wir sie ” in uns aufgenommen, rüttelt sie an den Pfeilern unserer Gesund- heit, zehrt des Lebens Kraft und Blüthe auf, und verwischt auf unserm Antlitze den Strahl und Abglanz der Gottesähnlichkeit, dessen Jnsiegel Unschuld und Reinheit des Herzens darauf einge- prägt haben. O, ich hasse und verabscheue die Sünde und will sie abschüt- tcln von mir mit aller Kraft der Seele! Erwacht in mir alle Re- gungen zum Guten, alle Triebe meines besseren Jchs, zum Kampf gegen die Macht des Bösen in mir; wach auf mein Gewissen in all deiner Gewalt, las; ertönen deine mahnende, drohende Stimme, wenn die Zauberworte der Verführung zu mir dringen, und ich in meiner Schwachheit und Verblendung von ihr überlistet und be- thört zu werden in Gefahr bin! O, meine Seele, gedenke deiner hehren Bestimmung und reiße dich los von der verderblichen Ge- meinschaft mit der Sünde, unterdrücke die fündlichen Neigungen und Gewohnheiten und fühle dich zu groß und zu erhaben für die Eindrücke dessen, was niedrig ist und gemein; gedenke deiner er- habenen Würde und tritt nur in Verbindung mit dem, was sel- ber erhaben ist und würdevol!, öffne dich nur für reine lautete Ge- danken, nur gottgesällige Gefühle nimm in dich auf, Entschlüsse, die mit dem Gedanken an Gott nicht im Widerspruche stehen ; nur den Wünschen und Bestrebungen gib dich hin, die nicht verletzend das Gewissen berühren, die nicht störend auf deinen Frieden und dein heiteres Bewußtsein wirken. In diesen heiligen Stunden, die du, mein Gott, zu unsrer Reinigung und Entsühnung, zur Wiedererweckung unsrer Tugend, zur Annäherung unsres Geistes an das Himmlifche und Göttliche geschaffen; in diesen heiligen Stunden will ich alle Kräfte mei- nes Wesens, alle Gefühle meines Herzens, all mein Wünschen, - all mein Wollen und Können in den Einen feststehenden Gedanken, in den Einen unerschütterlichen Vorsatz vereinen: alle bösen Triebe und sündigen Gelüste in mir zu tilgen, eine vollkommene Besserung und Bekehrung, die Wiedergeburt der Unschuld und Reinheit mei- nes Herzens in mir zu erwirken. — Doch, mein Gott, was hier in diesen heiligen Räumen mich durchglüht, wo ich deine Nähe mehr als an allen andern Orten ahne; was mich heute begeistert, wo ich mein Ohr verschlossen halte gegen jede Anforderung der 47 Sinne, wo ich losgerissen und abgeschnitten von allen Beziehungen zu der eitlen Welt und deren Aufregungen, mich ganz versenke in die Anschauung deines hocherhabenen Wesens und in die Betrach- tung meines eigenen Jchs; was ich heute empfinde: — wird es auch noch lebendig in mir bleiben, wenn ich diese Hallen verlassen haben und dem Leben und Treiben der Außenwelt wieder hingegeben fein werde, wenn ich gegen die Leidenschaften, gegen die Noth und die Sorge ankämpfen müßte, wenn die Locktöne der Verfüh- rung mir erschallen, oder wenn die Sünde in der blendenden Ge- stalt von Ruhm und Ehre mir erscheinen würde? Ach, in dem Bewußtsein der Schwäche und der Ohnmacht des menfchlichen Herzens zittre und bebe ich, daß meine frommen Entschlüsse nicht wieder wankend werden, daß ich meinen Gelöb- nissen und Vorfätzen alsdann nicht wieder untreu werde! Gib, Allgütiger, daß der heutige Tag nie aus mich seinen erhebenden Einfluß Verliere, daß der Geist des Guten, der mich heute beseelt, nie von mir weiche! Gib, daß die Sünde, in welcher Hi!lle sie auch erscheine, stets häßlich und verabscheuungswerth in meinen Augen sei, und wie verführerisch sie auch meinen Sinnen fchmeichle, ich dennoch nie aufhöre, sie zu hassen und zu fliehen, daß ich stets das wahrhaft Gute ehren, die Tugend erkennen möge in ihrem Adel, in ihrer ewigen Erhabenheit, sie lieben und hervorziehen, wo und wie ich sie sinde, wenn auch in den Hütten der Armuth und ” des Elends, wenn auch im Gewande der Dürftigkeit und der Nie- drigkeit! — Möge es mir gelingen, stets stark und fest und uner- schütterlich zu bleiben im Guten, möge ich stets besser und dir ähnlicher werden, mein Gott und Herr, um stets mit freiem Ge- wissen und froher Zuversicht zu dir aufschauen zu können. Amen. Während der Bußtage. „Mein Gott, ich schäme mich und scheue mich, meine Augen zu dir aufzuheben” (Esra 9, 6.) Wieder sind sie eingetreten die ernsten,heiligen Tage,gewidmet der Reue und der Buße, der strengen Selbstprüfung und Selbst- erkennung, der Rück- und Wiederkehr zu Gott, dem Allerhei- ligsten! So kehre denn, meine Seele, zuvor in dich selber ein! versenke deinen sorschenden Blick in die Tiefen deines innersten 48 Wesens, auf daß du wahrnehmest und erkennest deine Fehler und Gebrechen, um sie von dir loszureißen mit deiner ganzen Kraft und dann wieder rein zu werden vor Gott, dem AlIerhabe- neu. Ach wie Vieles wirst du an dir finden, was ihm miß ällig fein muß, was dich mit Scham und Reue wird erfüllen, daß du dich wirst fchämen und fcheuen müssen, deine Augen zu ihm aufzuheben. Denn ach, wie so Mancheshabeich verfchuldet, das wie ein dunkler Fleck das Buch meines Lebens entstellt; wie — viele Gedanken und Gefühle gehegt, die wie düstre Schatten den ursprünglichen Adel, die kindliche Reinheit der Seele und des Her- zens cinhilllen. Wie oft habe ich — ich, ein Kind des Staubes und des Wahnes, mich aufgelehnt gegen die Schickungen und Fü- gungen des Ewigen und Allweifen; wie oft habe ich lieblos ge- handelt gegen Gott, meinen allliebenden Vater, treulos gegen ihn, meinen treuesten Freund und Befchützer, Verrath geübt gegen den ewigen König und Herrn, wie oft have ich meine Gedanken durch die Truggestalten der Versuchung losreißen lassen von dem Quell des Heils und der Wahrheit. Der Gedanke an meine Sünden Iastet fchwer und fchmerzlich auf mir und das Bewußtsein meiner Schuld drückt mich so tief nieder, daß nur das Bewußtsein deiner ’ unendlichen Huld und Gnade mich zu trösten, daß nur der Glaube an dein grenzenloses Erbarmen mich aufzurichten vermag. Laß meine Reue, meine bußfertigen Gesinnungen vor dich kommen, mein Gott, der du stets nahe bist denen, die zerbrochenen und zerknirfchten Herzens sind. Laß du, Urquell aller Kraft und Stärke, die Kraft des Guten in meine Seele einströmen, stähle meinen Muth, stürke meinen Willen, daß ich mit aller Wärme und Innigkeit den Uebungen des Gottgefälligen mich hingebe, daß ich in Demuth wandle deine Wege, o Herr, Milde und Liebe übe ge- gen den Schwachen, freudig und eifrig alle Pflichten und Auf- gaben erfülle, die in meinem Wirkungskreise liegen, Geduld und Nachsicht habe gegen den Fehlenden, vergessend und vergehend, dem, der mich verletzt und beleidigt hat, die Hand reiche. Gieße in mein Herz, o Gott, reine und veredelnde Triebe, damit der heran- ” nahende Verföhnungstag mich rein und deiner Vergebung würdig finde und ich angefchrieden werde zum Guten, zu einem Leben Voll Glück, voll Heil und Segen, im Kreise meiner Lieben und Thea- ren, die du segnen und erhalten wollest in deiner Gnade. Amen. 49 Am Tage vor dem neuen Jahre oder dem Versöh- nnngsfeste, wenn man die Gräber besucht. „Wahrbeit wächst aus der Erde heran” (Ps. 85, 11.) Hier auf den Stätten der Verwesung will ich mein Herz für die erhabene Weihe des Versöhnungsfestes, dessen heilige Stunden nun heranrücken, vorzubereiten suchen. Wo anders wäre wohl eine geheiligte Stätte zu frommen Betrachtungen; zu einer de- muthsvollen Ueberschau des Lebens, als da, wo der Tod uns seine Lehren gibt und in so beredter, eindringlicher Sprache zu uns redet! Hier an den Grenzsteinen alles menschlichen Strebens, wo die hochfahrendsten Hoffnungen und Wünsche des menschli- chen Herzens unter dem Moder des Grabes zur Ruhe gewiesen sind, lernen wir die Dinge des Lebens ihrem wahren Werthe nach schätzen und würdigen. Hier lernen wir, was eitel ist und was des Strebens werth, was bleibend ist und was vergänglich, was wir fliehen und was wir suchen sollen, um einst im Ge- richte vor dir, mein Gott, zu bestehen. — Im Geräusche und Ge- wühle der Welt, da wird unser Blick gefangen durch die Blend- werke des Truges, unser Ohr bethört von den Lockungen der Ver- führung und der Lüge; der Wahrheit Himmelsstimme hallet frucht- los an uns vorüber. Doch hier an der Seite der Entschlafenen erhebt die Wahrheit ihr Haupt, denn der Tod legt das Zeugniß für sie ab! Der Tod, der den Schleier zerreißt, den Trug zer- stört und die Lüge entlarvt. Da erkennen wir, wie vergänglich alle irdische Größe und aller irdische Glanz, vergänglich aller irdische Genuß und aller irdische Besitz, und nichts bleibend ist als die Wahrheit und die Tugend. — Die Wahrheit und die Tugend, sie allein treten hier mit uns ein, sie allein führen uns durch die Nacht des Todes, in das Lichtreich des ewigen Seins. O, daß ihre Stimmen nie vergebens für mich ertönen mögen, daß sie in das Jnnerste der Seele mir dringen, und mich das ganze Leben hindurch begleiten, bis ich sel- ber hier eingehe zur Ruhe, neben denen, die mir vorangegangen. Und ihr Verklärten Seelen, deren sterbliche Hüllen hier ru- hen, euer Geist schaue in Freundlichkeit aus mich herab. Ich bitte nicht um eure Fürsprache an Gottes Thron, o nein, fern sei solch ein Gedanke von mir, denn bei Gott dem 2lllliebenden ist keine 50 Fürbitte und Fürfprache von Nöthen. Bedarf denn etwa das Kind eines Vermittlers feinem Vater gegenüber? — Wenn wir eure Gräber befuchen, so wollen wir nur die Erinnerung an euch und eure Tugenden in uns beleben, auf daß euer frommes Beispiel zu allem Guten uns ermuntere und von der Sünde abhalte. Der Art seid ihr die Schutzgeister, die vor uns einherziehen, die guten Engel, die uns auf ihren Händen tragen und jeden Stein uns aus dem Wege räumen. Und dafür fegne euch Gott, ihr theuern Seelen, mit feinem schönsten Himmelsfegen, mit den ewigen Won- nen feines Hin1melreiches. Amen. Am Vorabend des Verföhnungstqges. Und Gott sprach: „Jch verzeih was sie verbrochen. — Es sei so wie du gefprochen.” (4. B. Mos. 14, 29.) Allerheiligster! Unter tiefem Schauer öffnen sichmeine Lippen vor dir zum Gebete in dieser ernst feierlichen Stunde, da der große Tag der Sühne und Buße beginnt. Es eilet dein ganzes Volk hin zur heiligen Stätte, und aus zerknirfchten Herzen steigen Sang und Gebet zu dir empor. Wie an jenem großen Tage des Ge- richts, wo die Daheimgegangenen im ewigen Lichtkreife an deinem himmlischen Throne stehen, so stehen auch wir heute vor deinemAn- gesichte; offen liegt vor dir das Buch unsres Herzens, in dessen Blättern du liesest mit allfehendem Auge, dessen Inhalt du prüfest mit allumfassender Gerechtigkeit. Gott, mein Gott, die Engel des Himmels find nicht rein vor dir, und wie erst wir, die wir alle fchuldbeladen, schuldbewußt vor dir stehen! Verderben wohnt in unsrem Herzen, die Sünde feiert ihre Triumphe darin, und wir follten nicht zagen, und unsre Knie nicht in Angst zusammen bre- chen? —— Doch nicht um uns zu erdrücken durch die Last der Er- innerung an nnfere Schuld, nicht um uns aufzulösen in Furcht und Grauen vor deinem Zorne „,.deiner strafenden Richterhand, haft du diesen großen, gesegnetenTag geschaffen; sondern um durch ihn, dein an sich Verzweifelnden, den muthlos fich aufgehenden Sünder wieder zurückzuführen an dein Vaterherz, dem in der Nacht des Verderbens Wandelnden, dem Lichte deiner himmlifchen Gnade den Blick zu öffnen. — Dazu hast du uns diesen Tag gegeben 51 und ihn eingesetzt zum Allerheiligsten im Jahre, daß wir an ihm durch eine ernste Prüfung-, durch eine strenge Anschauung unsrer selbst das wieder finden, was uns so oft im Rausche. und Getüm- mel des Lebens, unter den Eindrücken und Einslüssen der Welt verloren geht: unser Iesseres Jch — unsern frommen Sinn — unser ländliches Herz — unser gläubiges Gemüth! Damit durch ihn die S-cheidewände fallen, die das Geschöpf vom Schöpfer trennen, die des Kindes Gemüth fern halten von des Vaters Herz, des Kindes Ohr verschließen für des Vaters Wort, dem Blick des Kindes entziehen des Vaters liebevolles Angesicht. Wie fchwer wir auch gesündigt, wie tief wir auch gefallen, wie weit wir von der rechten Bahn abgekommen; deine Huld und Gnade eröffnet uns den Weg zur Erhebung, zum Wiedereintritt in die Gemeinschaft der Frommen und Gerechten; und so wir in Reue und Buße zu dir uns wenden, haben wir die selige Verhei- ßung: „An dem Tage sollet ihr versöhnet werden, rein und frei von jedem Sündensleck und Makel; vor dem Ewigen, euerem Gotte sollt ihr rein sein.” So mögen denn, Allvater, meine Thrünen vor dich gelangen; mögest du mein Gebet, das in heißer Inbrunst zu dir aufsteigt, wqhlgefällig aufnehmen, und Schuld und Sünde von mir nehmen in deiner Barmherzigkeit, daß mich deine Huld umschwebe wie in den früheren Tagen meiner Unschuld, daß sich meine Seele frei und froh zu dir erhebe in dem seligen Bewußtsein deiner wieder- errungenen Liebe und Gnade! Mögest du mich stärken in meinem Streben zum Guten und deinen Schuh walten lassen über mich und Alles, was mir angehört. Amen. Am Morgen des Vcrsöhnnugstages.*) „Jch bekenne meine Sünden dir, Will mein Vergehen nicht bemänteln. Ich sprach: Meine Missethat gefiel) ich dem Herrn, Und du ver-gabst mir meiner Sünden Zahl.” (Ps. 32, 4.) Der Morgen des geheiligten Tages ist herangebrochen und wieder stehen wir vor dir versammelt, um das Werk der Sühne *) Der zehnte Tischri ist ein Fast- und Bußtag. der Selbst- prüfung, der Einkehr in sein Gemüth,'der Versöhnung mit Gott, mit der Welt und mit sieh selber gewidmet. 52 und der Buße, das wir am Abend begannen, fortzusetzen. Die Schauer der Andacht durchbeben jedes Herz, alle Lippen regen sich in inbrünstigem Gebete und reuig klopft der Sünder an sein Herz und kehrt um von seinen Wegen, um zu dir zurück zu kehren. Niedergedrückt und gebeugt stehe auch ich vor dir, Allbarm- herziger, das Herz wund von dem scharfen Stachel der Neue, den Blick gesenkt in tiefer Scham und mit heißen Thränen lege ich vor dir das schmerzvolle Bekenntniß ab: Gott, mein Gott, ich habe gesündigt, ich habe gefehlt und gefrevelt, und oft gethan, was schlecht ist und ungerecht in deinen Augen. Traurig und zerknirscht werfe ich den Blick zurück auf meinen Wandel, und ach, wie Vieles, tritt mir da als nagender Vorwurf entgegen, wie Vieles, das ich in schwerer, herber Selbstanklage als eine Frucht der Verirrung und der Versündigung meines Lebens erkennen muß! Angstvoll poche und klopfe ich an mein Herz und frage mich: Habe ich nicht so viel S„üt1diges wissentlich und absichtlich, oder auch ohne Wissen und Absicht begangen und in mir genähret? Bin ich nicht in des Herzens Härte gewandelt, habe ich nicht mein Gemüth verschlossen den Lehren des Heils und den Ermah- nungen zum Guten, wo sie aus deiner heiligen Schrift und aus dem Munde deiner Diener mir entgegen tönten? Habe ich nicht aus Unverstand gegen deine Wege gemurret, und habe ich nicht in meiner Kurzsichtigkeit an deiner Huld und Gnade gezweifelt, wo sie sich mir nicht so offen und sichtbarlich dargestellt? War ich nicht leichtfertig und nnbesonnen in meinen Reden und Aeußerungen, erwog ich stets jedes Wort, ehe es über meine Lippen kam und habe ich die Gabe der Sprache, mit der du den Menschen gesegnet hast, stets zum Guten angewendet? War mein offenes und geheimes Leben stets ein gleiches, und war ich niemals schwach genug, äußerlich das zu bekennen, was ich im Innern verleugnete, und wiederum anderes zu verschweigen und zu verheimlichen, was ich pslichtgemäß hätte aussprechen und offen- kundig machen sollen? Habe ich stets der Sittsamkeit n1ich beflissen, und niemals den Geboten weiblicher Keuschheit und Schamhaftigkeit zuwider gehandelt? Habe ich niemals durch meine Worte Anstoß und Aergerniß gegeben, niemals meine Lippen entweiht durch unzüchtige und un- sittliche Redensarten? 53 Habe ich nie mit böser Zunge meinen Nächsten angefallen, und statt der Liebe und des Friedens, den Haß geschürt und ge- nährt, habe ich mich stets frei gemacht von Tadel- und Verkleine- rungssucht? Habe ich niemals durch Klatschsucht und Angeberei Unheil und Unfrieden gestiftet und der Ehre meines Nächsten einen Flecken angeheftet? Ließ ich mich niemals verleiten, meinen Nächsten zu über- vortheilen, und vermied ich stets nach Kräften Alles, was ihm Schaden und Nachtheil bringen konnte; und habe ich derart im Verkehr und Erwerb, im Handel und Wandel stets Treue und Redlichkeit beobachtet? Habe ich nie sündiges Gelüste im Herzen gehegt, und hielt ich es stets verfchlossen all jenen Eindrücken, die es beflecken und verderben könnten? Ließ ich mich nie verlocken zu unerlaubten Genüssen, und bin ich nie dem Vergnügen nachgegangen, wo mich die Pflicht davon abrief? War ich auch immer bereit, meine Bequemlichkeiten zu opfern, um den Anforderungen zu entsprechen, die mir als Gattin, als Mutter und als Hausfrau obliegen? War ich nie gleichgültig gegen die Anforderungen der Reli- gion, gegen die Gebote Gottes, gegen das Heil meines Volkes? Habe ich nicht Trug und Tücke im Herzen genährt und durch Schein und Arglist meinen Nächsten hintergangen? Habe ich nie ein gedankenloses Bekenntniß vor dich, mein Gott, gebracht, mit den Lippen bloß, ohne daß mein Herz dabei war, und durch das Bekenntniß einer Sünde eben eine Sünde begangen? Habe ich nie im Uebermuth und in tadelhaftem Selbstver- trauen mich in Versuchungen begeben, und nicht sorgfältig die Gelegenheit gemieden, die so leicht zu Fehlern und Jrrthümern führt? Habe ich niemals die kindliche Ehrfurcht und Liebe verletzt gegen meine Eltern und Führer, und ihre Lehren und Ermahnun- gen niemals geringschätzig von mir gewiesen? Habe ich niemals meine Gewalt gemißbraucht gegen Schwä- chere und Untergebene? Habe ich niemals durch mein Thau und Lassen Gelegenheit gegeben zur Enttveihung deines heiligen Namens? 54 Habe ich nicht durch unbesonnene und thörichte Aeußerungen über das Heilige und Erhabene mich vergangen und versündigt? War ich niemals die Anstifterin zum Bösen, und habe ich niemals das Schlechte und Verwerfliche befördert, anstatt es zu unterdrücken? Habe ich nie verabsäumt , mich belehren und unterrichten zu lassen über das, was mir Pflicht ist zu thun und zu lassen, und bin derart der Sünde verfallen durch selbstverschuldete Unwissen- heit? Habe ich mich niemals und durch Nichts zur Ungerechtigkeit verleiten und bestechen lassen? Habe ich niemals zur Lüge meine Zuflucht genommen, zur Heuchelei und Gleißnerei? Habe ich niemals dem Spotte und der Lästerung Beifall ge- zollt, statt des Gehöhnten und Gelästerten mich anzunehmen? Habe ich nie das Gute gethan des Lohnes halber, und dem Hilfsbedürftigen die Hilfe gewährt für Zins und Entgelt? Habe ich nie eitel und hochmüthig das Haupt erhoben mei- ner Eigenschaften halber, und im eiteln Dünkel vergessen, daß du es bist, der sie mir gegeben in deiner Huld, ohne mein Ver- dienst? Blickte ich nie mit scheelen Augen auf das Glück meiner Mit- menschen, und beneidete ich nie den, welchen ich vor mir bevorzugt glaubte? Habe ich mich nicht vergangen durch eitle Hoffnungen, und Wünsche vor dir ausgesprochen, die thöricht und sündhaft sind? Blickte ich niemals stolz auf den Armen und GeringgestelI- ten, und habe ich in dem Unglücklichen und Dürftigen auch stets den Menschen in deinem Ebenl)ilde erkannt und gewürdigt? Habe ich mich nie schuldig gemacht der Anmaßung und der Härte, und war mein Blick und Wort stets sanft und mild, wie es dem Weibe gebührt und geziemt? War ich nie engherzig bei meinen Hilfeleistungen, habe ich meine Spenden nicht eng und kärglich zugemessen, und gab ich stets, wo ich geben konnte, mit Freudigkeit und Freundlichkeit im Blick und Herzen? Bestand ich nie hartnäckig auf meinen einmal gefaßten An- sichten, wenn gleich erfahrene und einsichtsvolle Menschen mir da- gegen ihre Gründe angaben, scheuete ich mich nie mein Unrecht zu 55 bekennen, und konnte ich nachgeben und zurücktreten, wo das Recht auch wirklich auf meiner Seite war, um des Friedens willen? Habe ich niemals mich verleiten lassen zu falschen Betheue- rungen, zu Schwüren, Verfprechungen und Zusicherungen, die ich nicht halten konnte oder wollte? Habe ich niemals unversöhnliche Feindschaft genährt, mich nie von blindem Haß beherrschen lassen ohne Prüfung und Unter- suchung? Hat mich niemals fchnöder Eigennutz und Geiz dahin ge- bracht, fremdes Gut mir anzueignen, ohne Fug und Recht? Habe ich nie in der Aufregung des Herzens Gutes und Böses, Heiliges und Gemeines mit einander verwechselt. Ach mit tiefem Schmerz und bitteren Thränen muß ich es bekennen, gar viel habe ich gesündigt, und mich gegen dich vergan- gen, gegen dich, mein Gott, der du mir stets ein so huldvolIer Vater, ein so treuer Beschützer und Hort warst! Gegen dich habe ich mich vergangen, ohne zu bedenken, daß ich durch mein Thun . und Lasscn deine Liebe verlieren, deinen Unwillen über mich herbei- führen mußte. — Doch, Allgütiger, so sehr wir auch fehlen, deine Huld ist immer noch größer als unsere Sünde, deine Gnade reicher weiter als unsere Schuld. „Es kehre zurück der Sün der zu mir, und ich will ihn Gnade finden lassen, ich habe kein Gefallen daran, daß er sterbe der sündige Mensch, sondern daß er ablasfe von seinem Wandel und lebe.” Das ist die trostvolle Verheißung, auf die gestützt ich mein Gebet zu dir aufschicke. Verwirf mich nicht, o Herr, vor deinem Angesichte, nimm deinen heiligen Geist nicht von mir, berge mich ferner unter den Flügeln deiner Gnade, wende ab von mir jedes böse Verhängniß, jede unheilvolle Begegnung, und verleihe mir, mein Gott, Kraft und Ausdauer, stets den guten Regungen meines Herzens zu folgen, auf daß ich immer würdiger werden möge dei- nes göttlichen Erbarmens und deiner beseligenden Liebe. Amen. 56 Zu Mnssas des Versijhnnngstages. „Das Opfer, das dir wohlgefällt, Jst ein gebrochner Sinn; Ein gebroch'nes, ein zerschlag’nes Herz, Gott, verfchmähst du nicht.” (Ps. 51, I9.) Mit Schmerz und Wehmuth begrüßt mein Herz die Erinne- rung jener Tage der Versöhnung, die unsere Väter in deinem großen Tempel zu Jerusalem gefeiert, wo Pracht und Herrlichkeit gleich einem Wiederschein deiner Glorie und Majestät sich über die geheiligten Räume ergoß, wo der Leviten Schaaren unter feier- lichem Sang und Klang, in Freudigkeit und Weihe deinen Dienst verrichteten, und der Hohepriester, strahlend in seiner Herzensrein- heit, und in seiner äußern Pracht vor dich hintrat, um für sein Volk, das in heiliger Scheu um ihn versammelt stand zu beten, und ihre Opfer auf deinen Altar niederzulegen, und wo er ihnen die felige Verheißung verkündete: „An diesem Tage wird der Herr euch versöhnen, daß ihr rein werdet von allen euern Sünden vor ihm.” Und das Volk, ergriffen und durchbebt von dem Na- men Gottes, dem ehrwürdigen, dem furchtbaren, wie des Hohe- priesters Mund in seiner Heiligkeit und Reinheit ihn aussprach, fiel nieder aufs Knie, bückte sich, und warf sich aufs Angesicht und rief: „Gelobt sei sein Name, sein Reich und seine Herrlichkeit in Ewigkeit” Und als der Tempeldienst zu Ende war, da strahlte des Hohepriesters Antlitz” wie die Sonne in der Mittagshöhe, wie die Gottesengel an dem Himmels-thron! Denn wohlgefällig ange- nommen waren Opfer und Gebet, versöhnt warst du, o Gott, rein war das Volk wieder vor dir, der Sünden Fleck und Makel, roth wie Blut, hatte sich in Unschuld weiß wie Schnee verwandelt. Und vor Freude und Jubel jauchzte das ganze Volk und ergoß sich in frohe Lieder, die Wanderer auf den Straßen stimmten an Gottes Lob, und priesen ihn mit Paukenschall und Harfenton — sein Name war ein Festgesang. Also feierten unsere Väter den Versöhnungstag. Doch uns ist nichts von all dieser Herrlichkeit zurückgeblieben: die geweihete Stätte, die gesegneten Hallen, die geheiligten Altäre, die heiligen Priester, die feierlichen Levitenchöre — sind nicht mehr; wir haben nichts als unsere heißen Thränen, als unser Blut, das wir im Fasten und Kasteien dir heut zum Opfer bringen. Und mit er- grifsenem, zerknirschtem Herzen flehen wir zu dir. Ach, Herr, wir 57 haben vor dir gesündigt und uns vergangen, wir und unser Haus. ——— Ach, vergib uns, Herr, unsere Schuld und unser Vergehen, nimm unsre Reue, nimm unsre Thränen, nimm unsre frommen Vorsätze und Entschlüsse als dir wohlgefällige Opfer an. — Laß die Cherubim deiner Gnade und Treue die Vertreter und Fürbitter für uns an deinem Throne sein, daß jeder Makel von uns genom- men werde, und unsre Schuld in Unschnld sich verwandle, daß wir gesühnt und geläutert uns fühlen, wie neugeboren , wie der frische Tag, wenn Nacht und Nebel weichen. — Laß auch in unser Herz die Freude einziehen und den Jubel und das frohe Bewußtsein der von Gott erlangten Versöhnung. Laß von neuem stari und kräftig in uns werden die Hoffnung auf Gott, die da nimmer täu- schet, und den frohen Gottesglauben, der wie Kühlung in des Som- mers Hitze das Herz erfrischet, daß von neuem du mit Huld und Freundlichkeit aus uns niederblickest und uns gewähren mögest alles das, wonach das Herz sich sehnt in seinen innersten Tiefen: Ein Jahr des Segens und des Gedeihens, reich an Frucht des Feldes und des Gartens, reich an beglückenden, segenvollen Ereignissen, aus daß Ruhe, Freude und Friede im Lande herrsche, und gesegnet all unser Thau und Unternehmen sei! — Lasse Wohl- stand und Wohlergehen einkehren in Haus und Hütte, daß wir fern von Noth und Kummer uns deiner milden Gottesgaben ersreun. Laß alle Kranken Heilung, alle Trauernden Trost, alle Witwen und Waisen Annehmer und Vertreter finden, und alle unsre Lieben und Angehörigen erhalte uns zu einem langen und beglückten Leben, daß wir stets rührig und rüstig, freudigen Geistes und Herzens deinen Geboten nachgehen, und deiner geheiligten Lehre anhängen in unwandelbarer Liebe „und Treue all unser Leben lang. Amen. Zug des Oberpriestecs nach und ans dem Tempel. Belchreibung von dem Einzuge des Hobepciesters in das Heiligthnm, und dessen Auszug aus emselben. Nach einer Schildernng eines vornehmen Römers, der dieselbe schriftlich hinterlassea, und die im שבט יהודה sich vorsindet. *) Sieben Tage Vor dem ausgezeichnetsten des Jahres, dem Ver- söhnungstage, wurden in dem Hause des Hohepriesters Thron- *) Der würdige Herr Dr. Letteris hat das Verdienst, auf diese schöne Schilderung im שבט יהודה aufmerksam gemAcht zu haben. 58 sitze aufgestellt für das Oberhaupt der geistlichen Behörde und deren Fürsten, für den Hohepriester und dessen Stellvertreter, und für den König. Außerdem noch siebzig silberne Stühle für die siebzig Senatoren. ” Sodann trat aus ihrer Mitte der Aelteste der Priester vor den Hohepriester hin und richtete folgende inhaltsschwere Anfprache an ihn: „Bedenke wohl, vor Wem du zu erscheinen, und Wessen Dienst du zu verrichten hast. Wenn während der erhabenen Feier die heiligen Gefühle der Andacht dich verließen, dann wür- dest du nicht nur dein Leben verwirken, sondern auch das Volk um seine Versöhnung bringen. Drum sind auch die Augen von ganz Israel auf dich gerichtet. Prüfe sorgfältig deinen Wandel, blicke in dein Herz, ob du von keiner Sünde dich belastet fühlst. So klein oft eine Sünde dem Menschen dünkt, so groß ist sie in Got- tes Augen. Auch den Wandel deiner Brüder, der Priester, prüfe wohl, und reinige sie. Bedenke wohl, daß du hintrittst vor den allfehenden Richterblick des Königs aller Könige — wie wolltest du nun kommen mit dem Feind (der Sünde) in deinem Busen? Darauf entgegnete der Angeredete, daß er bereits sein Herz geprüft und Buße gethan wegen Alles, was ihm Sündiges schien in seinem Wandel. Auch seine Brüder, die Priester, habe er be- reits in den Hallen des Heiligthums versammelt, und sie bei dem Namen Dessen beschworen, dessen Dienst sie dort versehen, daß Jeglicher reumüthig und offen bekenne, was er selber oder sein Nüehster gesündigt gegen Gott, auf daß ihnen die Buße dafür auferlegt werde. Auch der König redete sodann den Hohepriester wohlwollend an, und gab ihm die Zusicherung, ihn zu ehren, wenn er in Frie- den, nach Beendigung der hohen Feier, aus dem Heiligthume heimkehren würde. Hiernach ward öffentlich durch Herolde kund gethan, daß der Hohepriester sich anschickt, seine Gemächer im Heiligthume zu be- ziehen, da strömte alles Volk herbei, um dem ordnungsmäßigen Zug zu begegnen. Zuerst zogen alle die, die des königlichen Stammes waren, dann die Abkömmlinge aus dem Hause David reihenmäßig die Einen nach den Andern. Und die Herolde riefen ans: Gebt Ehre dem Königthum des Hauses David! Dann folgte der Stamm Levi, und die Herolde riefen: „Gebt Ehre dem Hause Levi! — Sechs und dreißig tausend waren ihrer, die An- führer an ihrer Spitze, trugen himmelblaue Seidenmäntel. Die 59 Priester, vier und zwanzig tausend an der Zahl, trugen weißseidene Gewänder. Dann kamen die Sänger, dann die T-onkilnstler, dann die Trompeter, dann die Pförtner, dann Jene, welche das Räucherwerk zubereiten, dann die Verfertiger der heiligen Vor- hänge, dann die Ehrenwächter, dann dieArchivare, dann ein Trupp, genannt Cartophelos, dann alle übrigen Geschäftsverwalter des Heiligthumes, dann die sieb,3ig Senatoren, dann hundert Priester mit silbernen Aexten zum Platzmachen, dann endlich der Hohe- priester, von allen ältesten der Priester paarweise gefolgt. An den Straßenecken waren die Häupter der Hochschulen aufgestellt, die folgender Weise ihn begrüßten: O Herr, o Hohepriester, zieh hin in Frieden. Bitte den Schöpfer, daß er uns das Leben lasse, um seiner Thora es zu weihen. Angekommen an der Pforte des Tempelberges, erhoben sie ein Gebet für die Erhaltung des Davidschen Königshauses, dann für die Priester in dem heiligen Tempel. Das Amen, das darauf aus hunderttausend Kehlen emporstieg, erfcholl so mächtig, daß die Vögel in den Lüften zu Tode erbebten. Darauf neigte sich der Hohepriester vor dem Volke, und schied weinend und bangen Gemüthes aus seiner Mitte. Darauf gelei- teten ihn zwei Priesterhäuptlinge in seine Gemächer, allwo er von seinen Collegen, den Priestern, Abschied nahm, und von Allen ge- trennt, die sieben Tage verlebte. Also war der Einzug. Der Heimzug aber war noch einmal„ so herrlich. Vor dem Hohepriester her zog alles Volk Jerusalems, weiß gekleidet, mit weißen brennenden Wachskerzen in der Hand, alle Fenster waren mit T-eppichen behangen und festlich erleuchtet. Seiten gelang es dem Hohepriester, durch den großen Volksandrang aufgehalten, vor Mitternacht sein Haus zu erreichen; denn keiner mochte sich entfernen, ohne wo möglich die Hand des Hohepriesters geküßt zu haben. Tags darauf feierte er mit seinen Verwandten und Freunden ein großes Fest, weil er in Frieden die hohe Feier beendet und das Heiligthum wvhlbehalten verlassen hatte. Dann gab er einem Goldschmied den Auftrag, eine goldene Platte anzufertigen, darauf folgende Inschrift kam: Ich, der Hohepriester N. N„ Sohn des Hohepriesters N. N., habe an dem hochherrlichen Heiligthume den hochpriesterlichen Gottesdienst versehen, in dem Jahre so und so nach der Weltschüpfung. Der mich dieses 60 Amtes würdig hat befunden, Er möge auch meinen Sohn der Würde theilhaft werden lassen, den hohen Dienst in feinem Hause zu verwalten. Seelengebet. (הזכרת נשמות׃) „Ein Licht Gottes ist der Menschen Seele.” (Spr. Sal. 20, 27.) Es ist ein tief wehmüthiges Gebet, das wir in dieser Stunde vor dich gelangen lassen, unser Gott und Herr, das Gebet für die Seelen der theuern Hingeschiedenen, die der Tod von unserer Seite gerufen und der Erde entnommen hat. Hinfällig und gebrechlich ist des Menschen Leben, hinfällig und wandelbar Alles, was es bringt und trägt; keines, darauf er sich verlassen, darauf er sich stützen könnte, fein Glück nicht, seine Weisheit nicht, sein Glanz nicht, feine Größe nicht. Am Morgen noch geehrt, erhöhen Am Abend er ganz in der Tiefe stehet, Ain Morgen hoch beglückt, Am Abend tief gedrückt, Am Morgen blühend roth, Am Abend bleich und todt! — Doch Eins ist unser Trost und unsre Hoffnung, daß wir nicht enden, nicht zu sein aufhören mit dem Tode. Der Seele Herrlichkeit fährt nicht in die Gruft hinab. Wohl vergeht das irdische Leben, doch ein anderes Leben beginnt, ein Leben in dei- ner Nähe, der Seligkeit in deiner Rechten. Der Staub kehrt zum Staube, von wannen er gekommen, aber der Geist kehrt zu dir zurück, der du ihn gegeben, und lebt vor dir und bleibt bei dir, unser Hort und Erlöser. Da findet die Seele das Ziel, nach dem sie gestrebt, da findet Ruhe das fehnende Herz, und die schmaehtende Seele Heil und Befriedigung. Da ist kein Weh, kein Jammer, kein Schatten, keine Wolke, kein Zweifel und keine Verzweiflung. Keine Bosheit verfolgt da den Unfchu digen, keine Gewaltthat drückt den Schwachen nieder, der sich nicht zu wehren 61 vermag. Kein Schatten umdunkelt das ftille Verdienst, und keine Ungerechtigkeit verbittert des Edlen Gemüth. — Da weilen die Theuern, die uns voraus gegangen sind, da weilt der verklärte Geist — meines geliebten Vaters — meiner geliebten Mutter —— —— . . . In Liebe und Herzinnigkeit geden- ten wir ihrer heute vor dir, mein Gott, und beten zu dir für die Ruhe und für den Frieden ihrer unsterblichen Seele. Gib ihnen, Herr, einen hellen, lichten und heitern Sitz in deinem Himmel- reiche, daß jede Sünde ihnen sei vergeben, und jede Schuld ihnen sei erlassen, daß sie in deiner Nähe mögen leben, ein ewiges und seliges Leben, geläutert und gereinigt, verklärt und beseligt in der Anschauung deiner Herrlichkeit und im Glanze deiner Gottesnähe. Amen. Zu Mincha des Versöhnungstages. Liebe und Gerechtigkeit übe und hoffe immer auf deinen Gott. chof. 7, 2.) Allerbarmer, ohne Unterlaß steigt unsre Andacht zu dir auf, um Versöhnung und Vergebung zu erjlehen für unsre Sünden, die wir aus- ganzem Herzen und voller Seele bereuen. — Doch unsre Reue, wie nichtig, wie fruchtlos ist sie, wenn sie nicht die Mutter frommer Entschlüsse und edler Thaten wird; wenn sie nicht als „ Wecker und Wächter unsres bessern Jchs sich hinstellt, daß es nicht wieder untergehe in dem wogenden Strom des weltlichen Treibens und Jagens. O, daß die Reue, die ich empfinde, eine solche Wirkung auf mich nicht verfehle, daß ich stets von dem Sündhaften mit seinen traurigen Folgen fern bleibe, daß ich mit allen meinen Kräften dem Guten nachftreben und in allem Edeln und GottgefälIigen ein Vorbild für mich suchen und finden möge. Und wie viele erhabene Vorbilder bietet mir hierzu die heilige Schrift aus dem Leben der Stammväter unsres Volkes, jener großen und heiligen Männer, die vor dir gewandelt in noch uner- reichter Hingebung, und deren Leben wir heute vor dir gedenken zu unsrer Versöhnung und Begnadigung vor deinem Throne. Jizchak, den längst Crfehnten, den Einzigen, das Kind seines Alters, führt Abrahan1 auf Gottes Wort als Opfer zum Altare 62 hin, ohne Murren, ohne Klage und ohne Frage. Auf Gottes Ruf antwortet er freudig: Vater hier bin ich! — O, ich fühle es an dem Pochen meines Herzens beim Gedanken an mein Kind, wie des Vaters Brust sich zusammenschnüren mußte, bei dem Gedanken, auf immer von feinem Kinde zu scheiden. Alle Wünsche und Hoffnungen feines väterlichen Herzens legt er zugleich mit ihm auf den Altar nieder. Was bleibt dem alten Vater, der sein einzig Kind dem Tode in die Arme legt? Doch er, ohne Schwanken und Zaudern folgt er der göttlichen Stimme und z: m Opfer ruft er feinen Sohn. Und Jizchak selber, in der schönsten Blüthe seiner Tage, ge- wöhnt an die Liebe seines Vaters, der ihn auf den Händen trug, und an die Zärtlichkeit einer Mutter, die auf den leiseften Wunsch feines Herzens lauschte — dieser glückliche Jüngling, für den die Erde so schön und das Leben so herrlich sein mußte, er widerspricht nicht, er murrt nicht, er ist das Lamm, das Gott sich ausersehen, das genügt, um seinen Nacken willig dem Opfermesser hinzuneigen und freudig in den Tod zu gehen. Was ist wohl größer, was nachahmungswürdiger, als diese erhabene, sich selbst vergessende Hingebung, womit Abraham fein kostbarftes Lebensgut, Jizchak das L eb en selb er Gott darbringt! — Und der Geist der Liebe, der eine solche innige Hingebung be- wirkt, er sei mein Ziel und Strebepunkt, ihm will ich öffnen Herz und Seele. Gib o Gott, daß er darin einziehe, darin herrschend werde, und auf all mein Denken und Fühlen, auf all mein Thun und Lassen seinen wohlthätigen Einfluß übe. Denn nur die Liebe macht stark zu jeglichem Opfer. — Wenn ich die Liebe zu Gott im Herzen trage, dann gehe ich unverwandt und frohen Muthes des Herrn Wege, wenn auch der müde Fuß über schroffe Klippen muß, wenn auch Stein und Dorn ihn blutig ritzen, und freudig erfülle ich des Herrn Gebote, wenn sie auch Manches von mir verlangen, was mir schwer dünkt, Manches von mir fordern, was meinen weltlichen Vortheilen und Jnter- essen entgegen zu sein scheint, was meinen liebsten Neigungen zuwider sein mag! Die Liebe ist stark, sie hilft mir tragen und überwinden und wo der Herr das Opfer heischt, da rufe ich freu- dig: Vater hier bin ich. Und wenn die Liebe zu meinen Nebenmenschen mich beseelt, wenn sie wahrhaft mein Jnneres erwärmt, wie erhebt und veredelt sie dann mein Herz, mit welcher Freude eile ich, meinem Nächsten 63 wohlzuthun; ich suche seinen Kummer zu mildern, seine Thränen zu trocknen, ich weine mit dem Unglücklichen und freue mich mit dem Glücklichen, ich hüte mich sorgfältig ihn zu verletzen oder durch harte Reden oder hämische Anspielungen ihn zu kränken, ich übe Geduld und Sanftmuth gegen meine Umgebung, und bin lieb- reich und freundlich gegen meine Untergebenen; dem Armen und Dürftigen neben mir ve;fchließe ich niemals meine Hände, mit Freuden bringe ich der ächstenpflicht jedes Opfer, und wo sie mich ruft, antwortete ich stets: „Hier bin ich.” Wie glückselig ist das Leben, das unter den Einflüssen einer solchen Liebe dahingel)t. Unter ihrem reinen Strahl klären steh alle Wünsche und Gefühle des Herzens, da weicht die Sünde, da fliehen die unseligen Leidenschaften und nur reine und lautere Triebe füllen Herz und Seele. Eine solche Liebe, o Gott, gieße in mein Herz, eine solche Liebe laß mich durchdringen, der du bist der Ursprung und Urquell aller Liebe. Amen. Zum Skhlusse des Vcrsöhunngstagcs. (Nëilah.) So fern der Mor en ist vom Abend. Entfernt er unsre åchuld von uns. (Ps. 103, 12.) Allmächtiger, Allbarmherziger! Es neigt sich zu Ende der heilige Tag, den wir in ununterbrochener Buße und Kasteiung, im Ringen nach Läuterung und Heiligung unsrer Seele verlebt haben. Und noch einmal erheben wir unser flehendes Auge zu dir, und noch einmal rufen wir in heißer Inbrunst deinen Namen an, und preisen dich, der du die Pforten deiner Barmherzigkeit ösfnest dem reuig wiederkehrenden Sünder, und die Schuld des Missethäters tilgest in der Kraft deiner Gnade! Es scheidet der Tag, o jnble und freue dich, meine Seele, mit ihm scheidet und schwindet die Sündenlast, die dich gedrückt. Ge- läntert, gesühnt, erhoben hat dich der Herr, er hat erhört seines Volkes flehende Stimme, unser Fasten und Kasteien als wohlge- fälliges Sühnopfer aufgenommen und die versöhnende Vaterhand uns dargereicht. Als büßende Sünder haben wir das Haus be- treten, als schuldlose Kinder verlassen wir es. 64 Möge, o Gott, diese Reinheit, diese Unschuld des Herzens, die wir uns heute vor dir errungen, nimmer von uns scheiden, möge der Adel der Gefühle, dessen wir uns heute sind bewußt ge- worden, uns begleiten bis zum Neigen und Scheiben unsres L- benstages, damit unsre Seele dereinst, wie nach einem heiligenden und verklärenden Versöhnungstage, voll Reinheit und Unschuld die Erde verlasse, um zu dir einzugehen in die himmlischen Woh- nungen des Jenseits. Amen. An den ersten Tagen des Lanbhüttensestcs. *) Das Fest der Hütten follft du feiern sieben Tage lang. (5. B. M. 16, 13.) Abermals ist ein Fest für uns eingetreten, ein Fest, ganz ver- schieden von dem, das wir erst jüngst begangen. Jenes feierten wir durch Thränen und Bnßübungen, durch Kasteiung und Ent- behrung, dieses feiern wir in Freuden mit Jubel und Lobgesängen, wie da geschrieben steht: „Und ihr sollt Euch freuen vor dem Ewigen, eurem Herrn, sieben Tage lang.” Und wie sollte nicht Heiterkeit und Frohsinn unser Herz durchdringen, wie sollte nicht heilige Freude unsre Seele füllen, nachdem eben dieses Fest der Versöhnung vorangegangen, und nachdem du, mein Gott, genommen hast von uns unsre Schuld, und uns frei gemacht von unsern Sünden! Wie hätte das, vom Bewußtsein der Schnld gedrückte Gemüth sich einem Freudenstrahle erschlies3enkönnen, wenn du nicht die versöhnende Hand uns gereicht, und unsernNamennicht gelöscht hättest aus dem Buche der Schuld. Doch nicht nur versöhnt hast du uns, nicht nur die wohlverdiente Strafe unserm Haupte entnommen, sondern in Liebe und Freundlichkeit hast du dein An- gesicht uns wieder zugewendet. Nicht wie der Herr dem Knechte *) Das Suckoth- oder Lanbhüttenfest beginnt am Abend des vier- zebnten Tischri und dauert ursprünglich nach dem Gebote der Schrift acht, bei uns jedoch neun Tage. Die Bedeutung dieses Festes ist die Erinnerung an die wunderbare Erhaltung und Verpsicgnng unserer Voreitern während ihrer Wanderung durch die Wüste, wo sie in offe- nen, freien Zeiten wohnten. Es ft zugleich, da es im Herbste ge- feiert wird, ein Dant- und Erntefest. 65 verzeiht, sondern wie der gütige Vater sein reuig Kind wieder auf- nimmt in seine Arme, es wieder legt an sein Herz, und es wieder hegt in Liebe und Erbarmen, also thust du, Allvater, an uns in deiner göttlichen Huld. Und so freuen wir uns denn und sind fröhlich vor dir, mein Gott, und mit frohem getröstetem Herzen betreten wir die festliche Hütte, die wir uns erbaut und geschmückt, deinem Gebote zu Eh- ren, und aus geläutertem Herzen steigt unser Gebet zu dir empor. In Hütten feiern wir das Suklotfest, gleich einem Nomaden- voll, gleich unsern Vätern in der Wüste, die während ihrer Wan- derschaft in Hütten wohnten. Welch eine schöne Periode in dem Leben unseres Volkes war dies! — Groß durch deine Wunder und gesegnet durch deine Liebe, in der freien, offenen Natur zelteten unsere Väter, aber um sie und über sie schwebte deine Huld und schützte sie vor jedem lauernden Feind, vor jeder Gefahr und Noth; eine Wolkensäule war ihr Schutz am Tage, eine Feuersäule in der Nacht; zum fri- schen labenden Quell ward ihnen der dürre Fels, aus der Wolke senkte sich die Speise für sie herab, unversehrt wandelte ihr Fuß über den glühenden Boden, und ihr Gewand zerriß nicht, bis sie eintraten in das gelobte, gepriesene Land, das du ihnen zum Erbe und Eigenthum verheißen. Und hat nicht seitdem fort und fort deine göttliche Wunder- kraft an uns sich offenbart? Hast du nicht fort und fort deiner Gnade Schirm und Obdach ausgespannt, und die Fittige deiner Huld ausgebreitet über die Häupter deines Volkes, wo Feindes Macht sie zu vernichten drohte! Seit Jahrtausenden ist Israel das Wandervolk auf Erden, gen Morgen und gen Abend zogen wir hin und überall ward der Boden unter uns eine heiße und glühende Wüste, jeder frische Quell ward für uns verschlossen; gebrechliche Hütten, nur wankend und unsicher waren unsre Wohnungen, die der Zeiten Unbill und der Völker Haß und Vorurtheil oft genug über unserm Haupte nieder- und zusammenrissen. „Nur deiner Gnade danken wir es, daß wir nicht untergingen.” Deine Barmherzigkeit hat uns gehalten und getragen über Ströme und Fluthen, über jeden Abgrund, der uns zu verschlingen drohete. Und nun nach langer Wanderschaft hast du uns kosten lassen die Süßigkeit der Heimath! Dank dir, haben wir ein Vaterland gesunden, ein schönes, herrliches Land, das uns als seine Kinder anerkennt; die wandernde Hütte des Fremdlings, 66 des Geduldeten hat sich in die feste bleibende Stätte des Einhei- mischen und Eingeborenen verwandelt, sichet:”und ungestört, wie Israel einst in dem Schatten seiner Palmen und Feigenbäume, ruhen wir unter dem Friedenszelt des Gesetzes, wie alle, unsere Brüder im Lande. Drum sei gepriesen, Herr, für die Wunder, die du einst unsern Vätern erzeiget hast, und für die Wunder, die du uns, ihreniKin- dern, noch heute erzeigest! Du hast uns nicht verlassen und wirst uns nicht verlassen. Gepriesen und gebenedeiet sei dein heiliger Name. Amen. An den letzten Tagen des Laubhüttenfestes. (Schemini Azereth.) „Freue dich an deinem Feste.” (5.B. Mose 16, 14.) Mit dem heutigen Tage beschließen wir das Laubhüttenfest und mein Herz erhebt sich zu dir, Allgütiger, um dir„ zu danken für jede frohe festliche Empfindung, die du mich hast fühlen, für keden frohen festlichen Genuß, dessen du mich hast theilhastig„werden assen. Wir sind in Hütten gefessen, wie du geboten, und haben un- gestört und in F-rohmuth unsre Festmahle darin eingenommen und mit frommen festlichen Gefühlen beim Freudenbeeher, deinen Na- men geheiligt und gepriesen. Wir verlassen nun diese Hütten und ziehen ein in unsre festen Wohnungen mit allen ihren Annehmlich- keitenund Bequemlichkeiten. Mögest du aueh.das Obdach.deines Friedens, über uns breiten, n1i5gest du es uns nie vergessen lasseu, daß du allein unsres Hauses Stütze und Säule, unseres Lebens Schutz und Schirm bist, daß„ du es bist, der da segnet Feld und Flur, Tenne und Kelter, daß du unser Erdenleben schmückest mit den Gaben deiner Huld und die Pforten deiner Himmelswoh- nungen„uns aufthust, wenn unsre Leibes- und Lebenshütte„hienie- den über uns zusammensinkt. Eine Laubhütte wohl ist unser Leben, grüne Hoffnungsblät- te: bilden- das Dach, die Wände überkleidet von Schmuck und Zierde, der Tisch gedeckt mit einladenden lockenden Genüssen. Wohl begehen wir darin heitere Feste, und blicken fröhlich hinauszin, 67 die freundliche Natur, aber gar oft trübtsich der Himmel, und mitten in unsern fröhlichen Mahlen, mitten in unsern festlichen Freuden durchdringen uns plötzlich die kalten Schauer des Mißgeschickes, fal- len schwere Tropfen bittern Leidens und Weh’s auf uns nieder; durch das heitere frische Laubgewinde unsrer Hoffnungen fährt der rauhe Nord, entblätternd und zerstörend, und an den Wänden und Säulen unseres Glückes rüttelt und schüttelt der Sturm, eine Freudenblume nach der andren fällt entblättert zu unsern Füßen nieder, ein Lebensschmuck nach dem andern geht verloren, tiefes Weh durchzieht unsre Seele und wir glauben uns preisgegeben dem Unbille des Schickfals. Da ist es unser einziger Trost, daß unser g anzes L eben nur ein Hüttenfeft ist, das nur wenige Tage dauert. Bald bricht die Erdenhütte über uns zusammen, es fällt unsre irdische Hülle nieder, und unsre Seele kehrt zurück in die unvergünglichen Wohnungen des Himmels; zurück bleiben alle ir- dischen Freuden, die meist so unbefriedigend sind, die stets noch so Vieles zu hoffen und zu wünschen übrig lassen, zurückbleiben alle Erdennöthen, alle Erdensorgen und Erdenleiden, mit aber nehmen wir all unsre Thaten und Werke, alle Liebeshandlungen, die wir hier geübt, alle Opfer, die wir dem Guten und Edeln gebracht, all die Thränen, die dankbare Herzen uns nachweinen. Sie bil- den den Schmuck und den Glanz unsrer himmlischen Wohnungen, der nie verbleicht und nie vergehet. Dort reifen unsre Hoffnungen zur glänzenden Frucht, dort erblühen unsern Verdiensten ihre Kronen, dort verklären sieh all unsre Leiden in endlose Freuden. Dies Alles laß uns gedenken, mein Gott, daß es uns zur Lehre und zum Heil gereiche auf unsrer Erdenbahn, daß wir uns nie niederdrücken lassen von des Unglücks fchwerer Hand, daß wir uns nicht überheben in des Glückes Glanz und Strahl, daß wir -nicht um den Schmuck der slüchtigen Hütten hingeben die Herr- lichkeiten des ewigen Seins, und unser Wandel stets ein reiner, heiliger, dir gefälliger sei und bleibe. Amen. Am Thora - Freudenfest. „Gottes Gesetze erfreuen das Herz.” (Psalm 19, 9.) Wir feiern heute ein hohes Freudenfest, das heilige Fest des Glaubens und der Gotteslehre. Mit Freude und Liebe horchen wir den letzten Worten, womit die heilige Thon: sich an uns wen- 68 det; mit Freude und Liebe begrüßen wir sie, die sich heute von Neuem uns erschließt. Sie ist es, die uns so reich an Gottesfreu- den, die uns so wahrhaft glücklich macht. Sie ist der Lebensbaum, an dessen Früchten der unsterbliche Geist sich nährt, und die fromme Seele sich ergötzt; sie ist das Panier, um das sich alleFrommen schaa- ren und alle Glaubensstarken sich die Hände reichen zum heiligen Bunde; sieistdie Fahne, zu der sie schwören, zu vollbringen das Gute und Heilige, zu Gottes Ehre und zu ihres Glaubens Verherrlichung; sie ist das Banner, dem sie folgen durch die Erdenpilgerschaft; sie ist der Kelch, aus dem wir trinken stille Ruhe und Gottesfrieden für das stark bewegte Herz, frohe Hoffnung und süßen Glauben für das bang verzagte Gemüth, Himmelstrost und Lebensbalsam für die schmerzenswundeSeele; sie ist dieSonne, die uns das dunkle Erden- thal erhellt, sie ist das Licht, das die düstere Hütte des Elends und des Ungemachs verklärt und in reiner Gottesfreude strahlen macht. Dank und Preis und Ruhm dir, Allerhöchster, daß du ein solches Kleinod uns hast anvertraut. Verherrlichung und Anbe- tung dir, daß du durch dein Wort, durch deine Lehre unser Leben so reich, so bedeutungsvoll gemacht. Ohne sie wäre unser Leben nur ein wüster, banger Traum, eine Brücke ohne Lehne, ein Kahn ohne Führer auf stürmischer See. O, mir schwindelt, wenn ich bedenke, was ich ohne sie wäre, und heiliger Jubel durchzieht meine Seele, wenn ich denke, was ich in ihr besitze. Gib, Allmächtiger, daß dein göttliches Wort stets in mir lebe, mein Herz veredle und stark mache, stark im Glauben, stark in der Liebe und Treue zu dir, stark im Dulden und Tragen deiner Prüfungen und Schickungen. Möge nie der Segen deiner Lehre von meinem Hause, von meinen Kindern und von meinen Kindeskindern weichen; möge der helle Strahl deines Gottesfrie- dens und deiner Gottesfreuden uns stets erlenchten und verklären. Amen. Gebet am Lcchtfcste. *) (חנוכה) Und Gott sprach: ”Sind sie doch mein Volk, Kinder, die nicht falsch sein werden,” und so ward et ihnen zum Helfer. (Jos. 7, 8.) Mein Gott und Herr! Freundlich schimmern heute in unsern Wohnungen die Lichter, die wir, als die Nacht sich niedersenkte, an- *) Channka, das Fest der Temvelnseihe, tritt am Abend des 24. Nizlaw zum Angedenken an den Heldenkampf der Makkabäer wodurch Israel von schwerem Ioche befreit, und der Tempel von Gözen- thum gereinigt und abermals eingeweiht wurde. Es wird acht Lage lang durch Anzünden von Lichtern gefeiert. Ein Werkverbot findet jedoch nicht statt. 69 gezündet haben, daß sie uns leuchten als wohlthätige Erinnerung jener Zeit, wo du das Licht deiner Gnade uns ausgehen ließest in der Nacht des Bedrängnisses und der Gefahr. Als die grausame Hand des Antiochus sieh gegen dein Volk erhob, es bedrückte und mißhandelte; als er im wahnwitzigen Eigensinne es zwingen wollte, unserm erhabenen Glauben zu ent- sagen, unsere reine Gottesverehrung in Abgötterei zu verwandeln, als er den Gottestempel entweihte, das Allerheiligste sehändete, hast . du ihnen aus ihrer Mitte mächtige, glorreiche Kämpfer und Ver- fechter des Rechts hervorgerufen, und den edeln Söhnen der Makka- bäer an der Spitze der kleinen Schaar Sieg und Triumph verlie- hen. „Da kamen unsre Väter in deinen Tempel, rei- nigten das Heiligthum, das die Barbaren entweiht hatten, zündeten die Lichter an heiliger Stätte an, und weiheten diesen Tag dem preisenden Hosiana für alle Zeiten.” Im Schimmer dieser Lichter hier spiegelt sich uns jene Zeit zurück, wo das hingebendste Vertrauen, die kindlichste Liebe zu dir, du ewig Erhabener, wieder einzog in das verzagte, ent- muthigte Herz deines Volkes; wo deine geheiligte Religion von Neuem die Gemüther beseelte, und sie durchglühte in ihrer himm- lischen Kraft und Reinheit, in ihrem ewigen Glanz und Adel. Mögen diese kleinen Lichter, die das Andenken jener großen Epoche uns herauf:-ufen, auch in unserem Herzen die heiligsten Gefühle der Gottesfurcht, der Liebe und des Vertrauens zu dir, Allvater, immer von Neuem entzünden und beleben, damit wir in den Tagen des Unglücks und des Trübsals nie entmuthigt und verzagt werden, und wenn deine göttliche Hand uns eine schwere Prüfung auferlegt, fromm und ergeben deinen Willen ehren, gedul- dig das Auferlegte tragen und niemals verzweifelnd wähnen: „Für uns ist keine Hilfe bei Gott.” — Du legst die L ast auf und schickest das Heil, du wandelst Finsterniß in Licht und Trauer in Freude. Mögest du unsre Herzen starkund kräftig machen, daß wir uns stets in aufopfernder Hingebung und heiliger Ausdauer für dich und dein Gotteswort als muthige Kämpfer und Verfechter deiner göttlichen Gebote bewähren. Amen. 70 Das Fest der Loose. *) (פורים) „Den Jehndim ward Licht, Jubel, Freude und Berherrlichung.” (Esther.) Jubel und Freude dnrchziehen heute alle Herzen deines Vol- kes, mein Hort und Schutz. Von glühenden: Dank überfließt unsre Seele stets an diesem Fest- und Gedenktag unsrer Errettung und Erlösung aus einer Hand, die so Schreckliches über uns ver- hängte. Tückischer Feindessinn hatte das Furchtbarste über Is- rae ausgesponnen. Nicht Sklaverei sollte unser Loos fein, denn sie trägt ja noch die Hoffnung auf einstige Freiheit in ihrem Schoofz, nicht Armuth und Noth sollte uns niederdrücken, denn der Zeiten Gang kehrt Ia oBidie Loose um, und Sorge und Ueber- fluß tritt in das Haus des angels — ganz sollten wir vernichtet werden, ganz aus dem Leben ger1ssen und vertilgt, mit allen un- sern Hoffnungen und Erwartungen! Keine Zukunft mehr sollte es geben für Israel, mit Einem Streiche sollte der der ganze Stamm ge- fällt merden, mit Krone und Wurzel, mit Aft und Zweig. Doch, du Retter der Vedrängten, du Veschüßer der Verfolgten, du hör- test den Hilferuf deines Volkes, den Schrei ihres bebenden, ge- ängstigten Herzens, und sandtest ihnen Rettung und Erlösung, wandeltest ibnen Trauer in Freude, Tod in Leben, Elen und Schmach in Ehre und Verherrlichung. Du ließest des gottlofen Haman unheilvolle Pläne zurück- fallen auf fein eigenes Haupt, die Grube, die er gegraben, that sich für ihn selber auf, und die Gluthworte der Vertilgung, die er auskgstprochen über Israel, verzehrten ihn selber und seinen gan- zen Stamm. Und durch wen hast du dies Alles herbeigeführt und voll- bracht? Ein schwaches Weib, o Gott, haft du auserwählt zu deinem Boten, zum Werkzeug der Rettung deines Volkes, damit alle Welt daraus erkenne und inne werde, wie groß du auch in dem Kleinen bist, wie mächtig auch in dem Schwachen; wie in deiner Hand das Unmächtige zur siegenden Kraft, das Gebrechliche *) Am 13. Adar wird das Fest der Loose (פורים) gefeiert, zur Erinnerung an die wunderbare Rettung unsrer Väter von den Ränken eines Vösewitchtes, der ihnen den Vertilgungskrieg zugeschworen. Die Helden diefer wunderbaren Geschichte, von Gott zu feinen Vermittlen auserkoren, waren die Königin Esther und Mordachai, der erst feinem König, dann seinem Volf das Leben gerettet. 71 zum Erhabenen wird, damit wir daraus lernen und es beherzigen, daß, so gering und schwach ein Mensch auch fein mag, er dennoch durch dich berufen ist, das"Gute zu üben und zu vollbringen, zum Nutzen und Frommen seines Näehsten. Gib, o Gott, daß es auch mir mit meinen schwachen Kräften gelinge, Gutes und Nützliches zu wirken, daß mein Leben nicht spur- und fruchtlos dahingehe, und mein Name würdig und theil- haft werde des Segens derer, die mit und-nach mir leben. Amen. Gebet eines jungen Mädchens. „Flüchtig ist die Amnuth und die Jugend, Ewige Schönheit schenkt uns nur die Tugend” (Sprüche 31, 30.) Allvater, Gott der Güte, am treuen Vaterherzen hegst und trägst du alle Wesen, mit treuer Vaterhand schirmeft und leitest du alles Geschaffene! Auch mich hast du zu deinem Kinde erkoren, auch mich liebst du, hast mich stets geliebt und wirst mich immer lieben. Du führ- test meine Kindheit auf grünen Auen, dir danke ich die frohen Tage meiner Jugend, dir danke ich Alles, was ich bin und was ich habe. Du gabst mir gute, theure Eltern an die Seite, die sanft und liebend mich leiten, die mir rathen und helfen, mich pflegen und nähren, und mein Leben mit süßen löstlichen Freuden schmücken. In Demuth, Herr, nahe ich dir, auf dem Altare des Gebetes läge kch vor dir nieder meine kindlichen Gefühle, meines Herzens Danf! Du siehst in mein Gemüth, wie ein offenes Buch liegt mein Jnneres vor dir, jede Regung, die mein Herz bewegt, jeder Hauch, der durch seine Saiten zittert, jeder Gedanke, der stumm in meiner Seele ruht, ist vor dir unverhüllt. O, daß meine Gefühle, meine Gedanken, wie meine Thaten alle bei dir, mein Gott, Gefallen fänden, daß ich alles das zu vermeiden vermöcht"e, was mißsällig ist deinen Vateraugen. Lenke du, Allvater, mein Herz zum Guten hin, wo es auf Abwege zu gerathen droht. Wo ich in meiner Unerfahrenhett zwischen Gut und Bbs nicht zu unterscheiden vermag, lehre deine 72 Weisheit mich das Rechte finden, damit ich stets die Tugend übe, dein Wort und Gebot in Treue und Liebe befolge und in Un- schuld und Frömmigkeit vor dir wandle. Gib, daß nicht die Ei- telkeit mein Herz bethöre, nicht die Vergnügungen der Welt meine Sinne gefangen nehmen, daß ich ihnen nicht die kostbaren Stun- den opfere, die der Ausübung meiner Pflichten gewidmet sein sollten, daß ich nicht in thörichtem Leichtsinne gegen das mich ver- fehle, was Zucht und Sitte erheischen, daß die Würde der Jung- frau, die Unschuld des Herzens meinen höchsten Schmuck, meine vorzüglichste Zierde bilde. Segne mich, Gott, mit Verstand und Einsicht, mit Gesund- heit des Körpers und Geistes, mit einem heitern, zusriedenen Her- zen. Gib, daß ich mich nie gegen die Pflichten der Kindesliebe verfehle, daß ich durch nichts meine theuern Eltern ver"letze und kränke, daß es mir gelinge, ihnen durch Alles, was ich thue, Freude zu bereiten. Lege, o Gott, deinen göttlichen Segen auf ihr theures Haupt, laß sie nie von Krankheit, Kummer und Angst berührt werden, gib Gelingen ihrem Mühen und Streben und einen reichen Gewinn ihrem Gewerbe und Verkehr, gib ihnen, o Gott, ein glückliches Alter, daß sie rüstig und kraftvoll an”Geist und Körper sich des Lebens lange freuen. Amen. Gebet einer Waise. „Wenn Vater und Mutter mich verlassen, nimmt Gott mich aus” (Ps. 27, 10.) Gott, mein Gott! Alle deine Geschöpfe rufen deinen Namen an in inbrünstigem Gebete, und wie erst muß mein Herz zu dir hineilen, meine Seele an dir hangen in Liebe und Inbrunst, die ich einsam und verwaist stehe auf Erden, deren ganze Hoffnung, Trost und Zuversicht nur in dir, mein himmlischer Vater, ruhet. Die Theuern, denen ich mein Leben danke, deren Liebe meine Ju- gend geschirmt und geleitet hätte zum Guten, die mein Leben hät- ten bewahrt mit aller Sorgfalt und Zärtlichkeit, meine Tage hätten umgeben mit Frohmuth und Freuden: — du hast sie zu dir heim- berufen in deinen lichten Himmel, und ich bin allein und verwaist geblieben aus dieser dunkeln Erde; hier, wo es so viele Klippen 73 gibt, die ich in meiner Unerfahrenheit nicht zu umgehen wüßte, wo es so viel der Bürden gibt, die ich in meiner Ohnmacht nicht ertragen könnte; so viel der Kämpfe, denen meine Schwachheit unterliegen müßte: so du, Hort der Bedrängten, Beschützer der Waisen, deine väterliche Treue und Liebe nicht über mich walten ließeft. O, Allvater, so Verlaß mich nicht in meiner Verwaistheiti Wenn ich des -Rathes und der Hilfe bedürftig bin, laß deinen Rath und deine Hilfe mir zu Theil werden; wenn Gefahr mich umgibt, wenn Lockung und Verführung meinen Sinnen schmeichelt und mich zu bethören droht, dann laß mich, Allgütiger, deine war- nende und rettende Stimme vernehmen, daß sie mich wecke aus meinem Taumel; und wenn mein Herz mit Sehnsucht und Bangen” erfüllt wird, dann, mein Gott, laß mich deine Nähe fühlen, träufle den milden Thau des Trostes in mein verzagtes Herz und lehre mich glauben, daß ich nie und nimmer verlassen bin und allein, daß deine Hand mich leitet durch das Leben, daß du mir tragen hilfst des Lebens Mühen, daß du für mich sorgest, mich bewahrest, mit deiner Liebe mich umgibst. Gib, Allgütiger, daß mein Leben stets ein dir wohlgefälliges sei, laß in mir wach werden die Triebe zum Gutem, laß mein ganzes Wesen von ihnen erfüllt und durch- glüht werden, damit keine fündige Neigung, kein frevelnder Ge- danke darin Raum und Boden finde und meine Tage in Reinheit und Unschuld des Herzens mir dahin fliehen. Laß mich stets ein- gedenk sein, daß ich nur durch einen rechtlichen, frommen Wandel meine verklärten Eltern noch im Grabe ehren kann, und nur auf dem Wege der Gottesfurcht zu der Seligkeit gelangen werde, mich einst in den Gefilden der Ewigkeit wieder mit ihnen zu ver- einen. Segne, Allgütiger, alle diejenigen, die mir meine Ber- lassenheit durch Freundlichkeit und Wohlthun erleichtern; lehre mich durch Befcheidenheit und Demuth, durch weises, gefälliges Beneh- men mir die Herzen meiner Umgebung gewinnen, und laß mich stets Wohlgefallen finden in deinen Augen, mein Schöpfer, und in den Augen der Menschen. Amen. 74 Gebet einer Braut. „Der Frauen Klu heit erbaut das Haus ihr auf, Der Leichtsinn reist es mit Händen nieder.” (Spr. 14, 1.) Allgütiger Lenker aller Ereignisse, Regierer aller menschlichen -Gefchicke auf Erden, zu dir schaue ich auf alle Tage meines Lebens. - Doch mehr als je, mein Gott, flüchte ich mich jetzt zu dir, wo ich an der Schwelle einer für mich so neuen Epoche stehe, wo neue Ge- ühle und Wünsche in mein Herz einziehen, wo sich mir neue Be- fitimmungen und Pflichten eröffnen. Jch habe mich einem Manne an-oerlobt, ihm Liebe, Treue und Hingebung fürs ganze Leben angelobt, es ihm und mir selber zugesichert, ihm zu"werden eine liebende Gefährtin in Freud’ und Leid, eine forgsame ausdauernde Gehilf1n beim Bau seines Hauses und seines Glückes. Mögest du segnen, mein Gott, das Verlöbuiß unferer Herzen, mögest du jene Uebereinftimmung der Gefühle, Neigungen und Lebensansichten darin einziehen lassen, die einzig und allein die Mutter aufrichtiger Hochachtung und ununterbroehener Eintracht ist; mögest du an unserm Horizonte jene wohlthuende lebenspen- dende Sonne der Liebe aufleuchten lassen, die mit ihrem Licht und Strahl alle Lagen und Aussichten des Lebens beleuchtet und durch- wärmt, die Höhen des Glückes mit ihrem Glanze verklärt und die Niederungen des Mißgefchickes durch ihren Strahl erheitert, und die, je weiter sie vorwärts steigt am Lebenshimmel, desto größere Kraft und Wärme erlangt, um Blumen und Früchte zu entfalten und zu reifen. Mögest du, Allgütiger, meinen Geist erleuchten, daß ich mich würdig vorbereite auf die großen Pflichten und Aufgaben, die meiner warten, daß ich mit Fleiß und Eifer alles das erlerne und et-fa”sse, was mir Noth thut, um meinem künftigen Berufe als forgfa-me, ordnende, weise waltende Hausfrau vollkommen zu ent- sprechen, daß ich mir alles das zu eigen mache, was mir das Herz des Gatten zu fesseln und zu bewahren vermag, daß ich meinen Sinn abziehe von den Eitelkeiten des Lebens, von dem Flitter und dem Tand, der nur allzuoft das Mädchenleben in Banden hält, und darin einziehen lasse den frommen, freundlichen Geist der Häuslichleit, daß ich aufgebe den oft allzuraschen, ungeduldi- gen, übersprudelnden Sinn der Jugend, und freudig in mir auf- 75 nehme den Geist der Sanftmuth und der Geduld, den Geist der Versöhnlichkeit und des Entgegenkommens. Deinem Schutze, Allgütiger, befehle ich mich, auf deine Kraft und deinen Beistand hoffe ich, deine Gnade und deine Huld möge mich umgeben. Amen. Gebet der Braut am Hochzeitstage. Weh will nur noch einmal Vater und utter küssen, dann folge ich dir.” (1. Könige 19, 20.) Allmüchtiger, eine große, folgenreiche Stunde nahet für mich heran, die Stunde, in der ich den ehelichen Bund mit dem Manne schließe, den deine Vorsehung mir zum Gefährten auf meinem Lebenswege bestimmt hat. Tief ergriffen von der hohen Bedeu- tung dieser Stunde, so entscheidend für mein ganzes Dasein, nahe ich mich dir, Allbarmherziger, um von dir, der du Herr bist der Gegenwart wie der Zukunft, Segen und Beistand zu erflehen. Was die Zukunft für mich in ihrem Schooße birgt, wer könnte, wer wollte das ergründen? wer ihren Schleier lüften? Doch, ob Freude oder Leid meiner harren, ob mein Lebenspsad licht oder dunkel sein wird, dir, mein Gott, befehle ich meine Wege, deiner Vatergüte vertraue ich mein Geschick an, und zage nicht und fürchte nicht, „denn du wirst alles wohl und weise machen. In deiner Rechten ist Huld und Liebe.” Doch, mein Gott, mit diesem Schritte heute übernehme ich oft süße, oft schwere Pflichten, ein neues Blatt beginnt in meinem Lebensbuche, ein neuer Kreis von Obliegenheiten eröffnet sich vor mir. Leicht ist es an der vorsorglichen Hand liebender Eltern durchs Leben gehen, aber anders ist es, als Gattin und Hausfrau selbstständig den Weg sich vorzeichnen, allen Anforderungen dieses seligen Dop- pelberufes würdig zu entsprechen. Ich schließe mich auf ewig an ein Wesen, das mir von nun.-Alles in Allem sein soll, seine Zu- friedenheit meine hbchste Aufgabe, sein Glück mein theuerstes Gut, seine Liebe mein schönstes Ziel, damit ich sein Trost in trüben Stun- den sei, sein höchstes Glück in guten Tagen, seine Freundin und Gehilfin bei allen Mühen und Beschwernissen seines Standes, und ihm in allen Lagert des ereignißreichen Lebens eine von Natur 76 zwar zarte, aber durch treue und innige Ergebenheit gestäblte Stütze, daß in unsrer Ehe sich bewähre, was geschrieben steht: „Ich bin meines Freundes, und mein Freund ist mein!” Allmächtiger, tief und innig fühle ich den Umfang und die Heiligkeit all dieser Pflichten; aber werde ich auch stets die Kraft, die Weisheit und den Muth besitzen, sie in ihrer ganzen Ausdeh- nung und in jeder Lage des Lebens zu üben? — O, du mein Gott, der du mich von Kindheit an in Liebe und Vaterhuld geleitet, der du stets zu mir gesprochen, bald durch die sanfte Stimme meiner Eltern und Lehrer, bald durch die mäch- tige Herzensstimme in mir, bald durch die noch mächtigere Stimme der Ereignisse, dich flehe ich voll Inbrunst und Demuth an. Ver- laß mich ferner nicht, gib deine Huld als Geleiterin mir mit in das neue Leben, dessen Schwelle ich heute bettete; leite mich mit„ deiner Weisheit, stehe mir stets rathend und warnend zur Seite, wo Rath und Warnung mir Noth thun; laß mich stets beseelt sein von dem Geiste der Sanftmuth, der Geduld und des Frie- dens ; erhalte mir das Herz meines Gatten in Liebe und Achtung, und laß mich ihm stets erfcheineu im Schmuck und Gewand der Tugend und Anmuth, „daß ich nie fürchten muß das Erkal- ten feiner Liebe, das Versiegen feiner Zärtlichkeit.” Segne unsern Bund, daß er uns werde ein fester, dauerhaf- ter, heilbringender fürs ganze Leben; daß wir stets in seliger Uebereinstimmung den Regungen zum Guten folgen und die höhere Beftinunung des Lebens zu erreichen streben. Gib, daß unser Haus werde wie das Haus unserer Erzmütter Sara, Rifka, Rahel und Lea, erfüllt mit Liebe und Gottvertrauen, gesegnet von Allen, die darin ein- und ausgehen. Doch, mein Gott, wenn ich für das Glück meiner eigenen Zukunft zu dir stehe, wie follte ich nicht die in mein Gebet ein- fchließen, die mir theurer sind, als mein eigenes Jch —- meine Eltern, die Wächter meiner Kindheit, die Leiter meiner Jugend, die Bildner meines Herzens, die Schutzgeister meines Lebens. Wahrlich, die Sprache ist zu arm, um die Fülle von Liebe, Güte und Aufopferung zu bezeichnen, mit der Vater und Mutter mich überhäuften. Wie follte ich für alles dies den Dank ihnen abzu- tragen im Stande fein. Drum flehe ich zu dir, mein Vater im Himmel, vergilt du mit deiner Allliebe ihre elterliche Treue und lege all die Segnungen auf ihr Haupt, die mein Herz für sie er- 77 sehnt. Laß jede Sorge ihnen fern, jeden Kummer ihnen fremd sein, und ihr Herz eben so heiter und freudenvoll bleiben, als es zärtlich und liebevoll ist. Amen. Gebet einer Mutter am Hochzeitstage” ihrer Tochter. „Gefegnet feist du dem Ewigen, meine Tochter.” (Ruth 4, 11.) Ewiger, mein Gott! du haft in deiner Gnade einen Tag der Freude für mich heraufgeführt, den Ehren- und Hochzeittag meiner Tochter, aber ich kann mich nicht der Freude hingeben, ohne meine mütterlicheu Hoffnungen, Wünsche und Bitten vor dir auszu- sprechen! Wie oft habe ich in der Sehnsucht des mütterlichen Herzens den heutigen Tag herbeigewünscht, wo meine Tochter herangewachsen, herangebildet zur biedern Jungfrau in die eigent- liche Sphäre des Weibes, in den heiligen Ehestand eingehen wird, um als selbstständige Hausfrau, als liebende und geliebte Gattin zu schassen und zu walten. Dank dir, Allvater, steh ich am Ziele, du haft mich in deiner Huld diesen erwünschten Tag erleben lassen. Und dennoch sind es nicht die Regungen der Freude allein, die mein Herz höher schlagen machen, es ist auch Angst und Befugniß, die mich bewegen, und heiße glühende Wünsche und Gebete steigen aus der Tiefe meines Gemüthes zu dir empor. Meine Tochter verläßt heute das elterliche Haus, wo Vater- treue und Mutterzärtlichkeit wie ein guter Geist sie bewahrte und bewachte, wo sie nur die milden Worte der Nachsicht hörte, die sanften Berührungen der Liebe fühlte, die bald rathend und be- lehrend, bald ihre leisesten Wünsche erfpähend sich ihr kund gab, ihr ein fester Stab war auf den Unebenheiten des Lebens und ein milder Stern auf allen ihren Wegen. Mein Gott, wird sie alles dies auch in dem Hause und in dem Herzen ihres Gatten wiederfinden? Allvater, laß die Liebe, diese Wunderthäterin, die mit ihrem Zauber die rauhen Pfade ebnet, die unfruchtbaren Steppen in blühende Auen umwandelt, die den Schmerzen des Lebens ihren Stachel nimmt, und die Freuden der Erde zu himmlischen verklart, laß diese hinnnlische, Alles überwiegende Liebe stets in ihrem Und 78 in ihres Gatten Herzen wohnen, und das süße Band der.Zärtlich- lett und der Treue sie auf immer vereinen. Laß, Allmächtiger, das Haus, das sie gründen werden, auf den starken Pfeilen: und Stützen deiner Huld und Gnade, und auf dem ewigen unerschütterlichen Grundstein der Tugend und der Gottesfurcht ruhen, daß es stets umstrahlt und durchleuchtet sei von dem heitern Lichte des Frohsinns und der Zufriedenheit, daß sie beide gesegnet seien in Allem und mit Allem, was das Men- schenherz beglückt und beseligt. Gib ihnen, Allgütiger, eine reiche Nachkommenschaft, daß ihr Geschlecht sich weit verzweige im Lande, daß ihre Kinder neben ihnen aufwaehsen wie „blühende Oelbäume,” geschmückt mit allen Tugenden des Herzens und des Geistes, der Mutter Lust, des Vaters Freude. Amen. Gebet einer Mutter am Hochzeitstage ihres Sohnes. „Wer ein Weib gesunden- hat Gutes gefunden und Zufriedenheit erlangt vom Ewigen.” (Spr. 18, 22.) Gott, mein Gott, aus der Tiefe meines mütterlichen Herzens- rufe ich dich an, am Tage der Freude. Voll Dank und Preis. steigt mein Gebet zu dir empor für all die Wohlthaten, die du mir gespendet, für all die- Gaben der.H,uld und Liebe, mit denen du. meinen Lebensw.eg geschmückt. Du hast in deiner Weisheit es au-sges-prochen, daß der Mann verlasse Vater und Mutter und sich anschließe-seinem Weibe, für. sie lebe und mit ihr wandle den Weg entlang, den du zur Erden- pilgerschaft ihm bestimmt hast. Dank dir, Allgütiger, der Tag ist da, den mein Mutterherz so lange ersehnte, der bedeutungsvolle Tag, an dem mein Sohn den Bund der Ehe mit dem Weibe seines Herzens schließt, das er zur Lebensgefährtin sich erkoren. Dank dir, Herr, vor Allem, daß du ihn mir erhalten, daß, du ihn stets umgeben und umschwebt hast mit den Fittigen deiner Huld und Liebe, und ihn nicht untergehen ließest in den tausend Gefah- ren, die das Leben birgt. Mögest du ferner mit ihu1 sein auf allen seinen Wegen, ihm beistehen in allen seinen Unternehmungen. Segne du, der du alles Segens und aller Liebe Urquell bist, den 79 Bund der Liebe, den er heute vor deinem heiligen Angesichte ein- geht, daß er in ihm den Segen finde, den er von ihm hofft, eine Gattin, die ihm stets Gutes thue und niemals Weh bereite, eine Gefährtin, die bei ihm ausharre in allen Schickungen und Fügnngen des Lebens , daß stets Eintracht und Zufriedenheit zwischen ihnen wohne, und keine Wolke den Himmel ihres ehe- lichen Glückes trübe. Allvater, nur Eines bete ich noch zu dir in dieser freudigen Stunde. Gib, der du des Menschen Herz in deiner Hand hältst und es wie Wasserströme leitest, daß, wenn auch mein Kind das Elternhaus verläßt, doch die Kindesliebe nimmer fein Herz ver- lasse, gib, daß es in steter Treue und Jnnigkeit uns entgegen schlage, daß die Hingebung für die Gefährtin feiner Zukunft in ihm nicht feine Gefühle für diejenigen erkalten mache, die ihn ge- boren und erzogen; daß er ferner unsre Lust und Freude bleibe, und stets die Liebe und die Ehrfurcht in der Seele bewahre, für die du ein langes Leben auf Erden verheißen, und deinen vollen Gotieslohn einst im Jenseits. Amen. Gebet einer Frau, die sich Mutter fühlt. „Und Gott sprach: Jch will viel sein - lassen die Schmerzen deiner Schwanger- schaft: mit Schmerzen sollst du deine Kinder gebären” (1 B. M. 3, 16.) Allmäehtiger, von dem da kommt das Leben, die Lebensstärke und die Lebensfreude, du hast mich bedacht mit den süßen. Freuden. der Mutterhoffnung, unter meinem Herzen fühle ich den Keim eines neuen Lebens” das durch mich das Licht der Welt erblicken foll, mein und meines Gatten Kind, ein neuer Born unfrer ehe- lichen Freuden, ein neues Band unsrer ehelichen Liebe! Vater, Dank dir, daß du mich, deine Magd, des Mutterfegens hast ge- würdigt. Du hast in deiner Allweisheit das verhängnißvolle Wort gesprochen: Jch will viel fein lassen die Schmerzen und die Leiden deiner Schwangerfehaft, unter Wehen und Schmerzen sollst du dein Kind zur Welt bringen. Dürften wir murren und klagen, daß du in deiner Allgüte es also über uns verhängt hast! Weise und- 80 gütig sind ja alle deine Bestimmungen. Monate lang lässest du das Kindlein unter unserm Herzen ruhen, bis es zum Leben reift; um uns hierdurch Frist zu gewähren zur Vorbereitung auf die großen, schweren Mutterpflichten, und zur Erlangung derjenigen Kenntnisse und Einsichten, die uns noch dazu mangeln. Leiden und Schmerzen hast du damit verbunden, denn jeder Schmerz, jedes Unbehagen, das wir fühlen, soll uns zurufen, das wir Mut- ter werden und uns die Erinnerung vor die Seele führen, welcher hohen Aufgabe und Bestimmung wir entgegen gehen! Und warum sollten wir auch nicht gern die flüchtigen Leiden dulden, und freu- dig eine so fegenvolle Bürde ertragen; warum follen wir nicht gern verzichten auf so manche Bequemlichkeiten und Genüsse,und manches Opfer auf uns nehmen für die süßen erquickenden Mutterwonnen, für den beglückenden Kindersegen, der uns zu einem fruchttragen- den Baum in der Gemeinde Gottes macht, der uns fortblühen läßt in unsern Kindern, der uns so reich und glücklich macht durch den kostbaren Schatz der Kindesliebe und Kindestreue. Um Eines nur bete ich zu dir, mein Gott, der du mich bis hierher so mild und barmherzig hast geleitet, und mich in jeder Noth und Gefahr deiner Hilfe hast theilhaft werden lassen. Mö- gest du auch in dieser verhängnißvollen Zeit deine Gnadenhand nicht von mir abziehen; mögeft du mir Kraft und Ausdauer ver- leihen, in Geduld und Heiterkeit die Leiden und Beschwerden meines gegenwärtigen Zustandes zu ertragen, und freudig und muthig die Opfer zu bringen, die sich daran knüpfen, mögest du mir nahe sein mit deinem Beistande, wenn die schwere entscheidende Stunde, die Stunde der Entbindung mir nahet. Mögest du, Allvater, die zarte Frucht in mir gedeihen und reifen lassen, zu einem gesunden, fehlerfreien Kinde, und es segnen mit einem kräftigen Körper und einer schönen frommen Seele. Gib mir auch Standhaftigkeit, Vors1cht und Mäs;igung, um Alles zu unterlassen, was dem jungen Keime in mir nachtheilig und schädlich sein könnte, daß ich dessen eingedenk, mich wahren möge vor jedem verderblichen Einflusse, und mich nimmer hingebe den Leidenschaften und den bewältigenden Aufregungen des Gemüthes: der Angst, dem Zorn, dem Kummer und Gram, und was sonst die Ruhe der Seele trübt und erschüttert. Mögest du mich erhören, Gott, mein Hort, auf den ich hoffe und vertraue. Amen. 81 Bot der Entbindung. „Bevor sie kreisen hat sie geboren, bevor sie Wehen bekommt, hat sie entbunden.” (Jes. 66, 7.) „Fürchte dich nicht, ich stehe dir bei.” (Jes. 41, 14.) Die schmerzensreiche, schwere Stunde der Entbindung ist nun für mich herangenaht, und inmitten der Wehen und Aengsten, die mein Herz durehziehen, ringet sich das innigste, glühendste Ge- bet aus der Tiefe meiner Seele, Allvater, zu dir empor. Bei jedem Schmerz, bei jedem Weh, das mich durchzuckt, ersterben mir die Worte auf den Lippen, nur dein N ame, mein Gott, bleibt leben- dig darauf, nur deinen Namen nennen sie fort und fort, und der Eine Ruf Gott, mein Gott, das ist mein Schild, mein Schutz, mein Trost, mein Heil und meine Wehr; das mildert meine Angst und meine Furcht; darin liegt meine Hoffnung und meine Kraft. O möge mein thränendes Auge, das ich flehend zu dir, Vater, er- hebe, dein Erbarmen über mich herabrufen! Las; deine Gnade über mich walten, daß meine Schmerzen mich nicht bewältigen, daß ich sie mnthig und kraftvoll ertrage. O, daß deine Vaterhuld mich über diesen verhängnißvollen Zeitpunkt ungefährdet und sicher führe! Laß mich, Allerbarmer, nicht lange leiden, laß mich bald gelangen zum freudenvollen Ziele meiner Aengsten und Wehen, und mich eines gesunden, lebenskräftigen Kindes genesen. Gedenke mir nicht, mein Gott, die Sünden und Vergehungen meines Lebens, vergib und verzeihe mir, was ich vor dir gefehlt. Um deiner Barmherzigkeit und Gnade willeu, um der zarten Frucht willen, der ich das Leben geben soll, erhalte mich am Leben, und stehe mir bei, wie ich auf dich hoffe und ver- traue. Amen. Nach der Entbindung. „Ein Kind ist uns geboren worden, Ein Spröszling uns gegeben.” (Zes. 9,5.) Allerbarmer! die Stunde, te: ich so viele Monate lang mit Bangen und Zagen entgegen gesehen, die Stunde, in der so viel 82 Weh und Schmerz, so viele Angst und Gefahr sich zusammenge- drängt, die Stunde der Entbindung habe ich mit deiner göttlichen Hilfe überstanden. Deine Gnade hat mich gehalten und getragen, dein Beistand mich gestützt und gekräftigt. Es ist vollbracht, ich lebe-, und an meiner Seite ruhet das theuere, schmerzerworbene Geschenk, das liebe süße Kind! Allmächtiger! nur leise und schwach sind die Laute meiner Lippen, aber um so stärker spricht die Stimme meines Herzens zu dir! Vater, Dank dir, glühender Dank, für deine gnädige Führung, für alles Gute und Frohe, das ich aus deiner Hand empfangen! Eine stille, heilige Gottesfreude durchzieht mein Jnnercs; es füllet sich mein Herz mit froher Zuver- sicht auf dich, n1ein Gott, der du mich so gnadenvoll über die Klippen und Unebenheiten des Lebens geführt; dir vertraue ich mein Leben und meine Zukunft, dir befehle ich das Leben und die Zukunft meines Kindes! Laß nur deine Liebe nimmer von mir weichen; gib mir Weisheit und Kraft, um meine Mutterpflichten in ihrer Fülle und nach deinem Willen zu üben, daß ich meinem Kinde Alles das zukommen lassen könne, was zu seiner geistigen und körperlichen Entwickelung erforderlich ist, daß ich es mit ver- ständigen1 Sinn auf die Wege des Rechtes und der Wahrheit leite, es lehre, die Tugend erkennen und lieben, und dich, Herr, verehren und anbeten, sein Leben lang. Amen. Gebet einer Mutter, wenn ihr Kind zur Beschnei- dung getragen wird. „Ja deinem Blute sollst du lebeik” (Ez. 16, 6.) Dank und Preis dir, AlIgütiger! du hast mich in deiner Gnade bedacht, und mir ein männliches Kind geschenkt, das heute aufgenommen wird in den heiligen Bund unsres Glaubens. Mit s;eudigem Herzen weihe ich es dir, und mit Freude und heiliger ührnng gebe ich es hin, daß der beseligende Bund, den du mit unserm frommen Erzvater geschlossen, an seinem Leibe bezeichnet, mit seinem Blute besiegelt werde. Möge dir dies ein wohlgeföl- liges Opfer sein, möge das Blut, das heute seinem zarten Körper entfließt, und jeder Schmerzenslaut, der dabei seinem jungen 83 Herzen sich entringt, als ein geweihtes Gebet zu dir emporsteigen, daß deine Gnade ihn umschwebe fein ganzes Leben lang, daß er Wohlgefallen finde bei dir, mein Gott, und Gunst bei den Men- schen, daß Alles, was er unternimmt, gelinge, was er beginnt, ihm zum Segen gereiche. Vor Allem aber und über Alles kräftige ihn, Allmächtiger, an Geist und Körper, daß er stark sei im Glau- ben, stark in der Tugend und Frömmigkeit, daß er freudig opfre des Lebens Genüsseund Bequemlichkeiteu, um des Hohen und Götr- lichen willen freudig aufgebeseines Herzens Wünsche und Begierden, um deine Wünsche und Gebote, Allerbarmer, zu er- füllen, und wie heute sein Blut vergossen wird auf dem Altare des Glaubens, er auch später freudig sein Theuerstes hinzugeben bereit sei für die Erinnerung des Edlen und Heiligen, für den Ruhm und das Heil seines Volkes und Glaubens, für das Wohl und Heil unsres Vaterlandes, und zur Ehre und Verherrlichung deines ge- benedeieten Namens. Amen. Gebet, wann dem weiblichen Kinde der Name ertheilt wird. Ein guter Name ist besser denn köstlich Oel. Kohel 7, 1. Gelobt seiest du, Herr, der du uns deine Gnade auf so mannigfache Weise kundgibst! Du legst Gefühle in des Weibes Herz, so süß und köstlich, daß Nichts sie aufzuwiegen im Stande ist, so heilig und erhaben, daß sie hierdurch geadelt und gehoben sich fühlt in ihren eigenen, wie in der Menschen Augen. Mut- terliebe und Mutterwürde! wie oft werden sie zur Quelle vielfacher Tugenden, verdrängen den Leichtsinn aus dem Herzen, und verschließen es den Reizen und Lockungen der Sünde. Jch lobe und preise dich, mein Gott, auch mich hast du mit diesen köstlichen Gefühlen beglückt! Du hast mir eine Tochter gegeben, die ich mit Jnnigkeit und Inbrunst im Herzen tragen werde, deren Pflege und Erziehung meist meiner Obhut anvertraut sein wird, und in deren zartem Wesen ich meine eigene Kindheit und Jugend mit Freuden wiederaufblühen sehen werde. 84 Heute empfängt sie zum erstenmal den Segen der Religion, möge hinfort dein Segen, o Gott, auf ihr ruhen. Heute empfängt sie einen kamen vor deinem heiligen Angesicht, möge sie ihn stets durch einen frommen, reinen Wandel zu einem würdigen und eh- renwerthen machen. Möge, Allgütiger, dieser Name vor dir an- geschrieben werden, in dem Gnadenbuch zum Leben und zum Glücke; möge sie gleich werden dem Bilde unserer frommen Mütter Sara, Riska, Rachel und Lea, geschmückt, gesegnet und verherr- licht mit allen Tugenden des Lebens und des Glaubens, mild und wohlthätig, gläubig-fromm, sittsam, treu und ergeben, eine fromme Tochter, eine geist- und„ herzgewinnende Jungfrau, eine biedere Gattin und Hausfrau, daß der Segen des Himmels auf ihr ruhe, und das Wohlgefallen der Menschen. Amen. Gebet einer Wöchnenn, die zum erstenmal wieder das Gotteshaus besucht. „Wie dem Vogel sein Haus, Der Schwalbe ihr Nest; Also sind mir deine Altare: Mein Gott und Her-r!” (Ps. 84, 4.) Gesegnet sei mir die Stunde, wo ich wieder bettete die hei- lige Stätte des Herrn! wo ich Gott, meinem Hort und Retter, mein Herz erschließen kann, in der Mitte seiner Verehrer! Viele Tage sind verflossen, seitdem ich zum let;-„-tenn1al hier weilte, Tage, an denen ich tief und innig des Herrn Gnade empfunden habe, wo sein Schutz mich sichtbarlich umschwebte, wo sein Erbarmen mich durch die Gefahr zum Heil geführt, und durch vorüber- gehende Schmerzen mir dauernden Gewinn gebracht! Allgütiger, hier, wo so viele Herzen in Gemeinschaft sich er- heben zu deines Namens Anbetung und Verherrlichnng, empfange ” auch meinen Dank und Preis! Mögen dir meine inbrünstigen Gefühle, mein herzvolles Dank- und Lobgebet in dieser Stunde so wohlgefällig sein, wie jenes Opfer, das nach unseres heiligen Glaubens Sitte Jsraels fromme Mütter dir einst gebracht. Auf dem Altare meines Herzens will ich dir alle eitlen, sündigen Ge- lüste und Wünsche opfern, und hier in deinem heiligen Tempel, in 85 dieser lbstlichen Stunde, wo meine Seele so voll ist von Andacht und Rührung, will ich dir, du Heil- und Lebensspender, alle meine Lebenstage angeloben, will dir und mir selber angeloben, alle meine Kräfte und Fähigkeiten zu vereinen, um meine Pflichten als Mut- ter, als Gattin, als Mensch und Jsraelitin zu erfüllen, und ihnen Herz und Geist zu tvidmen und zu weihen mein Leben lang. Allu1ächtiger, nimm gnadenreich mein Gelöbnis; an, und ver- leihe mir dazu deinen Segen, daß ich es standhaft und ausdauernd vollbriuge, daß die Erfüllung meiner Pflichten mir stets angenehm und herzbefriedigend bleibe, und die Ausübung des Guten mir stets theurer und vorzüglicher sei, als alle Freuden und Reize der Welt. Verleihe mir Weisheit und Kraft, meine Kinder zu erzie- hen zu guten und edlen Menschen, zu redlichen und nützlichen Staatsbürgern, zu frommen, eifrigen Anhängern unseres Glau- bens. Segne meinen Gatten, daß erlange lebe in unserer Mitte, und daß sein Streben und Mühen für unsere Kinder, als ihr Er- nährer, Erzieher und Beschützer stets einen reiehlichen Gewinn bringe, und uns und ihnen niemals etwas abgehe. Segne unsre Kinder, daß sie wachsen und gedeihen, an Geist und Körper, und daß sie werden die Freude und der Stolz unseres Herzens und die Lieblinge Gottes und der Menschen. Amen. Ja kinderloser Ehe. „Gott, gedenke unser.”” (Ps. 115, 12.) Allwaltender! Alles, was in deinem großen Reiche lebt und webt, hast du derart geschaffen, daß es sieh fortpflanze von Ge- schlecht zu Geschlecht, Eine das Andere zeugend. Alles stehet da im frohen Bewußtsein seiner erfüllten Bestimmung! Die Mutter drückt freudig ihr Kind ans Herz, unter Thränen lächelnd, vergißt sie all ihr Leid, und stark und muthig ringt sie mit dem Leben für Kindesliebe und Kindesfreude. — Das wilde Thier, liebkosend seine Jungen, wird zahm, und hegt und trägt, und wahrt und- nährt die junge Brut, und vertheidiget sie mit seinem Blute. — Und selbst die Pflanze schüttelt wohlgefällig in den Lüften ihr” Haupt, und streuet ihren Samen weit umher, damit sie tausend- 86 sältig, von neuem verjüngt, dem Boden entkeime. Doch ich — ich weiß nichts von diesen Freuden, ich kenne sie nur vom Sehen, nicht vom eigenen Fühlen und Empsinden; mich, Allvater hast du nicht würdig befunden der Mutterwonne, mir haft du das Glück versagt ein Kind zu besitzen, dies süße Band, das Vater- und Mutterherz in Eintracht und Liebe einigt, das mit seinem Athem schon die Zwietracht zwischen ihnen löscht, und den Frieden in ihr Haus einkehren macht, und wenn das Alter kommt, das kalte, blüthenlose, und ihr Herz zu verfchrumpsen drohet, dann ist ihr Kind ein blüthenvolles Reis, in dessen warmem Leben, in dessen frischer Liebe sie von neuem sich verjüngen. Wie Hanna, die kinderlose, ihr schweres Leid, ihr Wünschen und ihr Hoffen vor dir ausgeschüttet im inbrünftigen Gebet; so stehe auch ich vor dir, mein Gott, in der Fülle meines Kummers und meines Grames, und wie ihr bitteres Weh, vor dich, All- vater, gelangt ist, und du die Unsruchtbare zur frohen, beglückten Mutter hast gemacht, so möge auch ich Gewährung und Erhörung bei dir finden! O laß auch meinen Lebensbaum ausgehen zur süßen Blüthe, mein leeres Haus sich füllen mit Kinderfreuden, mein eheliches Leben sich schmücken mit dem Kindersegen. Doch, wenn du in deiner "unerforschlichen Allweisheit es be- schlossen, meine Ehe kinderlos zu lassen, dann, Vater, flehe ich dich heiß und inbrünstig an, um Kraft und Muth, meine Wünsche deinem erhabenen Willen zu unterordnen; daß ich in Demuth und Ergebenheit deine Fügung und Schickung verehre, und mir stets bewußt bleibe,daß du nicht nur durch das,was du uns gewährst, sondern auch durch das, was du uns versagst, unser Heil begründest. Laß mich stets eingedenk bleiben, daß, wenn du auch Mutterfreuden mir versagst, es noch gar mannigfache Freuden gibt, die du mir in deiner Allgüteschon gewährt hast und nochtäglich neu gewährft; laß mich stets eingedenk sein, daß, ob auch die Mutterpflichten meinem Leben abgehen, es darum doch kein zweckloses und verlornes sei, sondern viele andere, nicht minder heilige, nicht minder beglückende Pflichten und Bestimmungen an mein Dasein sich knüpfen: die Pflich- ten einer liebenden Gattin, die Pflichten einer sorgsamen Haus- frau, die Pflicht Mutter zu sein dem Dürftigen, dem Bedrängten, Mutter zu sein dem verlassenen Waisenkinde, — damit ich- mich mit aller meiner Kraft dieser erhabenen Aufgabe widme und darin meinen Trost und meine Freude suche und finde„ Also sei dein göttlicher Wille! Amen. 87 Gebet einer Mutter um das Wohlgerathen ihrer Kinder. „Ein weiser Sohn ist die Freude seines Vaters, ein thöriehter Sohn der Kummer seiner Mntter.” (Spr. Sal.) Allgütiger! Kinder sind Geschenke deiner Gnade, sind der Tugend Lohn. Ein geliebtes Kind, o süßer, segens- voller Name, wie gehet das Herz der Mutter auf in seligen Em- pfindungen bei dieses Wortes Klang! Wohlgerathene Kinder sind die Blumen, die unser Leben zum Garten Eden machen; sind die süs;esten, aus unserem Lebensbaume gereiften Früchte, die herrlich- sten Denkmäler, die wir auf Erden zurücklassen, wenn wir von da abberusen werden, und ihr frommes Gebet thut uns noch im Grabe wohl. Wohlgerathene Kinder find Geschenke deiner Huld, mein Gott, aber wehe, wenn sie uns mißrathen! Der Mutter Leben geht n1eist auf in die Pflege und Erziehung ihrer Kinder, auf ihnen ruhet ihr Herz und Sinn bei Allem was sie thut und schafft; für deren Gedeihen ist ihr kein Opfer zu groß, keine Mühe zu fchwer, und wenn sie ihr mißrathen, so ist ihr gan- zes Leben ein verfehltes und zerstörtes, und alle Freundlichkeit, al- les Licht des Lebens gehet ihr unter in der düstern Wolke des Kum- mers über ihre vereitelten Mutterhoffnungen; denn d es Vaters Freude ist ein weises Kind, aber ein mißrathenes ist der Mutter tiefster Schmerz. Gott, mein Gott, vor einem solchen Schmerze möge deine Huld mich bewahren! Zu dem schmerzlichen Bewußtsein meines Unglückes müßte sieh noch der herzzerreißende Gedanke gesellen, daß ich vielleicht die Pflichten und Aufgaben einer Mutter nicht erfaßt und erfüllt habe! Oft wohl liegen in der Natur, in der körperlichen oder geisti- gen Beschaffenheit des Kindes, die Fehler und Gebrechen, die wir beklagen, doch eine weise sorgsan1e Pflege und Erziehung kann gar oft die sieche Pflanze kräftigen, zum gesunden starken Stamm heran- ziehen; aber durch Leichtsinn oder Verkehrtheit, durch Schwachheit oder Unwissenheit, geschichtet” gar oft, daß wir, anstatt Gebreehen zu heilen, neue schaffen und heraufbefehwö- 88 ten, und der Art unsre Kinder mit eigener Hand ins Verderben führen, mit eigener Hand deinen Segen, p Gott, uns zum Fluch umwandelu! Allmächtiger, zu deines Thrones Stufen drängt es mich her, bei dir, der du mich des Mutternamens gewürdigt, will ich Bei- stand, Rath und Einsicht zur Ausübung und Erfüllung meiner Mutterpflichten mir erflehen, daß sie mir und meinen Kindern zum Heile gereichen mögen. Gib, daß ich ungeblendet von Mutterliebe, mit hellem scharfem Blick alle Fehlermeiner Kinder wahrnehme und erkenne und zur rechten Zeit das reihte und wirksame Mittelfinde zu ihrer Heilung und Besserung, daß ich das Mangelhafte und Verderb- liche an ihnen tilge und ausrotte, und das Gute bleibend und wirk- sam mache. Gib, daß ich mit Liebe und Strenge im richtigen Maaße vereint, sie leite auf den Weg der Tugend und sie bilde und groß ziehe zur Freude meines Herzens, zur Verherrlichung deines Namens und zum Nutz und Frommen der Menschheit. Aber das was keine menschliche Weisheit und keine menschliche Macht ihnen zu geben vermag, das oerleihe du ihnen, Allgütiger: die Gesundheit und Kraft des Geistes und des Körpers, die An- muth und Lieblichkeit der Seele, ein langes thatenreiches Leben und eine Fülle von Lebensglück und Lebensfreuden. Amen. Gebet einer Mutter bei der Confirmatiou ihrer Kinder. „Um dieses Kind habe ich gebetet Und Gott hat meine Bitte mir gewährt, Nun aber widme ich es meinem Gotte, So lange er ihm die Tage schenkt, soll es für Gott geweihet bieibeu.” (Sam. I., 1, 27, 28.) Gott, ich danke dir, daß du diesen Tag mich hast erleben lassen! Ein Tag des Dankes gegen dich, ein Festtag und ein Frei:-” deutag ist er mir! Du, Allgütiger, hast mich gewürdigt, mein Kind zu erziehen, und zu leiten mit Mutterliebe und Zärtlichkeit; es zu versorgen mit Allem, was ihm Noth thut und es auf die große bedeutungs- volle Handlung des heutigen Tages vorzubereiten, wo es aufge- 89 nommen wird in die Gemeinschaft der Gläubigen, zum Mitgliede deines Volkes, zum Genossen deines Bandes und zur Theilnahme on der Erfüllung und Beobachtung deiner heiligen Gebote und Gesetze! Vater, Dank dir, Dank, Lob und Preis für deine Huld und Güte. Laß, mein Gott, auch ferner deine Huld und Gnademein Kind umschroeben, laß die Religion, diese beseligende Himmelstochter, der er sich heute angelobt, immerdar sein ganzes Wesen erfüllen, daß seine Seele durch sie erleuchtet werde mit dem Lichte der Wahr- heit, daß sein Herz durch sie erglühe für alles Edle und Große, und sein Geist stark und muthig werde zum Kampf und zum Sieg gegen die GefahrenundVersuchungen des Lebens, gegen dieMacht der Sünde, gegen die Gewalt der Leidenschaften und der Verfüh- rung. Laß die Liebe zu dir, mein Schöpfer, es durchdringen und begeistern sein Leben lang, daß es an dir hänge mit ganzem Her- zen und mit ganzer Seele und mit ganzem Vermögen. Nimm sein ganzes Jnneres ein, daß es dir werde ein ge- weihter reiner Tempel. Gib, daß das schwache Kind erwaehse und heranreife zu einem mächtigen Werkzeug und Hebel zum Heile feines Volkes und Landes, zur Verherrlichung feines Glaubens, und zur Beförderung alles Guten und Gemeinnützigen auf Erden. Erhöre, Allvater, das inbrünstige Gebet meines Mutterher- zens. Gieb Gedeihen seinem Leibe, Wachsthum seiner Kraft, Reise seinem Verstande, Alles in und an ihm laß aufwärts und vorwärts streben und sich in Fülle entfalten, nur die Reinheit seiner Sitten, die Unschuld seiner Seele, den Frieden seines Herzens, die Kindlichkeit seines ,Gemüthes mögest du erhalten und bewah- ren in ihrer Ursprünglichkeit, wie sie jetzt in dieser Stunde sein junges Wesen etsüllen, und möge es durch sein ganzes Leben dir bleiben ein Schäflein, dem du nichts mangeln lässest, das du führest auf grüner Aue, an frische labende Quellen. Mir aber, mein Gott, mögest du noch lange das Glück gewähren , über mein Kind zu wachen, und mich seiner zu freuen, in"beglückter und befriedigter Mutterliebe. Amen. 90 Gebet einer Mutter, deren Kind in der Fremde ist. „Der Ewige behüte dich vor allem Bösen, " er behüte deine Seele.” Ps. 121, 7.) In der Fremde, fern vom Elternhause , fern vom Baterher- zen, von Muttertreue und Sorgfalt, lebt mein Kind, und ich, deren süßeste Freude es wäre, über seine Gesundheit zu wachen, jeden seiner Schritte zu hüten, es mit nieversiegender Liebe und Treue zu umgeben — ich bin fern von ihm; es reicht nicht zu ihm mein Blick, und nicht meine Hand, und ich vermag nichts zu thun, als zu dir, mein Gott, zu beten für sein Wohl und Heil. O höre meines Herzens heißes Flehen, nimm mein Kind in deinen allmächtigen Schutz, leite es mit deiner Gnadenhand über jeden Stein und Dorn auf seinem Wege, beglücke es mit jener Anmuth und Lieblichkeit, mit jenem weisen und bescheidenen Benehmen, durch die wir die Herzen der Menschen gewinnen, und darin die Freundlichkeit und das Wohlwollen für uns hervorzaubern, so daß die kalte Fremde zum heimischen Heerde uns wird. Erhalte es an Körper und Geist gesund und lebenskräftig, wende ab von ihm jedes Ungemach und Uebel, alles Schädliche und Verderbliche; halte fern von ihm den mächtigen Reiz der Sünde und hilf ihm überwinden die Ver-fuchungen, die Von Aussen kommen, wie die Leidenschaften, die im Jnnern gühren, daß sie nimmer zur Herrschaft über ihn gelangen; daß seine Seele rein und lauter bleibe, in kindlicher Unschuld und Frömmigkeit an dem Edlen und Göttlichen hange, und sein Auge und Antlitz stets ein reiner Spiegel seines makellosen Herzens sei.. Verleihe ihm, himmlischer Vater, Kraft und Verstand, Fleiß und Eifer, um feinen Beruf, feine Aufgaben und Obliegenheiten zu erfassen und mit Lust und Liebe zu ersüllen, daß sie ihm zum Heil und Segen gereichen, und es augdie Höhen des Lebens und des Glückes führen. Hilf ihm alle eschwernisse und Entbehrnisse überwinden, und gewähre ihm Alles, was sein jetziges und einftiges Wohl zu begründen vermag. Erhöre, Allvater, mein heißes, inbrünstiges Gebet, und führe zur Zeit mir wieder mein Kind zurück, voll Lebensluft und Lebens- kraft, zum Stolz und zur Freude meines Herzens, zum gommen - Segen der Menschen und zu deinem Wohlgefallen, mein ott und Herr. Amen. 91 Gebet einer Mutter, deren Sohn In Militärdiensten stehet. Gürte das Schwert an deine -Hüfte, und sei ein -Held, Mit Ehre und Ruhm gekröni; Ziehe hin und sei glücküch für Recht und Wahrheit. (Ps. 45, 4 u. 5.) Allmächtiger, Herr der Heerschaaren, der du mächtig waltest im Himmel und auf Erden, zu dir erhebt sich mein Gebet aus tiefem mütterlichem Herzen. Wende dein Antlitz mir zu, und erhöre mich in deiner Gnade. Dem Rufe der Pflicht folgend, ist mein Sohn eingetreten in die Reihen der Kämpfer für das Vaterland, um cinzustehen für Recht und Ordnung, um abzuwehren Tücke und Bosheit, wo sie dem theuern Vaterlande und seinen Bewohnern drohen. Wohl ist dies ein schöner, ehrenvoller Beruf, und ich danke dir, Allvater, daß du mir ein Kind geschenkt mit gesunden, kräftigen Gliedern, fähig die Waffen zu tragen im heiligen Dienst des Vaterlandes; aber es bebt und zittert mein Mutterherz, wenn ich bedenke, wie viel der Gefahren und Versuchungen ihn umgeben. Jung und unerfahren, fern von den Ermahnungen und Unterweisungen seiner Eltern, wie leicht kann da nicht sein jugendliches Herz der Ver- lockung sich hingeben, seinen Pflichten ungetreu werden und der Sünde verfallen; darum flehe ich zu dir, Allvater, nimm ihn in deinen mächtigen Schutz, umgib ihn mit deiner Alles überwie- genden Huld. Stärke und kräftige jedes edle Gefühl, jede Re- gung zum Guten in ihm, jede Erinnerung an die elterlichen Er- mahnungen, die in seiner Seele auftaucht, daß er die Lehren der Tugend und der„Gottesfurcht nimmer außer Acht lasse, daß seine Seele sich nicht dem Glauben seiner Väter entfremde, daß sein Herz sich nicht verhärte unter dem harten Dienst der Waffen, und die verderblichen Lockstimmen der Sünde nimmer ihn bewältigen mögen. Gewähre ihm, Allgütiger, Einsicht und Kraft, Rüstig- keit und Ausdauer, seine schweren Pflichten pünktlich zu erfüllen; daß er keiner Uebertretung, feines Fehls sich schuldig mache, und nie und durch nichts irre und mankend zu machen sei in dem un- begrenzten Gehorsam, in der aufopfernden Treue und Hingebung gegen seinen Fürsten und Herrn, zu dessen Fahne er geschworen. Und wann die heiße Stunde schlägt, die ihn hinausruft auf das 92 Schlachtfeld, wo der Tod Ernte hält, da, Allvater, umhülle ihn mit deiner Gnade, laß deine Huld ihm Schild und Harnisch sein, da stähle seinen Arm, gieße Muth in sein Herz, und lasse die Er- innerung an die alten Helden Jsraels feine Brust beseelen, daß er fH:udig und begeistert dem Kampg entgegen gehe, und durch seinen uth und seine Tapferkeit die hre seines Volkes, so wie seine Treue gegen Fürst und Vaterland bewähre. Erhöre, Allmächtiger, mein Gebet für ihn, laß meinen müt- terlichen Segen ihn umschweben, als ein schützendes Panier, auf daß er nach vollendetem Dienste wieder zurückkehre, heil an Körper und Geist, geschmückt mit dem Zeichen der Anerkennung erfüllte: Pflicht, zur Freude meines Herzens, zum Ruhm und Preis deines Namens. Amen. Gebet einer nnglücklichen Ehegattm. „Ich ermüde vor Seufzen, neße die ganze Nacht mein Bett mit Lhränen, Es dunkelt vor Gram mein Auge, altert vor lauter Kränkung” (Ps. 6, 7 u. 8.) Von des Kummers Last gebeugt, stehe ich vor dir, mein Gott, dir mein schmerzerfülltes Herz zu öffnen, vor dir auszu- schi.itien mein bitteres Leid und Weh! Ach, der Gram, der mich - drückt, er darf mir nicht auf die Lippen treten außer Vor dir, mein Gott; mein Kummer ist nicht derart, daß ich ihn durch Mitthei- lnng mir erleichtern könnte; vielmehr verbe en muß und will ich ihn vor den Augen der Welt, nur das Auget2Hottes mag mitleids- voll darauf niedersc"hauen! Gattin bin ich; mit dem Manne, den deine Allweisheit mir bestimmte, habe ich vor deinem Angesichte die heiligen Schwüre der Liebe und Treue gewechselt, doch ein eheliches Leben, wo der Gatten Herzen nur für einander schlagen, ihre Wünsche nur freundlich sich begegnen, wo Friede und Liebe wohnt und thront, dies ist ein Glück, wozu, o Gott, du nur deine Auserwählten er- koren hast, mir, ach, ward es nicht zu Theil. — In meinem Hause weilt nicht die Liebe, wohnt nicht die Freundlichkeit und das wech- selseitige Entgegenkommen: nur der düstere Geist des Zwistes 93 und der Zwietracht, nur die Mißstimmung und das Mißverständ- niß mit seinen traurigen Geburten wandelt und waltet darin. O, mein Gott, was ist ein Leben ohne Liebe, ohne diese pflichtgetreue, gottgesegnete Liebe, die der Gatten Bahn ebnet und mit Rosen schmückt, die eine Welt voll seliger Freuden in ihr Haus führt! Diese Liebe, die ewig sanft und mild die gegen- seitigen Fehler mit ihrem Mantel bedeckt, die gegenseitigen Ver- dienste erhebt und mit Kronen umflicht, 'die im Opferbringen ihre Freude findet, und im Tragen und Gedulden an Kraft und Feuer wächst: — wo sie fehlt, da giebtö nur sündige Triebe, Leidenschaf- ten, die das Herz verzehren, oder es schrumpft das Gemüth unter dem starren, eisigen Hauche der Gleichgiltigkeit zusammen. Weh mir, daß ich unter einem solchen Loose seufzen muß! Unter bit- term Weinen steigen meine Klagen zu dir auf, mein Gott, erbarme dich deiner Magd, Vater, vergib mir, wenn ich vielleicht durch eigene Schuld mein Leid veranlaßt, mein trauriges Geschick mir selbst heraufbesch1voren habe. Vor deinem heiligen Angesichte gelobe ich mir’s, hinfort über mich zu wachen, über mein Fühlen und Denken, über mein Thun und Lassen. In dem Streben nach ehelicher Zufriedenheit will ich willig jedes Opfer bringen und jedem Vergnügen entsagen, wo sie es erheischt; ich will still und geduldig meinem Hause, meinem Berufe, meinen Pflichten obliegen, und Milde und Sanstmuth entgegensetzen dem bittern Tadel, dem gereizten verletzenden Worte, und so mein Herz und das meines Gatten bezwingen. O Vater im Himmel, segne meine Vorsätze, daß ich sie mit Kraft und Ausdauer zur That bringe, daß ich nicht in ohnmüch- tigem Ringen ermatte und meine Hoffnung sinken lasse , daß ich, mein Ziel stets vor Augen habend, mnthig ihm entgegenschreite, und ein glücklicher Erfolg mein Streben lohne. O, du Allmäch- tiger, der du die Herzen lenkest wie Wasserftri5me, wende unsre Herzen einander zu, daß unsre Gefühle in Liebe und Einigkeit fich begegnen und in einander fließen. Der du die verborgensten Saiten unsres Innern kennst, laß darin die Hcrzenstöne erklin- gen, die in einander greifend sich vereinen zur bescligenden Har- monie, daß jede Mis;hclligleit von uns weiche, daß der Friede wieder sein Himmel-Jdach über unser Haus breite, und gegenseiti- ges Bertrauen und wechselseitige Achtnng als mächtige Stützen es umranken, und jubelnd will ich dir danken und deinen Namen preisen für und für. Amen. 94 Geliet einer Frau, deren Mann ans Reisen ist. „Dein” Mannes wohl soll dein Begehr sein, Und er soll in dir herrschen.” (1. B. M. 3, 15.) Mein Gott und Vater! du hast des Weibes Geschick eng und fest an das ihres Gatten geknüpft, und es gefällt dir wohl, wenn ihres Gatten Glück ihr heißester Wunsch ist, und seine Wohlfahrt ihr innerstes Streben. So mögest du auch wohlgefälligst aufneh- men mein tief inbrünstiges Gebet, das ich zu dir emporrichte, für den Theuern, an dessen Leben du das meinige geknüpft hast durch das heilige Band ehrlicher Liebe und Zärtlichkeit. Aus andächtigem Herzen flehe ich zu dir, mein Gott, um deinen allmächtigen Schutz für den fernen Gatten. Wenn ihm unter seinem eigenen Dache schon, wo Friede und Freundlichkeit herrschen, und Liebe und Treue ihn umfchweben, deine göttliche Obhut so noth thut; wie sehr bedarf er nicht deines Schirmes und Schutzes, wenn er fern von seinem häuslichen Heerde ist, aus- gesetzt den Gefahren der Reife, wo List und Eigennutz ihn um- geben, und kein liebend Herz ihm der Gattin zärtliche Sorgsamkeit erseht. Darum flehe ich jetzt noch glühender und inbrünstiger als sonst um deine Huld und Gnade für ihn. Stärke und kräftige ihn, Allvater, daß er muthig die Fährnisse des Weges besiege, und den Mühen und Beschwernissen feines Erwerbes nicht unterliege. Gib ihm Weisheit und Einsicht, Muth und Ausdauer in allen seinen Unternehmungen; bewahre ihn vor jedem bösen Unfall und Zufall, vor dem Schmerz vereitelter Hoffnungen, vor dem Kummer getäuschter Erwartungen. Lege deinen Himmelssegen auf Alles, was er beginnt und unternimmt, und sende ihm deine milden gu- ten Engel, daß sie ihn geleiten und umgeben, daß sie ihn tragen über jeden Stein des Anstoßes, und ihn hüten vor Hinterlist und Betrug, vor Tücke und Gewalt. Führe ihn mir wieder zurück, voll Gesundheit und ungetrübter Heiterkeit, voll des befriedigen- den Bewußtseins, glücklich den Zweck seiner Reise erreicht zu haben. Mögest du auch, Allgütiger, über mich und mein Haus deine Baterhuld walten lassen, damit Fröhlichkeit und Friede ihn auf der Schwelle empfangen, und die freudigen Gefühle des Wieder- sehens duteh Nichts getrübt werden. Amen. 95 Gebet für den kranken Gatten. O, Gott, bewahr und beiebe ihn, Schilde ihn auf seinem Srhmerzenslager, Wende sein Bett um in feiner Krankheit. (Psalm 41, 4.) Allvater, zum Throne deiner Barmherzigkeit flüchte ich mich in trüber Schmerzensstunde. Bei dir, der du von jeher warst mein Retter und mein Helfer, suche ich Trost und Rettung in meiner Noth! Du haft, Allmächtiger, meinen Gatten, den Vater meiner Kinder, die Krone meines Lebens, mit Schmerz und Krankheit heimgesucht. Sein theures Leben sehe ich bedroht, und mit Angst undBangen „fchaue ich, von wannen meine Hilfe kommt.” Nicht von Menschen erwarte ich sie. Menfchenhilfe ist schwach und ohnmächtig, und zerfplittert wie ein schwaches Rohr gegen deinen allmächtigen Willen; Menfchensinn ist blind, so nicht ein Lichtstrahl von oben ihn erleuchtet. Nur in deiner Hand liegt die Kraft und die Allgewalt, in deiner Hand der Kelch des Heils; nur du bist ein treuer Arzt, wahrhaft und voll Erbarmen. Darum harre ich, Ewiger, auf deine Hilfe, zu dir fchaut mein Auge auf im sehn- füchtigen Hoffen, zu dir spricht meine behende Lippe, ruft mein Herz in feinen stummen Schmerzenstönen, und mein ganzes We- sen löst sich vor dir auf in glühende Wünsche und Gebete. Ach, Allerbarmer, erhöre mich und laß mir wieder leuchten dein freund- lich Angesicht, errette mir den Gatten, schenke ihm wieder die Fülle der Gesundheit, gieb ihm wieder die Kraft, für sein Haus, für fei- nen Beruf, für seine Pflichten zu leben und zu wirken; erhalte ihn für unsere armen unschuldigen Kinder, als deren Ernährer, Er- zieher und Befchützer auf Erden du ihn berufen hast. Erhalte mir, o Gott, den treuen Lebensgefährten, meinen zuverläfsigsten Freund auf Erden! Er ist die Sonne, das Licht meiner Tage, und wenn dieses mir erlischt, dann ist Nacht und Finsterniß mein Loos. Er ist der Pfeiler meines Hauses, wenn dieser wankt, dann erbebt und sinkt mein Alles zusammen. An seiner Hand gehe ich unverzagt durch die dunklen Wege des Ungemachs, trage ich kraft- und muthvoll, was du, o Herr, mir auferlegst, aber ach, ohne ihn bin ich eine Ranke ohne Stütze, ein mast- und steuerlofes Schiff auf offener ftü:-mische: See. 96 Gott sei mir gnädig, gedenke mir nicht meine Sünden und mein Fehl. „Strase mich nicht in deinem Zorne, züch- tige mich nicht in deinem Grimme.” Gedenke meiner in deiner unbegrenzten Barmherzigkeit, und nimm freundlich und versöhnt meine frommen Vorsätze und Gelöbnisse der Besserung aus, meine ernstlichen Entschlüsse, mein ausrichtigstes Vornehmen, dem Unglücklichen und Dürftigen in Liebe und Freundlichkeit bei- zustehen; zu wandeln den Pfad des Rechts und der Frömmigkeit, und die Versuchungen zur Sünde zu fliehen. —— Mögest du dies als ein dir wohlgefälliges Sühnopfer annehmen, und möge es herabrufen über mich und meinen Gatten deine Gnade und dein Erbarmen. Ja, dein Erbarmen sende mir, o Herr, mit deiner Hilfe, Vater, begnadige mich. Amen. Fortsetzung. Du, o Gott, Wohlthäter , Freund und Helfer. aller deiner Kinder, du zählst jede Thräne, die dem Aug’ entqnillt, du bist nahe allen denen, die gebeugten, schmerzvollenHerzens sind, und stehest liebe- und erbarmungsvoll an des Kranken Haupt. — Du, Allvater, stehest auch mir und meinem Gatten nahe und zur Seite! Und das Bewußtsein deiner Nähe sei mir ein süßer, heil- samer Trost in meinem Leid; denn nicht allein, nicht verlassen bin ich in meinem Kummer. Du, Allvater, bist Zeuge meiner Thrä- nen, du siehst meinen Schmerz, blickst nieder aus meinen Gram, und du, Urquell alles Erbarmens und aller Gnade, du wirst auch mir dein Erbarmen zuwenden, deine Gnadensonne mir ausgehen lassen, und deine Hilfe mir nicht versagen! Möge ich in meinem Hoffen und Vertrauen nicht zu Schanden werden, möge deine Liebe nimmer von mir weichen, dein Himmelstrost mein Herz erheben, und mögest du gnädig an mir vorübersühren das Ungemach, das mich bedrückt, daß sich mein Leid in Freud verkehre, Gott der du bist meine Stütze und meine Zuversicht. Amen. 97 Gebet einer Mutter sitt das traute Kind. „Ach, mein Gott, mein Gott, schick’ Hilfe nür.” (Ps. 118- 25.) Mein Gott! Angst und Weh durchdringt mein Herz und f voll tiefen schweren Leids hebe ich meine Hände zu dir empor! Du allein, mein Schöpfer, der du das Menschenherz geschaffen und seine zartesten Saiten tönen horst, du allem weißt, welche Gefühle ein Mutterherz bewegen, welch ein Heer von Schmerzen für sie in dem Gedanken liegt: mein Kind ist krank, mein Kind in Gefahr. Zu dem Throne deiner Gnade flüchte ich nüch in meiner Noth, Allbarniherziget, unter deinemSchirm willüh mich bergen vor der Gewalt meines Kumniers und meiner Angst. O Herr, nimm mich gnädig auf, laß mich schauen deine Liebe und dein Erbarmen, gib meine Seele nicht preis der Angst und niein Herz dem Grame. Erhalte mir mein Kind, laß es gesunden und gedeihen. Mit tau- send Fäden hängt meine Seele an der seinigen, es ist mein Blut, mein Fleisch, mein Leben; mit Liebe und Schmerzen habe ich es unter meinem Herzen getragen, mit Liebe und Schmerzen es ge- boren und erzogen, es gepflegt und gehegt, mit Angst und Liebe jede Stunde seines Lebens bewacht, und in eißer Angst und Liebe fließen heute meine Thränen, schreiet mein Herz zu dir empor: Erbarme dich, Allvater, erbarmedich, schenke mir wieder mein Kind, diese zarte kaum vom Tageslicht berührte Blume; laß mich wieder sehen sein freundliches Lächeln, wieder sehen sein kindlich frohes Spiel, G und alle Tage meines Lebens will ich dir danken, und alle meine Krä;te will ich vereinen, um mein Kind zu erziehen zu deinem Wohlgefallen, daß sein Leben werde ein dir geweihtes, daß dein heiliger Name unauslöschlich eingegraben stehe in seinem Herzen, und es lerne dich verebren und anbeten sein Leben lang! Allvater, verwirf mich nicht, straf mich nicht um meiner Sünden willen, züch- tige mich nicht in deinem Zorne. Vergib gnädig mir meine Schuld um der Unschuld meines Kindes willen, erhalte mir sein schönes Leben, dieses so reine fleckenlose Leben, das durch seinen hellen Schein mein Herz und mein Haus verklärt und heiligt, und mit reinen seligen Freuden erfüllt. Erhöre, Allgütiger, mein heißes inbrünstiges Flehen. Allerbarmer, sende mir deine Hilfe, wie ich auf dich hoffe und vertraue. Amen. 98 Gebet einer Mutter, deren erwachsenes Kind krank ist. „Geknicktes Rohr wird er nicht zerbrechen- matten Docht nicht auslöschen.” (II. Jes. 42, 3.) Schwerer Kummer lastet auf meinem Herzen, o Gott, mein Kind, das vielgeliebte, theure, das ich mit Schmerz und Freude, mit Mühen und Sorgen auf und groß gezogen, es liegt darnieder, krank und siech, seine Kraft gebrochen und sein theueres Haupt von Gefahr umdroht. Erhalte mir, Allgütiger, das kostbare Geschenk, das du mir gegeben, schenke mir nochmals das Kind, womit deine Gnade mich beglückt hat, und das mir höher als alle Schätze und Güter der Erde gilt, wende von ihm ab das Unheil, wehte dem Uebel, daß es seiner sich nicht bemächtige, es nicht in der Blüthe seiner Jahre dahin raffe, und sein junges Leben inmitten seiner Laufbahn ab- schneide. Sieh, Gott, meine Angst, meine Kniee wanken und mein Herz bricht Vor Weh und Leid. Nicht durch Klagetöne und Worte ver- mag ich meinen Jammer auszudrücken, Mutterschmerz hat nicht Worte, Muttergram hat nur Thränen, und Thränen heiß und glit- hend entströmen meinen Augen! O, daß sie zu dir aufsteigen möch- ten, bei dir Eingang fänden und deine Hand sie wieder niederträufeln ließe als kühlenden Thau, als heilenden Balsam auf meines Kin- des Haupt. O, mein Gott, wenn du einer Mutter frommen Segensspruch so wohlgefällig aufnimmst, daß er ihrem Kinde oft Heil bringt für das ganze Leben; sollte nicht auch einer Mutter frommes in- brünstiges Flehen bei dir, o Gott, wohl aufgenommen werden und deine Hilfe, deine Rettung, deine Gnade auf ihr Kind herabrufen! AlIbarmherziger! Du bist mein Stab und meine Stütze, auf deine Gnade hoffe ich und auf deine grenzenlose Güte! Wenn durch Fehl und Schuld ich oder mein Kind dies Ungemach über uns hereingerufen, so laß dein Erbarmen walten, laß deine Huld ver- söhnend sich zu uns wenden, laß seine Leiden und meinen Schmerz It zur Sühne sein, und deineBergebung und dein Heiluns bringen. men. 99 Gebet für Eltern. „Ehre Vater und Vater. auf daß du lange lebest.” (2 B. M.) Mein Gott und Herr! Du bist das Wesen der höchsten, reinsten und heiligsten Liebe und schauest aus jede fromme Liebe wohlgefällig nieder. Doch welches Gefühl der Liebe auf Erden ist wohl reiner und heiliger, als Kindesliebe! Du selbst hast sie geweihet, hast sie uns ans Herz und ins Herz gelegt, und uns geboten, zu ehren und zu ehrfürchten Vater und Mutter, auf daß wir lange leben auf Erd en.” Und für sie, diese Ebenbilder deiner grenzenlosen himmlischen Liebe auf Erden, ringet sich in dieser Stunde das kindlichste Gebet aus den Tiefen meines Her- zens zu dir empor. Erhalte mir, Gott, meine Eltern, erhalte mir sie, die Schus- engel meines Daseins, die Begründer meines Glückes, die größ- ten Wohlthäter meines Lebens, denen ich so Vieles schulde, so Vieles verdanke! Sie haben mich gehegt und gepflegt, geführt und geleitet, haben für mich gewacht und gesorgt, gestrebt und ge- rungen, haben mit ihrem Herzblute mich auf und groß gezogen und mich gelehret, dich, o Gott, erkennen und mein Herz voll Ber- trauen und Liebe zu dir zu erheben. An ihrer Hand bin ich durch die sreundliche Jugendzeit, wie durch einen Garten der Wonne, voll weichen schwellenden Pfaden, voll duftiger Blumen und Blit- then, gewandelt, und jeder orn, jeder Stein des Anstoßes ward durch ihre Liebe und Sorgsamkeit aus meinem Wege geräumt. Bei ihnen fand ich stets den besten Trost, die zürt.lichste Theilnahme in allen Ereignissen meines Lebens! Aber vergebens suche ich nach Worten, um vor dir das auszusprechen, was mir so heiß, so innig und inbrünstig das Herz bewegt. Doch du, mein Gott, schauest in des Gemüthes innerste Tiefe, zu dir spricht die verborgenste, ge- heimste Regung, zu dir, du Herzenskundiger, spricht jetzt meine Seele in ihrer glühendsten, sehnsuchtvollsten Sprache, und diese Sprache wird zu dir dringen, wenn auch mein Mund keine Worte findet, um sie zu dir empor zu senden. O, mögest du meinen Wünschen freundliche Erhörung und Gewährung angedeihen lassen, mögest du segnen die geliebten Eltern mit deinen besten, schönsten, reichsten Gaben, mit einem langen, fried- und freu- denvollen Leben und sie beglücken mit aller Lust, mit aller Wonne 100 des Daseins, mögest du ihr Alter ein frohes, kummer- und schmerzloses sein lassen, und all die heißen Wünsche, all die be- glückenden Hoffnungen, die ihr liebend Elternherz erfüllen, mögest du, mein himmlischer Vater, durch uns, ihre Kinder, ihnen ins Le- ben treten lassen. Amen. Gebet für Pslegeelteru. „Denen, welche zurechtIveisen, wird es wohlergehn, und aus ste kommt der Segen des Guten” (Spr. 24, 25.) Gott, du Urquell aller Güte und aller Barmherzigkeit, in dessen Hand der Lohn für alles Edle und Wohlthätige auf Erden ruhet, der du den reichen Schatz der Segnungen den Thaten der Menschlichkeit und Liebe aufbewahrst, zu dir komme ich in der Fülle meines dankerglühten Herzens, um dich für das Heil und Wohl meiner Pflegeeltern anzuflehen, für diese Edlen und Gü- tigen, die mir so viele Freundlichkeit und Liebe widmen, so viel der Opfer für mich bringen. Sie haben mich nicht geboren und gezeugt, mich nicht unter ihrem Herzen getragen, ich bin nicht ihr Fleisch und Blut, und dennoch üben sie Vater- und Mutterpflich- ten gegen mich, nähren und pflegen, erziehen und leiten mich an zu allem Guten. O, vergilt ihnen, Allgütiger, mit der ganzen Fülle deines himmlischen Baterherzens. Nimm sie unter deinen Schuh, wie sie mich, die Verlassene, schützen, umschwebe sie mit den Fittigen deiner Huld, wie ihre Liebe und Freundlichkeit mich um- gibt, und lasse ein langes und glückliches Leben ihnen zu Theil werden, im Bollgenuß aller Freuden und Herrlichkeiten des Daseins. Nimm, Allvater, freundlich auf mein kindlich Gebet für sie, lüutere meine Gefühle, erleuchte meinen Verstand, daß ich durch all mein Fühlen, Denken und Handeln meine Dankbarkeit gegen sie bewähre und an den Tag lege, daß ich durch einen frommen bescheidenen Wandel ihres Wohlwollens stets würdiger werde und daß es durchFleiß und Strebsamkeit, durch Ehrerbietung in Wort und That mir gelingen möge, ihnen meine Liebe und Verehrung zu erkennen zu geben, und all ihre Hoffnungen und Erwartungen von mir zu befriedigen. Amen. 101 Gebet bei Erkrankung des Vaters. „Du sollst dienen dem Ewigen, deinem Gotte, Dann wird er seinen Segen auf deine Nahrung legen, Und jede Krankheit au deinem Innern entfernen.” (2. B. M. 23—25.) Mehr in Thränen als in Worten ergießt sich heute mein Ge- bet vor dir, Allerbarmer, in Thrünen heiß und brennend, er eugt von Angst und Weh! Was ist auch betrübender für ein kindlziches Herz, als den geliebten Vater krank und schmerzvoll zu wissen; was ist erfchütternder als der Gedanke auch nur an die entfernteste Möglichkeit, ihn, die Säule und die Krone unseres Hauses, den treuen Freund, Ernährer und Berather verlieren zu können! und wie ich auch auf dich vertraue, mein Gott und Herr — den er mich lieben und erkennen gelehrt — und wie sehr ich auch meine Hoff- . nung und Zuversicht auf deine Barmherzigkeit sehe, so ist es doch in Zagen und Bangen, daß ich vor dich hinfinke, um von dir das Leben, die Gesundheit meines geliebten Vaters zu erflehen. Es ist ja dein Wort an uns: „Ihr sollet mein Antlitz suchen. Nun suche ich sehnsuchtsvoll, o Herr, dein Antlitz, ver- birg es nicht vor mir.” Erhöre mein kindliches, inbrünstiges Flehen, laß nicht vergebens vor dir fließen meine Thränen, erbarme dich meines guten Vaters, erquicke ihn mit dem milden Thau dei- ner Gnade, träufle deinen lindernden, heilenden Balsam erbar- mungsvoll auf ihn nieder, und laß die Strahlen deiner Huld und Liebe auf ihn fallen, daß er in ihrer belebenden Wärme sich anf- richte in verjüngter Lebenskraft und Lebensfrische. Vergib ihm, Allgütiger, wo er irgend gefehlt vor dir, und gedenke all des Guten, das er gethan, der Werke der Milde und des Wohlwollens die er geübt, der väterlichen Liebe und Treue, die er im Herzen trägt und hegt, und laß sie als :nächtige Fürsprache an deinem Throne deinen Beistand und deine Hilfe für ihn herabrusen. Möge mein tiesfmniges, heißes Flehen zu dir gelangen, mö- gest du dich gnadenvoll zu meinem Gebete niederneigen, daß uns bald erscheine die Stunde der Rettung, die Stunde des Heils und unsre angstvollen Thränen sich verwandeln in Thrönen des Dan- kes, in Thränen der Freude und des Jubels vor dir, du Heil- und Segenspender. Amen. 102 Gebet bei Erkrankung der Mutter. „Mein Gott, ich bitte, Ich bitte, helle sie doch.” (4.B.M. 12, 13.) Allerbarmer, sieh, aufgelöst in tiefes bitteres Weh, vergehend in Angst und Schmerz stehe ich hier vor dir! Meine Mutter,meine geliebte Mutter ist krank! Jede Klage, jeder Schmerzenston, der von ihren Lippen kommt, jeder ihrer Seufzer durchzuckt mich mit namenlosen! Weh. Ach sie, die Treue, Liebende, die für mich so viel getragen und geduldet, geopfert, sie bedarf einer großen, all- mächtigen Hilfe, und ach ich — was kann ich in meiner Unmacht für sie thun! Jch kann nichts, als vor dir, mein Gott, mich nieder- werfen, meine Hände zu dir emporringen und unter heißen glü- henden Thrünen dein Erbarmen über uns herabrufen! Ach Va- ter im Himmel, sende uns deine rettende, allumfassende Hilfe, er- halte mir meine geliebte Mutter, meine Freundin und Beratherin, verleihe ihr Kraft, ihr Leid zu besiegen, verleihe ihr von Neuem Gesundheit und Lebensstärke, gedenke ihr all die Sorgfalt, all die Treue und Liebe, deren ihr Mutterherz stets voll war, und laß sie deiner Treue und Liebe theilhaft werden. Du bist der Herr und Meister des Lebens und des Todes, ein Wort, ein Blick von dir, kann wandeln unser Haus des Schmerzes in ein Haus der Freude, unsre Klag- und Jammertöne in Jubel- und Dankgesänge, . und du, Allgütiger, der du Wohlgefallen daran findest, ””daß stch freue alles Geschaffene, laß ergehen über uns diessegensvolle Wort, aß fallen auf uns diesen heilvollen, belebenden Blick, fprich es aus, daß meine Mutter lebe, daß sie gesunde, und mit Jubel und Dank will ich dich preisen und dir mein ganzes Leben weihen in frommer Liebe. Amen. Gebet einer Wittwe, die uumündige Kinder hat. „Bei dir findet Erbarmen der Berwaiste.” (Hosea 14, 4.) „Auf den Armen blicke ich, Aus den, der gebroehenen Gemüthes ist.” (Jes. 66, 2.) Laß mein Gebet zu dir aufsteigen, Allvater, der du weilest bei den demüthigen und zerlnirschten Herzen, der du belebst den Muth 103 der Gebeugten und erhebst die Seele der Schwachen. Zu dir em- por erheben sich meineBlicke, „wie des Kindes Auge zu fei- nem Vater, wie die Blicke der Magd auf ihrem Herrn- ru en.” Siehe, Herr, vereinfamt und verlassen stehe ich im Leben, mein Gatte, meines Hauptes Krone, meines Hauses Stütze, mei- ner Kinder Hoffnung ist nicht mehr; du hast ihn in deiner uner- " forschlichen Waltung von hinnen genommen, und einberufen in ein besseres Sein. Allein soll ich nun sorgen für meines Lebens und meines Hauses Bedarf, allein sorgen für die Erzie- hung und Ernährung meiner Kinder, foll ihnen nun Führer und Leiter, Stab und Stütze sein, ich, ein fchwaches, unerfahrenes Weib, selber der Führung und Leitung, des Rathes und Beistan- des so sehr bedürftig! Du, o Gott, bist der Vater der Waisen, der Vertreter der Wittwen, der Schutz aller Schwachen und Bedrängten, dich rufe ich an aus der Tiefe meines bekümmerten Herzens. Siehe mir bei in deiner Barmherzigkeit, laß mich nicht verkümmern in meiner Verlassenheit, laß mich nicht erliegen unter der Last meiner Sor- gen und Kümmernisse; laß gelingen was ich unternehme und lege deinen Segen auf das, was ich erwerbe, denn dein Segen macht das Kleine groß, das Wenige ergiebig, das Geringfügige zu einer Quelle großen Heils. Nur Gottes Segen macht reich. Erleuchte mich, Allgütiger, und stärke mich in dem schweren Werke der Erziehung meiner Kinder, daß ich ihnen die Umsicht und die Kraft des Vaters ersctze, daß ich sie stets leite den Weg der Tu- gend und der Frömmigkeit und sie heranbildezu guten, rechtschassenen Menschen, zu geachteten und nützlichen Mitgliedern ihres Volkes und Vaterlandes. Laß mich, Allbarmherziger, Wohlwollen und Freundlichkeit finden in den Augen der Menschen, daß ich treuen Rath und red- lichen Beistand finde, wo ich ihrer in meiner Verlassenheit bedarf. Erleuchte Du den Verstand Derer, die mir mit ihrem Rathe beistehen, und stärke du den Muth Derer, die zur Vertretung der Wittwe sich erheben, laß sie freudigen Lohn finden in dem Bewußt- sein, ein Schutz der Schwachen und Hilflosen zu fein, und gib ihnen deinen göttlichen Segen für Alles, was sie für mich thun. Auf dich, Herr, der du erhörft die Bitte der Demuthsvollen, auf dich hoffe ich, aus dich vertraue ich, in deiner Hand liegt mein Schicksal, ich sehe meine Zuversicht in deine Verheißung. Ein 104 Vater der Waisen, ein Vertreter der Wittwen, ist Gott in seiner heiligen Höhe. Amen. Gebet einer Mutter, deren Kinder sie ernähren. „Ich gieße meinen Geist auf deinen Samen und meinen Segen aus deine Si-rößlinge.” (Jes. 7, 8.) Jch lobe und preise dich, mein Gott und Herr, der du so huldvoll über mich tvalteft. Du h”ast mich begnadigt mit dem höchsten Lebensgut, mich begabt mit guten und treuen Kindern, die mich umgeben mit Liebe und Herzlichkeit, mir ihre zärtlichste Sorg- falt und Zuvorkommenheit widmen, und in den Tagen meines Al- ters, die nicht mehr geeignet sind zur Thätigkeit und zum Erwerbe, wo die Hände laß werden, die Füße nieht mehr fort wollen und die Ruhe so wohl und so Noth thut, haben sie es übernommen, für mich zu schassen und zu erwerben, was ich bedarf, und durch ihren Fleiß und ihre Betriebsamkeit einen ruhigen sorglosen Abend meiner Lebenstage mir zu bereiten. O mein Gott, wenn aus jedem Mutterherzen fromme Gebete für ihrer Kinder Wohl empor- steigen, wie follte nicht erst,mein Bitten und Beten um das Wohl- ergehen meiner Kinder, die so treu und ergeben sind, heiß und in- brünstig sein! O möge der tausendsache Segen, den mein dank- und liebeerfülltes Herz vor dir, Allvater, über sie ergießt, die un- erschöpfliche Fülle deiner Gnade über sie herabrufen. Segne, All- gütiger, ihr kindliches Streben, segne ihren Fleiß und Beruf, ihren Erwerb und Verkehr, laß wohlgelingen Alles, was sie beginnen, und stehe ihnen bei im Kampfe gegen die Anfechtungen und An- seindungen des Lebens und gegen die Versuchungen und Verlockun- gen zur Sünde. Schenke ihnen ein langes und glückliches Dasein, umstrahlt von deiner Huld und deinem Wohlgefallen; halte fern von ihnen Krankheit und Ungemach, und gewähre ihnen die volle Lebensluft und Lebenskraft zum Lohne so frommer, so treuer Kin- desliebe, welcher du deinen überschwänglichen Gottessegen hast ver- heißen; Seligkeit im Jenseits und langes glückliches Leben auf Erden. Mich aber, Allvater, laß Gnade sinden in deinen Augen, daß ich niemals durch Krankheit und Gebrechlichkeit ihnen zur Last falle, 105 nie durch einen mürrischen und unzusriedenen Sinn, durch Gereizt- heit und Empsindlichkeit ihnen ihre Pflicht erschwere. Gib, daß ich vielmehr stets im Stande sei, durch Heiterkeit und Rüstigkeit zu ihrem Nutzen, zur Erheiterung und Verschönerung ihres Lebens beizutragen, und durch ersahrenen Sinn und weisen Rath ihre Wohlfahrt zu sördern. Erhöre und geroähre, Allgütiger, mein Flehen und erhalte mir dieses schönste Glück einer Mutter, den : treuen Sinn und die fromme, sorgsame Liebe meiner Kinder. Amen. Gebet um Lebensunterhalt. „Befiehl dem Ewigen deine Wege, So werden deine Eatwürfe wohl gelingen” (Spr. 16, 3.) „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brod gewinnen.” So ward uns dein göttliches Geheiß, und geschäftig und regsam muß Alles daran zum Erwerb und Gewinn! Doch, Allvater, wenn wir noch so rührig und strebsam sind, wenn wir mit Mühe und Fleiß und Anstrengung die Furchen ziehen aus dem Felde unserer Betriebsamleit, unermüdet am Psluge stehen, und die Saat streuen, du aber wollest uns verschließen den Him- mel mit seinem besruchtenden Thau und Regen, und du wollest uns entziehen den warmen belebenden Sonnenstrahl: dann würde vergebens der Schweiß unsre Stirne netzen, vergebens wäre unser Streben und Ringen. s! Nur dein Segen, Allmächtiger, gibt unsrer Thätigleit einen heilsamen Erfolg, und um diesen deinen göttlichen Segen flehe ich in heißer Inbrunst vor dir: daß unsrer Hände Werk gelinge und s unser Wirken und Schaffen ein heilbringendes sei. Segne unser ” Haus, daß es erblühe in Fülle und Wohlhabenheit, segne unsre : Pläne und Entwürse, daß ein reicher Erfolg unser Streben lohne; verleihe uns Gesundheit und Rüstigkeit des Geistes und des Kör- pers, srischen Muth und Ausdauer, nnverdrossene Arbeitslast und Liebe, damit wir in Freudigkeit und Leichtigkeit unsre Aufgaben lösen und die Mühen unsres Berufes und Geschästes ertragen und ihnen volllommen genügen können. Laß uns, Allgütiger, frei von Kummer und Sorgen in Red- lichkeit undRechtlichleit ohne Schmach und BeschL”imung unser Brod 106 erwerben und niemals unsre Zuversicht und unser Vertrauen arg dich verlieren, der du ösfnest deine Hand in Milde und fättig Alles, was da lebt, aus der unerschöpslichen Fülle deiner Huld und Gnade. Amen. Gebet im Wohlstande. „Mein ist das Silber Und mein das Gold, Spricht der Herr” (Hag. 2, 8.) Gelobt bist du, Gott, der du die Welt geschaffen und sie er- füllt hast mit deinen Gaben und Gütern, und aus dem reichen Schatze deiner Gnade alle deine Geschöpfe betheiligst, die auf dich hoffen und vertrauen. Gepriesen bist du, mein Gott, der du auch mich deiner Seg- nungen gewürdigt und mein Haus mit Wohlstand gefüllt hast. Aus den Tiefen meiner Seele danke ich dir dafür, Allvater, mit Herz und Mund, mit allen Kräften meines Wesens. Doch nicht d er D ans, der nur in Worten allein sich ergießt, ist ein dir wohl- gesälliger, sondern unser wahrhaftes Dankopfer müssen wir auf den Altar der Menschheit niederlegen, den Segen, den du uns verliehen, müssen wir zu einem Segen machen für den Armen und Dürftigen neben uns; mit den Kräften, die wir durch deine Gottesgaben empfangen haben, müssen wir unsern hilflosen ohn- mächtigen Bruder aufzurichten streben, müssen wir zu trocknen suchen die Thränen des Elends und des Ungemachs. "Wir müssen zur Hebung und Förderung gemeinnütziger, heilsamer Anstalten mitwirken, und Werke, die zur Ehre unseres Gottes und unseres Glaubens, zur Ehre unseres Volkes und zum Heil unseres Vater- landes führen, nach Kräften und Vermögen unterstützen. Drum flehe ich zu dir, Allvater, verleihe mir Einsicht und Erkenntniß, damit ich deine Segnungen und Gaben so verwende, wie ich sie verwenden soll, und laß mich nie vergessen, daß siemir nur zu einem weisen Gebrauch von dir verliehen sind, und daß ich einst darüber von dir werde zur Rechenschaft gezogen werden. Laß mich niemals jenen Einflüssen des Wohlstandes erliegen, die das Herz verhärten gegen fremde Leiden, die uns so oft mit Stolz und Uebermuth erfüllen, daß wir uns für die Höherm und Besseren halten den minder Reichen und Begüterten gegenüber, daß wir das 107 Verdienst, das im Gewande der Dürftigkeit erscheint, gering schät- ” zen und mißachten und oft vergessen, auch in den Armen und Ge- ringen das Ebenbild Gottes zu ehren. — Gib, Allvater, daß ich mich nie der Unthätigkeit und der Ver- weichlichung hingebe, daß ich stets kräftig und gerüstet gegen das wechselvolle Leben bleibe. Verleihe, Allbarmherziger, mir und den Meinen Gesundheit des Körpers und des Geistes, um in Frohsinn und Heiterkeit uns deiner Gottesgaben erfreuen zu können. Laß, Allgütiger, deinen Schuh und deine Gnade uns stets umschweben und entziehe uns nimmer deine Liebe und deine Freundlichkeit. Amen. Gebet einer Unbemittelten. „Gott macht arm und macht reich, Er erniedrigt und ekhöhet wieder. Er richtet aus dem Staub den Armen aus.” (Sam. 1, 2, 6.) Mein Gott! Auf verschiedenartigen Wegen führst du uns durchs Leben, aber wo wir auch wandeln, deine Lie e ist uns eine stete Begleiterin auf allen unsern Wegen. Wenn unsere Bahn-durch geebnete und gesegnete Gefilde sich hinzieht, dahin gehet über üppige blühende Fluren, wo die ersehnte Goldfrucht des Lebens uns überall entgegenwinkt, da stellen sich uns gar sichtbarlich die strahlenden Erscheinungen deiner Huld und Gnade dar, mein Gott; — doch wenn unser Weg durch öde, dürre Steppen führt, wenn karg und spärlich das Brod uns zugemessen ist, der Besitz uns fliehet, die Armuth uns drängt und nur herbe Mühe und Schweiß uns das Unentbehrlichste gewähren; auch da ist es der Geist deiner Liebe, der über uns waltet. Und. obgleich er sich dann nicht eben so augenscheinlich und unverhüllt bethätigt, dem kindlich frommen Herzen wird auch dann deine heilige Ekscheinung kund, wie sie vor ihm hergeht durch die Wüste des Lebens und sie ihm erleuchtet. Das fromme Gemüth erkennt in jeder Schickung die Hand des Herrn und nimmt dieselbe auch da, wo es dadurch leidet, als Wohlthat an, selbst da, wo es nicht zu begreifen vermag, welchen Nasen ihm dies Leiden bringen kann. Darum will ich ruhig und ergeben meinen Weg dahingehen, ob er gleich der Weg der Armuth, der Entbehrnisse und des Man- 108 gels ist, denn du, mein Gott, hast mich ja aus ihn hingewiesen. Du, der du dem Reichen wie dem Armen sein oos hast zugetheilt, du weißt allein, was dem Menschen in Wahrheit frommt und nüyt und welche Lage und welcher Stand, der hohe oder der niedere, der dunkle oder der glänzende, unsern Kräften und Fähigkeiten am an- gemessensten und entsprechendsten ist. Wäre es bei mir gestanden, ich hätte inder Befang enheit und B eschränktheit dU mensch- lichen Sinnes mir eilich einen andern Weg gewählt, die schim- mernde lockende Bahn des Retchthums und des Ueberflusses vor- gezogen. Aber weiß ich denn, ob ich darauf auch sicher gewandelt wäre, weiß ich es, ob mein Herz nicht erlegen wäre den Einflüsseu des Reichthums, nicht wäre hart geworden gegen meines Nächsten Unglück, unempfänglich gegen die stillen, häuslichen Genüsse, be- thört und geblendet von Stolz, hingegeben der Eitelkeit und dem Eigendünkel, bestrickt von Leichtsinn und von Gottesvergessenheit; während die Armuth mir Mitleid und Erbarmen gegen meinen Nebenmenschen in die Seele gießt, mich an Demuth und Geduld gewöhnt, mein Herz ganz den heiligen Freuden der Häuslichkeit öffnet, die kleinste Gabe Gottes mich als eine Wohlthat begrüßen lehrt, mich durch Thätigkeit vor Erschlaffung hütet, und Ausdauer und Fleiß mir zum Eigenthum gibt. Wohl hat die Armuth oft ihre bitteren, herben Stunden, wo schwer und schmerzlich die Last des Ungemachs und des Elends sich auf uns legt; in solchen Stunden laß, oGott, deinen Beistand, deine Hilfe mir nahe sein und meine Hoffnung und mein Ver- trauen auf dich nimmer roanken. Und warum sollte ich auch za- gen und bangen, bist du nicht ein Gott des Erbarmens und ein Gott der Allmacht! Ein Wort, ein Wink, ein Hauch von dir und das trübste Schicksal wird licht und hell. Du richtest auf d es Gebeugten Haupt, erhebsst den Armen und Dürftigen und setzest ihn”hin zu den Edeln im Lande. Du sendest die Hilfe, wenn wir auch nicht sehen, wie und von wannen sie kommen kann; plötzlich, unerwartet, ungeahnt kommt die Stunde der Rettung und des Heils, wo einzieht Jubel und Seligkeit in unser Herz, und aus der thränenvollen Saat eine reiche Freuden- ernte für uns emporwächst. Darum sei gepriesen, Herr, wo du uns gewährst, und geprie- sen, wo du uus vers(-gst. Nicht ängstigen und sorgen will ich mich, alle meine Sorgen werfe ich auf den Herrn, denn du liebst mich und sorgst für mich, du wirst mir niemals fehlen lassen, 109 was mir wirklich Noth thut, und mir auch zur rechten Zeit alle jene Gaben und Güter gewähren, die mit meinem wahren Heile vereinbar sind. Um Eines nur bete ich zu dir, mein Gott, laß mich in mei- ner Armuth nie der Bersnchung zur Sünde erliegen, und nie der Schande und der Schmach eines unehrlichen, oerächtlichen Lebens verfallen, sondern durch Redlichkeit und Rechtlichkeit, durih Thä- tigkeit” und Fleiß dein Wohlgefallen und die Liebe und die Ach- tung meiner Nebenmenschen gewinnen. Amen. Gebet einer Dienenden. „Nährst du von deiner Hände Arbeit dich, Heil dir, es wird dir wohl ergehen” (Ps. 128, 2.) Allmächtiger! Nicht zum Müßiggange hast du den Menschen auf Erden gesetzt, sondern daß er arbeitfam und betriebsam fein Brod im Schweiße seines Angesichtes sich erringe. Aber mehr noch als viele Andere bin ich berufen zum Fleiß und zur ange- strengten Th ätigleit, denn dir, o Gott, hat es nicht gefallen, mir den Born des Reichthums zu erfchließen, woraus man schöpft, so oft man braucht, und so mit leichter Mühe feine Bedürfnisse be- friedigt. Arm bin ich und ftützlos, Alles, was ich bedarf, muß ich mir erst mit eigener Hand erwerben. Doch du bist ja der Allgü- tige, du verlässeft keines deiner Geschöpfe, dn gibst dem Thiere auf dem Felde seine Nahrung, den jungen Raben, wonach sie schreien, und du wirst auch mich nicht verlassen, wirst auch meine Stimme hören, wenn ich dich anruse. Darum will ich nie ver- zagen, will immer hoffend auf dich schauen, und mit frohem Muthe meinen Aufgaben und Pflichten nachkommen. Laß, Allgütiger, mich nur stets erfüllt fein von frischer Arbeitslast und Liebe; laß mit jedem Morgen in mir neu erwachen den frommen Wunsch und den festen Willen, mein Leben einer steten, dir wohlgefäl!igen Thätigkeit zu widmen. Verleihe mir, Allvater, hierzu die erhöhete Kraft und Rüstigkeit des Körpers.und des Geistes, damit ich in der Erfüllung meiner Aufgabe nicht er1natte und ermüde. Ber- leihe mir einen frommen, bescheidenen Sinn und ein demüthiges 110 Herz, daß ich meinen Eltern fortwährend ein gutes, ehrfurchts- volles Kind sei, und stets ehrerbietig, ergeben und treu mich gegen diejenigen bezeige, unter denen ich stehe und aus deren Hand„ ich meinen Lebensunterhalt empfange. Laß mich dadurch in ihren Augen Liebe und Wohlgesallen finden, und bei allen Menschen diejenige Zuneigung und Achtung, die Jeder, auch der Aermste und Geringste, sich durch einen gottgefälligen, bescheidenen und tadellosen Wandel erringen kann, und die gerade der Reiche oft durch ein hochmüthiges und kränkendes Wesen verliert. Aber vor Allem, Allvater, versage mir deine Liebe nicht; laß aus Allem, was ich beginne, deinen Segen ruhen. Stehe mir bei, daß ich niemals einer Versuchung zum Schlechten unterliegen möge, wie lockend auch die Gelegenheit sich mir dazu darbiete, und leite mich mit deinem Rathe auf den Weg des Rechts und der Unschuld, der allein zur Ehre führt und zum Heile, Amen. Gebet um Geduld und Kräftigung in schweren Leiden. „Wer bildet Licht, wer webet Finsterniß, Wer schasst das Glück, wer schicket Kümmernis? Jch der Ewige” (Jes. 45, 7.) Gott, mein Herr! dich sucht mein nasses Auge in den weiten Räumen der Schöpfung; dich sucht meine Seele, um vor dir aus- zuschütten ihr Leid; zu dir steigt auf meiner Lippen Klageton! Leiden und Drangsale haben sich über mein Haupt ergossen, und mein Herz ist bittern Grames voll. Gar oft sündige ich in mei- nem Schmerze vor dir, oft möchte ich rechten mit des Geschickes Herrn und Meister, möchte klagen gegen den Allmächtigen, und schmerzlich bangend frage ich mich: Habe ich so Bitteres ver- schuldet, hat Gott der Allerbarmende sein Antlitz von mir abge- wendet in unversöhnlichem Zorne, daß meine Thränen vergebens vor ihm fließen, und mein Bitten und Beten nicht sein Ohr erreicht? Schwer liegt auf mir des Unglücks Last, und wie ich auch dagegen ringe, ich besiege es nicht. Ach, im Unglücke erst lernen wir die menschliche Ohnmacht und Hilgosigkeit kennen, im Unglücke erkennen wir erst, daß nur du unsre tütze bist und unsre Kraft, 111 und welch einen Segen, welche eine unbegrenzte Wohlthat du uns verliehen hast durch deine göttliche Lehre. Sie ist uns eine starke, treue Führerin durchs Leben und eine milde, unermüdliche und unerschöpfliche Trösterin bei des Lebens Unfällen und Betrübnissen. Wie die liebende Mutter sich hinsetzt an die Wiege ihres weinen- den Säuglings und so lange, in weichen, kosenden Tönen trauliche Lieder ihm vorsingt, bis endlich das Weinen des Kindes einem süßen Lächeln Platz gemacht — ebenso setzt Mutter Religion”an das Schmerzenslager des weinenden Menschenkindes sich hin und legt ihm so lange ihre sanften Tröstungen ins Herz, bis endlich „die Leiden ihm aus dem Herzen geschwunden sind. Sie lehrt uns, daß du es bist, der das All in „-Liebe hegt und trägt, daß du es bist, von dem Alles ausgeht, was uns an Gütern und Freuden zu Theil wird, und der allein unsers Lebens Glück und Segen ist. Sie zeigt uns, daß du gerade über diejenigen deine Prüfungen verhängst, die du lieb und werth hältst, daß du mit deiner Liebe ihnen stets nahe bist, deine helfende Kraft ihnen sendest, wo sie deine Hilfe nicht entbehren können, und ihre Trauer in Jubel, ihren Schmerz in Freude wandelst. — War es nicht gerade Abraham, der gläubige und erleuchtete Erzvater, der Erste, der der Welt deinen Namen gelehrt, den du mit so vielen schweren Prüfungen hast heimgesucht, und ihn den Sohn seiner Seele als Opfer hast niederlegen lassen auf den Al- tar! —- Und Jacob, der sanfte und fromme Patriarch, vom väter- lichen Heerde hinausgestoßen, wanderte er hin, nichts als den nackten Stab in der Hand, allen Gefahren eines Wanderlebens preisgegeben. Doch mitten in den Wüsten und Einöden warst du sein Schuh, um sein schlafend Haupt, um seine Schlummerstätte ließest du deine Engel sich lagern. — David, der Mann nach dei- nem Herzen, der heilige, gottbegeisterte Sänger, auch er kostete den hetben Becher des Mißgeschickes, und Töne tiefen Schmerzes durch- klingen sein sangreiches Leben. Darum flüchte ich in meinem Mißgeschick mich zu dir, mein Gott, und halte mich an dir in Gläubigkeit und Vertrauen. Vor dir schütte ich mein Herz aus, vor dir weine ich meine Thränen; nicht Thränen des Unwillens und des Trotzes, sondern Thränen, wie sie das Kind aus der Mutter Schooß vergießt, wenn es vor ihr aufthut die trauern Seele; Thränen, die das Herz erleichtern, die bittern Empfindungen hinwegwaschen und das Gemüth öffnen der Hoffnung und der Zuversicht. 112 In der frohen, glaubensstarken Zuversicht will ich mein Herz össnen, daß du, o Gott, auch mir deinen Beistand und deine Hilfe senden und meine Leiden enden lassen wirst zur rechten Zeit, denn du hast Huld und Liebe für alle deine Kinder. Und ob wir auch deinen Zorn verschuldet, und dein Mißfallen durch unser Thau hervorgerufen hätten, so ist doch dein Erbarmen groß und deine Gnade ohne Ende. Dein Zorn währt-nur einen Augen - blick, deine Gnade ein Leben lang. Gib nur, o Gott, daß ich nie ermüde und ermatte in meinem Vorfatze, daß ich nie meinem Sch1nerze mich hingebend die Hände sinken lasse und meine"Pslichten verabsänme; daß ich nie in Ge- reiztheit und Ungeduld lieblos und unnachsichtig gegen meine Um- gebung sei, und nie unempfindlich und undankbar werde auch gegen die geringste der Wohlthaten, die deine Gnade mir gewährt. Mögest du, mein Gott, mich bald würdig sinden, mir die Pforten der Freude und des Glückes zu öffnen, mir ausgehen zu lassen die Stunde der Rettung, die Stunde des Heils, wo mein Auge weint — anstatt Thränen des Kummers, Thränen der Freude und des Dankes. Amen. Gebet m schwerer Krankheit. „Du führest den Menschen bis zur Ver- nichtung, und sprichst dann: kehre zurück ins Leben.” (Ps. 90, 3.) Von meiner schmerzvollen Lagerstätte erhebt sich mein Auge zu dir, Gott, mein Gott, der du schlägst und verbindest, verwun- dest und wieder heilst! Du hast mich mit schwerer Krankheit heimgesucht, meine Glieder sind ermattet und des Fiebers Glut durchschleicht mein Gebein; doch- inmitten meiner Leiden und Schmerzen bist du, o Gott, meine Hoffnung und meine Zuversicht, mein Stab und meine Stütze. „Denn verschmachtet auch Leib und Seele mir, so bist du doch stets meines Her- zens Trost, mein Theil. Die sind verloren, die von dir sich entfernen, verloren, die um Anderer Gunst sich b emühen.” Nicht auf Menschenhilfe setzeich mein Vertrauen, des Menschen Wissenschaft und Weisheit ist nur ein Irrlicht, das 113 im Finstern schwankt. Wenn du ihm nicht mit deinem Lichte leuchtest, ihm nicht aufthust den Weg der Rettung, wenn du ihn nicht erwählst zum Werkzeug deiner Gnade, zum Boten deines Heils, dann ist eitel und vergebens all sein Mühen! Doch ein Wink von dir, du Urquell alles Lebens, genügt, mir die verlorne Lebenskraft zurückzugeben, mich wieder zurückzuführen in das warme blühende Reich des Lebens, an das ich mit tausend zarten und heiligen Fäden geknüpft bin. So mögest du mir-beistehen, mein Gott, mit deiner Gnade. Laß mich wieder gesund und rüstig werden an Leib und Seele, laß mich wieder zurückkehren zu meinem gewohnten Wirken und Schaffen, zu dem lieben Kreise meiner Angehörigen, zum Ruh und Frommen meiner Nebenmenschen. Amen. 1. Fortsetzung. „Gott, sei mir gnädig, denn ich welke hin; Sende du mir Heilung und Genesung- Denn es ist ermattet mein innerstes Gebein.” (Ps. 6, 2.) Gott, auf dunkeln Wegen führst du uns zu unserm Heile, du führest uns durch Leiden, damit wir tveisern Sinnes werden, da- mit wir umkehren vom sündigen Wandel. Mein Gott, mit tiefem Schmerz, mit brennendes: Reue muß ich es bekennen: Gar oft bin ich von deinen Wegen abgewichen, habe oft durch Sünden meine Lebenstage entweiht, sie oft verloren Dir meine Bestimmung auf Erden und für mein ewiges Heil. erecht bist du, mein Gott, in deiner Strafe, in Allem, was du über mich verhüngst. Doch, mein Gott, nicht nach strengem Rechte, nach deiner Barm- herzigkeit richte mich; flehend salte ich meine Hände, thrünend blickt mein Auge zu dir auf, bebend öffnen sich meine Lippen, um deine Gnade und deine Vergebung für mich anzurufen. Laß mich nicht anheimfallen dem Tode; der du Gefallen hast am Leben, er- halte mich am Leben, damit ich nachholen kann, was ich verab- säumt, damit ich vollende meine Aufgaben, damit ich lebe dem Wohlthun und der Frömmigkeit. Amen. 114 2. Fortsetzung. „Mein Gott, aufgezeichnet sind in deinem Buche die Tage, die mir werden sollen, als noch keiner der- selben war; und sollte es deinem unerforschlichen Rathschlusse gefallen, mich schon abzurufen aus diesem Leben, o so flehe ich dich an, Allvater, lehre mich demuthsvoll und ergeben deinen Willen ehren, daß ich ruhig, heitern Muthes diese Welt verlasse, die so oft eine gar herbe Prüfungsschule ist, um unsere Seele zu bilden und vorzubereiten für das erhabene himmlische Jenseits. Laß mich, Vater, erstatten, und Erhebung finden in dem trostreichen Bewußtsein, daß der Tod nur ein gehorsamer Bote deiner Allmacht und deiner Allbarmherzigkeit ist, der den gebrechlichen, schmerz- vollen, hinsinkenden Leib zum friedlichen, ewigen Schlafe führt; die Seele aber schrankenlos in freier siegender Kra sich auf- schwingen in ihre göttliche .Heimath, wo ihrer hebt” Freuden warten im Kreise unsrer Verklärten Freunde, die uns vorange- gangen. Die Lieben und Theuern, die ich dann hier zurücklasse, be- fehle ich deiner Allliebe und Allgnade, sei du ihnen fürder Schutz und Hort, Vater und Freund, Führer und Leiter auf” allen ihren Wegen. Führe sie sanft und mild durchs Leben auf dem Pfad der Tugend und des Rechtes, der Ewigkeit zu, in der ich sie er- warten werde. Mögest du mir, Allerbarmer, vergeben alle meine Sünden, mögest du mich in Gnaden bei dir aufnehmen, daß meine Seele versöhnt, gereinigt und geläutert zur Ruhe eingehe. Amen. Nach der Genesung von schwerer Krankheit. „Es züchtigt mich der Herr, Doch dem Tode giebt er mich nichts-reis.” (Ps. 118, 18) Allwaltender, Gnadenvoller! Wie danke ich dir für das Heil, das du mir hast zu Theil werden lassen! Von schwerer Krankheit heimgesucht, vnn Schmerz und Qual gemartert, lag ich 115 kraftlos darnieder, umschwebt von Todesgefahren. Doch in der Enge rief ich zu dir, und du halfst mir auf. -Von den düstern Todespfaden führtest du mich zurück ins blühende Reich des Lebens. Statt der Todesschatten ließest du mich von Neuem des Tages freundlich Licht begrüßen. Nicht getrennt hast du mich von meinen Freunden, meinen Angehörigen, von denen, die mei- nem Herzen lieb und theuer sind; in deiner Gnade hast du uns einander wiedergegeben und vereinigt. Mit welcher Wonne fühle ich meine Kräfte täglich wehe sieh heben, used G"esemdheit mich durchströmen! Preis und Dank dir, AlIerhöchster, jeder frische Schlag meines Herzens sei dir ein Dank- und Lobgebet, jede Stunde meines Daseins sei dir g"eweihet in Liebe und Dank- barkeit. Zum zweiten Male, Allgütiger, hast du mir das Leben gege- ben, und wenn ich auch nicht, wie das erste Mal, voll Kindesun- schuld und Kindesreinheit es begrüße: so hoffe ich doch durch meine Leiden so Manches gesühnt zu haben, und von so mancher Thorheit gereinigt und gelüutert das neue Dasein zu beginnen. Wie kostbar ist das Leben! Bis jetzt habe ich meine Tage oft in strafenswerthem Leichtsinne vergeudet, ohne Nah und From- men; habe sie oft vertändelt im Müssiggang und in eiteln Zer- streuungen, in der Beschäftigung mit Dingen, gänzlich fremd dem wahren Zweck des Lebens. — Von nun an will ich besser auf meine Zeit achten! Kein Tag soll mir verloren gehen, jeder soll mir reichlichen Gewinn für meinen Beruf auf Erden, für meiner Seele Heil, für meines Herzens Vervollkommnung bringen, und jeden Abend will ich meinen innern Richter fragen, ob er mit meinem Tagewerke zufrieden sei. Bis jetzt habe ich meine Tage oft in Trübsinn und Ver- stimmtheit hingebracht; oft hat ein kleiner UnfalI schon mich nieder- gedrückt, und das geringste Mißlingen meiner Hoffnungen mich mit Unmuth und Schmerz erfüllt. Von nun an hinweg mit die- sem düstern Sinnen. Gott hat mich .nicht von Neuem ins Leben gerufen, um es in Trauer und in verzehrendem Mißmuthe hinzu- bringen. Oessnen will ich mein Herz jedem freundlichen Eindrucke, freuen will ich mich des Guten, das der Herr mir bescheert, wenn es auch noch so klein und so geringsügig ist; freuen will ich mich des Glückes meines Nächsten , mich freuen, wenn es mir gelingt, ihm wohlzuthun. 116 Das Tranrige und Mißhellige in meinen Verhältnissen will ich mit Kraft und Ausdauer bekämpfen, mit Muth und Geduld es mir zu erleichtern und zu verbessern suchen. Doch wo mein Kampf vergebens ist, da werfe ich meine Sorge auf den Herrn, auf ihn, der für mich sorgt, und mir tragen hilft, was mir zu schwer, der meine Stütze ist, wenn ich wanke, der ewig ist meine Zuversicht und mein Heil. Ihm befehle ich meine Wege, und er führt sicher mich. Wenn Alles mich verläßt, -wenn Keiner helfen mag und kann, bist du, o Gott, der nimmermüde Helfer und Retter, auf deine Hilfe hoffe ich ewiglich. Amen. Gebet einer kräukelnden Person. „Einen Gott außer mir kennst du nicht, Und ein Helfer außer mir ist nicht da.” (Hes. 13, 4.) Mein Gott und Schöpfer, niedergebeugt und gebrochen von meinen langwährenden Leiden, siehe ich vor dir, bei dir Schuh und Kraft und Hilfe suchend. Ach, dies stete wiederkehrende Weh raubt meinem Herzen jede Lust und Freude des Daseins, und läßt darin bittre, schmerzvolle Empfindungen wach werden. Die Ge- brechlichkeit meines Körpers gewinnt gar oft einen traurigen Ein- fluß auf meine Seele; ich werde oft reizbar und aufgeregt, werde oft mürrifch gegen meine Umgebung, ungeduldig gegen deine Schickungen und Fügungen, mein Schöpfer; ich vergesse, daß Alles, was uns zukommt, auch das Schmerzliche ein Ausfluß deiner All- liebe und Allweisheit ist, nur bestimmt zu unserm Heile. Du, o Gott, in deiner unbegrenzten -Vaterhuld lässest mich gewiß nicht zwecklos leiden! Entweder fendest du mir mein Lei- den als Strafe meiner vielfachen Sünden„und Verschuldungen, fendest es mir als Mittel zu meiner Besserung, als Ermahnung und Erinnerung zur Wiederkehr zum Heiligen und Gerechten, um durch dasselbe mein Herz abzuziehen von dem Raufche sinnlicher Genüsse, von den Eitelkeiten und Täuschungen des Lebens, und es für fromme Gedanken und Bestrebungen empfänglich zu machen: oder du fendest mir mein Leid als eine Versuchung, als eine Prü- fung meiner Hingebung und meines Vertrauens auf dich, um mir 117 Gelegenheit zu geben, mich selber zu erproben, und die Stärke meiner Gefühle und Grundsätze kennen zu lernen. Wenn es eine Strafe ist — sollte ich sie nicht in Demuth tragen , in kindlicher Geduld und Unterwürfigkeit, und in frommer Ergebung den Absichten deiner göttlichen Weisheit entgegen kommen! Und wenn es eine Prüfung ist, sollte ich dann nicht alle Kräfte meiner Seele vereinen, nicht allen Muth, alle Stärke mei- nes Herzens sammeln, um vor dir, mein Gott, mich zu bewähren im Glauben und im Vertrauen und aus der Prüfung, deren du mich würdigst, fest und makellos hervorzugehen. O stehe mir bei, mein Gott, daß mein Herz stark werde und gestählt durch den Glauben und das Vertrauen, daß es mit Ruhe und heiterer Er-gebung Schmerz und Qualen der Krankheit hin- nehme, indem es zu dir aufschauet, deiner Gnade harret, auf dein Erbarmen hofset. — Ja dein Erbarmen, Herr, sei mein Trost und meine Hofs- nung! Warum sollte ich auch verzagen, mich hingeben meiner Bekümmerniß und Betrübniß! „— Du, dessen Vaterhuld und Liebe alle deine Kinder umschließt, du trägst auch mich an deinem lieben- den Vaterherzen; der du nach Nacht und Nebel den erquickenden Sonnenstrahl der Erde sendest , du wirst auch in mein, von Schmerz und Krankheit umnachtetes Leben den lichten Freudenstrahl der Genesung senden. Der du nach jedem Winter den milden Früh- lingshauch wehen lässest, um den erstarrten Boden von Neuem zu beleben und zu erwecken, — du wirst auch meine hingesunkenen Kräfte, meine erstarrten Lebenssäfte durch den frischen Hauch der Gesundheit neu verjüngen, zu neuem Leben, zu neuem Wirken und Schaffen im Kreise meiner Lieben und Theuern. O so mögest du es mir geschehen lassen, möge der erquickende Thau deiner„ Gnade aus mich herabträuseln, dein Erbarmen sieh an mir bewähren, deine Liebe mich erretten und erhören. Amen. 118 Aus einem Kurplake. I. „Schöpfer Wasser mit Freuden an den Quellen der Heilung, Doch beim Ewigen ist die Hilfe.-” (Jes. 12, 3.) Groß sind deine Werke, Herr, die ganze Erde ist voll von deiner Güte. Du hast für jeden Schmerz einen lin- dernden Balsam, für jede Wunde ein heilendes Kraut geschaffen. Bald sindeu wir den Segen im sprudelnden Quell, der aus hartem Fels uns entgegenrinnt; bald wächst er für uns auf blumigen Fluren empor, bald blühet er uns aus der Berge Höhen, bald wieder wird er aus tiefem Schach”t gegraben. — Doch beschränkt ist der menschliche Verstand , seine Einsicht so schwach, und gar oft sucht er vergebens, was ihm wohl und noth thut; es blühet zu seinen Füßen und er kennt es nicht, es grünet-über seinem Haupte und er weiß nichts davon. O,"mein Gott, möchte ich hier den Balsam finden für meine Wunde. Möchte deine Güte sich an mir bewähren, daß der Ge- sundheit kostbarer Schatz mir hier zu Theil werde, und ich besreiet von meinen Leiden heimkehre zu den Meinen, um mit fröhlichen: Herzen, mit heiterer Seele und allen meinen Kräften wirken und schaffen zu können, zur Freude und zum Heil meiner Angehörigen, zum Segen meiner Mitmenschen, und zu deiner Ehre und deinem . Wohlgefallen, mein Gott und Herr. Amen. II. Allgütiger Gott! So Vieles habe ich zu erbitten von deiner himmlischen Gnade; doch Eins ist es, was vorzüglich sich aus meine Lippen drängt, eine Bitte, die ich vor Allem zum Throne deiner Allmacht emporschicke — die heiße Bitte um Wiedererlangung und Rückkehr meiner Gesundheit! Ich habe meine Heimath, meinen häuölichen Heerd, den Kreis meiner Lieben, meinen Gatten, meine Kinder — meine gewohnte Thätigkeit verlassen, um hier im Schooße deiner wunderwirlenden Natur Heil und Genesung zu 119 finden für mein Weh. O, laß meine Hoffnung nicht zu Schanden werden, laß mich nicht vergeblich an die Pforten deiner Gnade pochen. Sende mir den Engel der Genesung, wie da geschrieben steht: „Die Gott anrusen, die erhört et, und schicket sein Wort, daß sie genesen,”” daß ich wieder einmal das felige Gefühl der. Gesundheit koste, das so lang entbehrte Glück des Wohlbefindens; daß ich mit voller, ungetrübter Seele mich wieder erfreuen könnte an dem Anblick deiner herrlichen Schöpfung, und mit neuem Leben, mit neuer Liebe, mit frischer Kraft und frischem Muth mich wieder den Pflichten meines Berufes widmen könnte. Erhalte mich, mein Gott, und leite mich, daß ich stets so lebe, wie es zur Hebung und Förderung meiner Gesundheit dien- lich ist. Siehe mir bei, und starke mich , daß ich standhaft genug sei, Allem zu entsagen, was dem Werke meiner Genesung nach- theilig fein könnte, daß nicht irgend ein lockender Genuß, eine” schädliche Begierde oder eine Aufregung des Gemüthes wieder das zerstöre, was ich mit so vielen Mühen und Wehen errungen. H eile uns, Gott, und wir find geheilt, hil uns, und es ist uns geholfen, denn du bist unser Ruhm, unsre Hoff- nung und unsre Stütze immerdar. Amen. Gebet im höhern Alter. „Verwirf mich nicht zur Zeit des Alters, Wenn die Kräfte mich verlassen, verlaß du mich nicht.” (Ps. 71, 9.) „Unser Leben währt siebenzig Jahre, Und wenn's hoch kommt, achtzig, Und ihr Stolz ist—Mühe und Kummer.” (Ps. 90, 10.) Gott, mein Gott, was ist das Leben! Ein Traum, ein Schatten, der vorüberzieht, eine Wolke, die zerrinnt, ein Schall, der verfliegt! — Eine lange Reihe von Jahren hat mich deine Gnade leben lassen; aber jetzt, wo ich darauf zurückblicke, wie flüchtig und kurz erscheinen sie mir. Und wie ganz anders er- scheint uns überhaupt das Leben bei dem Rückblicke in die Ver- gangenheit, als es in der Gegenwart sich uns dargestellt. Wie 120 ganz anders beurtheilen wir jetzt die Gefühle, die uns beseelt, die Wünsche, die uns durchglühet, die Sorgen, die uns geängstigt, die Bestrebungen, die uns erfüllt, die Freuden, die uns entzückt, das Glück, nach dem wir gestrebt und gerungen haben; wie nichtig, wie eitel, wie bedeutungslos erscheint uns alles dies jetzt, wo es ein Bergangenes und Entschwundenes ist, wo der Schnee des Alters unsre Gluten abgekühlt,” wo die Erkenntnis; einer langen Erfah- rung unser Urtheil gereift hat, — und das ganze Leben scheint uns ein Traum, ein Schatten, der vorüberzieht, eine Wolle, die zer- rinnt, ein Schall, der verfliegt! Aber wie einerseits der Blick in die Vergangenheit uns trau- rig stimmt und verdüstert, indem sie uns die Flüchtigkeit und Nich- tigkeit des Daseins zeigt, so erhebt und erfreuet uns wiederum ander- seits dieser Rückblick. Denn durch den trüben Wolkenschleier der Bergangenheit sehen wir das Sternenlicht deiner Gottes’huld und Liebe um so glänzender hervorleuchten, wie sie erhaben über Menschenverstand und Einsicht auf Erden walten, und die Ereig- nisse lenlen und leiten, nicht nach des Erdensohns kurzsichtigen. Wünschen, sondern nach deiner ewigen Weisheit. Jetzt sehen wir erst, wie du oftmals unsre Hoffnungen hast unerfüllt, unsre Gebete hast unerhört gelassen, nur zu unserm Heile und Segen; wie du oftmals das, was wir im heißen Sehnen als unser höchstes Gut uns herbeigewünscht, uns-hast versagt, und wiederum. das, was wir als unser größtes Uebel gern hätten Von uns fern gehalten, über uns hast herbei kommen lassen, und dadurch gerade unser Glück und Wohl begründet hast. Jetzt erst erkennen wir es! Wo wir zu fallen glaubten, sind wir gestiegen, und von dem wir glaubten, es werde uns empor und in die Höhe bringen, das hätte uns dem Abgrunde zugeführt. Kein Tag unsres Lebens war ledig deines Schutzes, keine Stunde leer von deiner Huld. Mit tausend Freuden hast du uns das Herz erquickt, in allen Lagen warst du uns nahe, in allen Verhältnissen uns zur Seite. Wo- wir es am wenigsten erwarteten, kam deine Hilfe uns entgegen, find deine Gaben uns zugeströmt. Wie sollte nicht ein solcher Rückblick uns mit heiliger Gottesfreude erfüllen, wie -sollte uns nicht mit mächtigen seligen Gefühlen das Bewußtsein erheben, einen so gütigen Vater im Himmel zu haben, so geliebt, bedacht, versorgt und getragen zu werden von einer allmächtigen, alllieben- den Hand, so geführt und geleitet zu werden von einer unerforsch-- lichen Weisheit und Güte! Darum danke ich dir und preise dich, 121 Herr, für Alles, was du mir auf meinem Lebenswege hast zukom- men lassen, für das Heitere, wie für das Trübselige, denn Alles gabst du mir zum Heil! — Mögest du es mir vergeben, wenn ich im Laufe meines Daseins, bewältigt vom Drange der Ereignisse, bethört und befangen von scheinbarem Uebel, an deiner Liebe und Güte gezweifelt, und meinen Muth und mein Vertrauen in mir habe sinken lassen. Gib, Allvater, daß ich nie mehr das freudige Vertrauen in dich verliere, daß mich nie mein Muth und meine Zuversicht ver- lasse, wenn auch die Schwäche des Körpers und die Gehrechlichkeit des Alters auf mich hereinstürmen sollten. Stärke mich, daß ich, so lange ich lebe, im Stande sei, alle meine Pflichten und Oblie- genheiten genügend zu erfüllen, daß ich in meinen alten Tagen meiner Umgebung nicht zur Last falle; durch einen reizbaren und mürrischen Sinn ihnen nicht zum Anstoß und zum Aergerniß werde, und durch eine langwierige Krankheit nicht ihre Geduld erschöpfe.” Gib, daß ich durch menschenfreundliche Thaten meine letzten Lebensschritte bezeichne, und mit heiterm Bewußtsein dem großen Ruf entgegenharre, der mich hinüberfordert zu dir ins ewige Lichtreich des Jenseits. Amen. Gebet auf der Reise. „Der Ewige behütet deinen Ausgang und deinen Eingang” (Ps. 121, 8.) Gott, mein Herr, dir befehle ich meine Wege. Wo ich wandle, wo ich bin, bin ich in deinem Schutz und Schirm; ob in dem trau- ten Kreise der Meinen, oder in der unheimlichen Fremde, — ich zage und bange nicht, denn ich vertraue auf dich! Der du das Vöglein schützest auf seinem Wanderflug und es führest über unbekannte Meere und Welttheile zum ersehnten Ziel, mögeft du auch mich, die ich kindlich flehend Herz und Auge zu dir erhebe, huldvoll in deine gnadenvolle Obhut nehmen! Möge deine Liebe mir meine Wege ebnen, mich bewahren vor Bosheit und Hin- terlist, mich gnädig führen an meiner Reise Ziel, mir hilfreich bei- stehen zur Erreichung meines Zweckes, zur Ersüllung und Verwirk- lichung meiner Pläne und Entwürfe. 122 Doch, Allgütiger, nicht für mich allein erhebe ich meine Hände zu dir, im inbrünstigen Gebete vertraue ich deiner gött- lichen Fürsorge auch mein Haus und alle meine Lieben und Ang- hörigen, die ich zurückgelassen. Mögest du sie bewachen und be- schützen in deiner väterlichen Huld, von ihnen abwenden Noth und Gefahr, Schrecken und Betrübniß, daß unser Wiedersehen ein freudiges und glückliches sei. Amen. Nach einer überstandenen Gefahr. „Du hast errettet meine Seele vom Tode, Mein Auge befreit von Thränen, Meinen Fuß vom Falle.” (Ps.116, 8.) In der Enge rief ich zu dir, o Herr, und du halfst mir auf.” Angst und Zagen durchbebte meine Seele, denn Gefahr umfchwebte mich und die Noth war groß. Dank dir, mein Gott, die Gefahr ist vorüber, ich athme wieder frei; mein Herz, beengt von Furcht und Schrecken, erweitert sieh wieder, und aus beruhigter Seele steigt mein Gebet zu dir empor, der du die Fittige deiner Huld über mich ausgebreitet, und mit deiner Allmacht mich beschützt hast in der Stunde der Noth und der Bedrängniß. Gott, mein Gott, was wären wir und was würde aus uns werden, wenn dein Vaterauge nicht über uns wachen, deine Vater- hand uns nicht schützen würde in Gefahr und Noth! Wie groß, wie unendlich erhaben bist du- in deiner Güte und Liebe für uns, dein Auge wacht über uns, du hegst und trägst uns an deinem Vaterherzen, ohne dich fällt kein Haar von unserm Haupte! Nicht immer sehen wir die Gefahr, die uns umschwebt, nicht immer ken- nen wir das Uebel, das uns drohet, doch die Engel Gottes lagern rings um seine Verehrer, um sie zu erretten, und wenn wir schon dem Elende zu erliegen glauben, wenn von allen Seiten die Ver- nichtung uns umschwebt, wenn wir zur Einsicht gelangen, daß alle unsre Macht und Kraft eine nichtige ist, uns nicht zu schützen und zu retten vermag: dann sendest du dein göttlich Wort und es flie- het die Gefahr, wie ein Schatten.dahinflieht und schwindet, und es verwandelt sich die Finsterniß in Licht, die Angst in Jubel und Freude. 123 „Am Abend noch Thränen und Tranekklang. Am Morgen schon Freude und Jubelfang.” (Ps. 30, 6.) Drum, mein Gott, will ich stets dir vertrauen, mich dir weihen mit Herz und Seele, und nie vergessen, daß wie drohend und be- drängt anch unsre Lage sei, „deine Hand nimmer zu kurz ist, um zu helfen,” daß du nach deiner unerforschlichen Weis- heit und Gerechtigkeit die Loose austheilst, und daß es nur ein einziges wahres Uebel für den Menschen gibt; wenn er nämlich durch seine Sünden seines eigenen frohen Selbstbewußt- seins und deines göttlichen Wohlgefallens verlustig wird.— O daß ich niemals so unglücklich werden, daß deine Huld niemals von mir weichen möge. Unter deinem Schirme, Vater, bin ich geschützt, unter deinem Schilde geborgen immerdar. Hilf uns, Gott, und es ist uns geholfen, denn du bist unser Ruhm. Amen. Während einer Seefahrt. „Die in Schiffen gehen aufs Meer, Jn den mächtifzen Gewässern ihre Gewerbe treiben; Die schauen d e Werke Gottes und seine Wunder in den Tiesen.” (Ps. 107, 23, 24.) Ewiger, allmächtiger Schöpfer der Welt! Mit Bewunde- rung und Anbetung verliert sich mein Blick in diese Unermeßlich- keit, die sich vor mir ausdehnt! Unter diesen wogenden Gewässern, in dieser schauerlichen Tiefe bewegt sich eine Welt von Wesen, ruhet eine unergründliche Anzahl von Wundern; und alle diese Wesen, und alle diese Wunder, die da unten ihre Heimath haben, nennen dich, o Gott, ihren Vater und Meister ; sie preis en deinen Na- men und rufen deinen Ruhm und deine Größe zum Himmel hin- auf, der darüber sich hinzieht in seiner Majestät mit seinen Myria- den von Sternen und Welten, deren Glanz- und Lichtgebilde in des Meeres glatter Fläche sich tausendfach abstkahlen und wider- spiegeln. Mein Gott, wie fühle ich mich so klein, so unbedeutend in dieser un'ermeßlichen Schöpfung! Voll Demuth und Zagen frage ich mich: Was bin ich in diesem grenzenlosen All, unter dieser 124 Unzahl von Welten und Geschöpfen? Was ist der Mensch, o Gott, daß du seiner gedenkest, auf ihn deinen Blick herniedersenkest? Und dennoch hast du ihn über Alles erhoben, hast ibn „Mit Ruhm und Ehr’ und Herrlichkeit geschmückt; All deine Werke er beherrscht, besiegt, Die ganze Schöpfung ihm zu Füßen liegt. Gen-ild und Schaaf und Rind — ihm nnterwürsig sind, Der Vögel rasches Heer — die Fische in dem Meer; Selbst her Meeres Wogen — erbaut er sich der Brücke Bogen.” Ja zum Herrn der ganzen Schöpfung hast du ihn eingesetzt; selbst dem mächtigen, Ungeheuer bergenden Meere gebietet er, und macht sich aus seinen Fluthen einen Pfad, der ihn trägt und sein Hab und Gut. Doch all diese Meisters-haft des Menschen, sie bernhet in dei- ner Gnade, mein Gott, und in deiner Allliebe. Deine Hand, die trägt ihn und hält ihn, ob er dahinzieht über Berg und Thal, ob über des Meeres Wogen und Wellen; dein Licht erleuchtet ihn, deine Macht stärkt ihn, in deinem Glauben findet er die Weisheit und die Kraft zu siegen über Gefahr und Noth, über Sturm und Wogen. Doch ein Wink von dir, und es erbebt und wankt die Erde, und mit ihr der Erdensohn, es erheben sich gegen ihn die Höhen und die Tiefen, und er und sein ganzes Reich ist dahin! — O möge deine Gnade nimmer von mir weichen, und mir bei- stehen auf dieser gefahrvollen Fahrt. Und wie du die Arche Noahs auf dein Rücken mächtiger Gewässer dahin geleitet, so mögeft du auch dieses Schiff, das mich und meine Gefährten trägt, mit dei- nem allmächtigen Schutze umgeben, es sanft dahingleiten lassen über stille, ruhige Gewässer, daß es gehoben und getragen von den Flügeln eines milden und günstigen Windes uns sicher und ungefährdet zum gewünschten Ziele führe. Amen. Gebet während eines Sturmes auf der See. „Gott macht die Stürme zu seinem Boten.” (Ps. 104, 4.) Gott, mein Hort und mein Schuh, sieh, Angst durchbebt mich! Dampf und hohl tönt es herauf aus den” Tiefen des 125 Meeres, seine wilden Fluthen stürmen hoch empor, und ach, dieses schwache, schwankende Bretterhaus wird zum Spielball der sich thürmenden Wellen und Wogen. Doch fasse Muth, mein Herz, verzage nicht; inmitten der Gefahren und der Schrecknisse, die mich umdrehen, bin ich nicht allein, ist Gott der Allgewaltige, All- erbarmende bei mir. Auf den brausenden Wogen und Fluthen webt und fchwebt sein Geist, durch der Wogen wildes Toben tönt die Stimme des Herrn. „Stimme Gottes ziehet hin über die Wasser, Stimme Gottes über die mächtigen Was- ser.” Zu dir, Allmächtiger, der du gebietest den zürneuden Fluthen, der du befiehlst den wilden froh blähenden Schwingen des Sturmes, zu dir flehe ich und bete ich aus tiefer angftergrifsener Seele: Hilf uns, Vater, und stehe uns bei, gib uns nicht preis dem Verderben, laß uns nicht zur Beute werden dem Abgrunde, der uns zu verschlingen droht. Breite die, Fittige der Allmacht über unser Haupt, und führe uns gnadenvoll über die unheil- schwangeren, furchtbaren Tiefen hinweg, zum sichern Port, zum Rettungsufer ans geliebte, ersehnte Land, und alle Tage meines Lebens will ich dir danken, und wandeln stets den Weg der Fröm- migkeit und der Gottesfurcht, den Weg der Milde”und der Liebe. So mögest du mich erhören in deiner Huld und Barmherzigkeit. Amen. Rath zurückgelegter Seereise. „Sein ist das Meer, er bat es geschaffen, Und das trockene Land, das haben seine Hände geformt.” (Ps. 95, 5.) Mein Gott! Lob und Preis dir. Wieder stehe ich aus festem Boden, wieder dehnt sieh unter meinen Füßen die freund- liche Erde mit allen ihren lachenden Schönheiten aus. Aus der Tiefe meiner Seele danke ich dir, Allgütiger, der du mich so huld- reich beschützt auf der gefahrvollen Meerfahrt, wo nur ein schwaches, schwankendes Brett mich von dem Abgrunde trennte, in dessen grauenvoller Tiefe Tod und Verderben lauern. Du, o Gott, bist der Welten Herr, „über den Wassern schwebt dein Geist,” deine Gnade war mit mir. Durch Klippen und Strömungen, durch Wellen und Wogen hast du mich ungefährdet hindurch geführt. 126 Du hast die Schwingen des Sturmes gebunden, vor dessen ent- fesselter Wuth die Tiefen des Meeres erbeben, und der Mensch mit all seiner Kunst und Weisheit so ohnmächtig dasteht. Mögest du, mein Gott, ferner mit mir sein, und 1nich führen und leiten über die Klippen und Strömnngen des Lebens hinweg. Mögest du mich schützen und wahren vor den Wogen des Mißgeschickes. ! Mögest du mich hüten vor den Angriffen der Bosheit und der Ver- ” folgung, wenn sie um mich toben, wie vor den verderblichen Stür- men der Leidenschaften, wo sie in mir selber toben und brausen. Groß sind die Anfechtungen des Lebens; in uns und um uns lauscht und lauert die Versuchung zum Fehltritt und zur Sünde: Doch mit deiner Hilfe, o Gott, besiegen wir jede Versuchung, wi- derstehen wir jeder Verlockung, dein ist die Macht und die Kraft, dir gebührt Ruhm und Preis und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Während der Dürre und Regennoth. „Der Ewige wird öffnen seinen kostbaren Sohns und den Himmel austhun, deinem Boden den Regen zu geben zur rechten Zeit” (5. B. M. 28, 12.) Allmächtiger, du ließest an die Erde dein göttlich Wort er- gehen, daß sie hervorbringe allerlei Sprossen: Blumen und Blü- then, Kräuter und Früchte. Und die Erde folgsam deinem Ge- heiß, öffnet ihren Schooß und sendet ans Licht alle Keime, die in ihr ruhen. Doch siehe, mein Gott, die Gluten des Himmels ver- zehren, was die Erde hervorbringt, und lecken gierig an den Säf- ten und Kräften des Bodens, der in brennendem Durste erlechzt. Nach deinem Regen schmachtet er und seine Sprößlinge. und auch de: Mensch, mit Seh::sucht I-cickt ex is- vie Hohe, ! und folgt dem Zuge der Wolken; aber deine zürnende Hand, All- „ waltender, führt sie spurlos an uns vorüber, und hält in Riegel und Banden alle Schleusen und Quellen des Himmels. Vater, in innigem, inbrünstigem Gebete flehen wir zu dir um deinen Himmelssegen. Entziehe, o Gott, uns nicht länger diese wohlthuende Fluth, ohne die alle deine Geschöpfe müßten ver- schmachten und zu Grunde gehen. Gebiete den Wolken, daß ih- nen entströme der milde, erquickende, fruchtbringende Regen, daß unter dem erfrischenden Strom die Fluren von Neuem erblühen, 127 die Saaten sich heben und füllen, daß alles Erlechzende sich labe, das Verkümmerte sieh belebe; daß die Natur, ihrer Bestimmung- getreu, wieder eine frucht- und freudenreiche, eine freundliche, fülle- spendende Mutter deiner Geschöpfe werde, damit wieder freudig und entzückt unser Blick auf ihr hafte; in ihrem Segen und ihrem Reichthutne wieder das Walten deiner Huld und Vaterliebe wahr- nehme, und wir in ihrer wundervollen Schönheit und Blüthe den Strahl und Wiederschein deiner ewigen Herrlichkeit erschauen und verehren. Amen. Am Sterbe- (Jahrzeits-) Tage des Vaters oder der Mutter. „Brenne Lämpchen mild und rein, Hell und freundlich wie dein Schein War der Mutter Leben; Rastlos aufwärts strebie sie, Aber ach, auch schwankend. wie Deines Lichtes Beben.” (Vüschenthal.) Wenn der Gedanke an dich, du seliger Geist — meines ge- liebteu Vaters — meiner geliebteu Mutter -— gar oft mein Herz. veschäftigt, so durehzieht die Erinnerung an dich heute, an dem Jahrestage deines Scheidens aus diesem Leben, um so mehr mein ganzes Wesen mit Rührung und tiefer Wehmuth. Dieser Tag führt mich zurück in die Zeit, wo du gelebt und gewaltet hast hie- nieden, wo deine Liebe über mich gewacht mit aller Zärtlichkeit und Sorgfalt, wo ich an deinem Herzen Trost gefunden im Mißgeschick und Theilnahme und Mitgeftihl in meinen Freuden. Mir ist es, als sehe ich dich vor mir, mit deinem liebestrahlenden Angesicht, mit den Blicken voll Zärtlichkeit, und deiner Stimme Ton durch- zittert meine Seele, als ob er eben erst verklungen wäre. Gott hat dich von hinnen gerufen und mir ist nichts geblie- ben von deinem geliebteu Wesen als dein theueres Gedächtniß und die frommen Ermahnungen und Lehren, die du im Leben mir er- theilt haft. Fromm und kindlich will ich sie im Herzen bewahren und an ihnen hängen; ich will sie schätzen als das theuerste mir von dir gebliebene Vermächtniß und sie beobachten und hüten, daß sie im Leben mir niemals verloren gehen. Das Andenken an dich und ein gottgefälliger Lebenswandel das ist das heilige Band 128 das mich, die ich hier auf Erden lebe, mit dir in deinem Himmels- reiche verbunden hält und jede gute That, die du aus deiner Höhe mich hier vollführen siehst, sei dir ein Liebesband und Pfand von deines Kindes frommen Wunsch und Willen, dir zu gefallen und dich zu ehren noch im Jenseits. Und du, Allgütiger, der du Vater, Herr und Meister bist al- ler Wesen im Himmel oben und auf Erden unten, nimm die Ge- fühle meiner kindlichen Trauer wohlgefällig auf und erhöre mein Gebet: Nimm den theueren Verklärten — die theuere Ver- klärte — gnadenvoll auf an deinen lichten Himmelsthrou, im Kreise deiner heiligen Engel, um theilhaft zu werden jener unaus- sprechlichen, nie geschauten, nur geahnten Seligkeit des Jenseits. Mir aber, mein Gott, stehe zur Seite mit deiner Liebe, dei- nem Rathe und deiner Hilfe. Lege deinen göttlichen, Trost mir ins Herz und lehre mich mein Leben lang wandeln den Weg der Gottesfurcht und der Tugend, daß ich stets würdig sei deines Wohlgefallens und der Liebe der theuern Verklärten, die in deiner Nähe weilen. Amen. Am Grabe des Vaters. Gott, auf dieser Trauerstätte, wo die irdischen Ueberreste meines heimgegangenen Vaters ruhen, will ich seinem Angedenken meine kindlichen Thränen und Gefühle w”idmen. Nun ich ihn, den Theuern, verloren habe für dieses Leben, erkenne ich erst recht, wel- chen Schatz von Liebe ich in ihm besessen. Er, der treue„Führer meiner Jugend, mein Leiter, mein Warner und Berather hat mit weiser Sorgfalt für das Gedcihen meines Geistes, wie meines Leibes gesorgt, er hat meinen Verstand erleuchtet, mein Herz mit der Liebe zum Guten erfüllt; er hat für mich gestrebt und gerun- gen, sich gemühet und gequält und mit Muth und Freude den Kampf des Lebens auf sich genommen, um seinem Kinde die Freuden des Lebens zu verschaffen! O mein guter Vater, in- dem ich deiner gedenke, strömen meine Thränen und mein Herz überfließt von Liebe und Schmerz. Doch was kann dir meine Liebe nun nützen! sie kann dir nunmehr keine irdischen Freu- den und kein irdisches Glück bereiten, dir, der nun schon fern ist von allen Erdenwünschen, E-:denbedürfnissen und Er- densorgen! 129 Doch Gutes thun, Wohlthaten üben, sich das Herz veredeln, das sind Himmelsfreud en, die das Kind dem Verklärten Va- ter bereiten kann; und diese Freuden will ich dir zu bereiten suchen, indem ich in deinem Namen und in deinem Geiste das Gute übe und vollführe; das sei das Oplfer, das ich auf den Altar meiner kindlichen Liebe niederlegen wi , und möge Gott es gnädig auf- zeichnen in seinem Buche, dir zum Heile und zur Seligkeit in dei- ner Himmelswohnung. O Gott des Himmels und der Erde, wie er in väterlicher Lieb e seine Segnungen mir hinterlassen hat, so fegne ich hinwie- derum in kindlicher Liebe sein Angedenken hier vor dir, und bete zu dir für sein Seelenheil. O mögest auch du seiner geden- ken in Liebe und Erbarmen, tnögest du ihm gedenken jede gute That, jedes fromme Werk, das er im Leben geübt hat, und gnu- denvoll ihm vergeben, was er in menschlicher Schwachheit auf Er- den gefehlt und gesündigt. Und was er gelitten im Leben wie im Tode, was er getragen und geduldet hinieden, das gereiche ihm zur Sühne und Versöhnung vor dir, mein Gott, daß er theilhaft werde des ewigen Friedens und Heiles, der ewigen Glückseligkeit in deiner Gottesnähe. Amen. Am Grabe der Mutter. Hier an diesem stillen Hügel, wo du, geliebte Mutter, schläfst den Todesschlaf, der mir entriss en meine treueste Herzensfreundin, meine Erzieherin und Pflegerin, hier will ich beten zu Gott für dein Heil, hier will ich mir in frommer Erinnerung dein theueres Bild und dein mildes, engelgleiches Walten auf Erden vergegen- wärtigen, damit es nimmer in meinem Herzen erlösche — hier will ich dir und mir selber angeloben, deinen „Lehren und müt- terlichen Ermahnungen treu zu leben und stets den Weg der Tu- gend zu wandeln. Wohl weiß ich, daß das, was von dir unter diesem Hügel ruhet, nur Staub und Asche ist, daß dein wahrhaftes und wirk- liches Wesen sich aufgeschwungen hat als verklärter Geist in die heiligen Regionen der Engel, und daß dein Mutterblick überall ebenso wie hier auf dein Kind niederschauet; und doch ist mir, wenn -ich diese Stätte bettete, als ob ich dir nun näher wäre, wenn ich 130 diese Erde, die dich decket, umfafse, als Umfaßte ich einen Theil von dir, und wenn ich meine Thrünen hier vergieße, als weinte ich mich an deinem treuen Herzen aus! Mein Gott, auf dieser Asche, die mir so heilig ist, will ich mein Gebet für der theuren Mutter Seelenruhe zu dir erheben. Nimm sie, die so reich an Liebe war, deren Herz in warmer Mutterliebe schlug, sreundlich auf in drin höheres Reich der Lieb e. Ihr, die in mütterlicher ,Zürtlichkeit nicht die Opfer zählte, nicht die Mühe wog, nicht die Leiden maß, die sie freudig auf sich nahm für ihrer Kinder Wohl und Heil: -— ihr zähle du wieder nicht und träge nicht, was sie als Staubgeborne hienieden hat gefehlt und gesündigt vor dir, und wie sie der Freuden und des Segens Fülle über ihres Kindes Haupt hienieden hat ausgeschüttet, so umstrahle du in deiner Höhe ihr verklärtes Haupt mit Paradie- ses Freuden und Seligkeiten! — Und mir möge ihre Mutterliebe, deren ihre Seele stets so voll war, noch jetzt zum Segeu.gereichen, daß sie für mich und die Meinen deine Gnade und dein Erbarmen, Ewiger, ei-flehe, daß deine Liebe und deine Gotteskraft mir stets zur Seite stehe und mich führe mit milder Hand durch das dunkle Erdenthal, bis meine Seele eingehet zur Ruhe und zur Wie- dervereinignng mit den geliebten Boraugegangen. Amen. Am Grabe des Gatten. „Ich bin ein Weib mit kesechwertem Herzen, Und schütte meine Seele vor Gott aus.” (Sam. I., 1, 15.) Hierher, in die stille Behausung des Todes, ziehet mich mein Herz, das öde und traurig ist, wie dieser Ort selber. Von Grabes- nacht umfangen ruhet hier der theure Gatte, und auf seinen Hügel mögen meine heißen Thränen hinfließen, mögen meine Klagen sich ergießen in ungestörtem Lauf. Fern vom Gewühl des Lebens, entweihet hier kein fremder lick, kein theilnahmloses Wort mei- nen Schmerz; nur du, o Gott, bist hier Zeuge meines Grames, der so tief in meiner Seele sitzt, daß mir das Leben in seiner gan- zen Schönheit nun verdüstert erscheint, und all seine Freuden nur wie in einem dunklen Trauer-flor gehüllt entgegen treten. Mögest du, Allvater, mir nicht zürnen, daß ich so bitterlich klage, daß meine Seele so tief trauert über das, was du geschickt 131 und gefügt ”hast. Mein Gott, nicht ver-messe ich mich, gegen deine Schickungen zu murren und deine Wege zu tadeln. Du bist der Gott der Liebe und der Weisheit; welcher Sterblicher vermöchte dich zu begreifen und zu erfassen, wer sich erkühnen, dein Walten zu richten und zu dir zu sagen: Was thust du da! Was du thust, ist wohlgethan, und ich bete dich im Staube an und verehre in Demuth deinen unerforschlichen Rathschluß. Doch kann ich gebie- ten meinem Herzen, daß es nicht empfinde das Mißgeschick, kann ich sagen zum Schmerz: „Fliehe mich,” zu meiner trauernden Seele: „Sei heiter.” Und wie sollte meine Seele nicht trauern, da ihre Schwester- seele von ihr geschieden, wie sollten meine Augen sieh nicht mit „ Thränen füllen, da meiner Tage glänzendstes Gestirn erloschen ist, da meines Hauses Pfeiler und Stütze gebrochen, meines Lebens Blüthe und Schmuck hingewelkt und meines Herzens Theuerstes dem Moder preisgegeben ist! — Doch nein, sein irdischer Theil bloß, der Körper nur, die Staubeshülle ward zurückgegeben dein Staube, von wannen er ist genommen, doch sein edleres Jch, sein unsterblicher Theil, sein Geist lebt fort mit all seinem Denken und Fühlen, mit all seiner Treue und Liebe. — „Es kehrt der Staub zurück zur Erde, von wannen er ist genommen, und der Geist steiget empor zu Gott, der ihn gegeben.” Also steht es geschrieben in deinen heiligen Schriften. — Daran will ich mich halten. Der Gedanke sei Trost in meiner Trauer, und Balsam für die Wunde meines Her- zens, daß der Tod nicht ganz das Bündniß unsrer Herzen kann aufgelöset haben, und wie meine Liebe ihm folgt ins Jenseits , wird auch er segnend und liebend niederblicken aus mich und meine Kin- der, die er verwaist hinterlassen hat; wie ich betend mein nasses Auge zu dir, mein Gott, erhebe, um die Himmelsseligkeit für ihn zu erflehen, wird er hinwieder dein Erbarmen und deine Gnade anrufen für unser Heil hienieden, und so werden unsre Seelen sich begegnen an deines Thrones Stufen! Mein Leben aber, das nun seines irdischen Schutzes entblößt ist, meine Kinder, die ihres Vaters und Verpflegers, ihres Führers und Vertreters beraubt sind, vertraue ich dir, allgütiger Vater im Himmel, der du ein Vater der Waisen, ein Sachwalter der Witwen bist in deiner heiligen Höhe. Laß deine Liebe mich umsahen, deine Allmacht mich kräftigen, deine Allweisheit 132 mich erleuchten, daß ich stark und muthig durchs Leben schreite, daß ich die Pflichten und Aufgaben, die in doppeltem Maße auf mich fallen, mit männlichen! Geiste und weiblichem Gemüthe ver- eint zu erfüllen verstehe, um meinem Haufe mit Berstand und Kraft vorzustehen und allen seinenBedürfnissen zu genügen. Amen. Gebet einer Mutter am Grabe ihres Kindes. Blickt weg von- mir, ich muß bitterlich ” weinen.” (Jef. 22, 4.) „Gott, wie bist du allgewaltig in deiner Macht, furchtbar in deinem Gerichte!” Du streckst deine Hand aus und es verlischt der Sonne Glut. Du sprichst — und es er- bebt die Erde in ihren Tiefen; du lässest wehen deinen Hauch —- und es bricht zusammen die riesige Ceder, und die grünende Flur, erst aufgesprossen und aufgebläht, wird zur dürren trostlosen Ein- ödei Und der Mensch, ach, voll lieblicher Jugend, voll grünender Hoffnung, sich schlingend und rankend ums glückliche Leben: — Du sendest aus den ernsten Boten des Todes, und siehe, die Meu- - -schenblume weilt, dorrt und zerfällt in Staub! Unter diesem Hügel ruhet meine Herzensblume, mein Fleisch und Blut, mein innerstes Leben, mein Kind. — Vergebens wäre es, wollte ich wehren meinem Schmerze hervorzubrechen, meinen Thränen hinzuströmen. Du, o Gott, der du des Menschen Jnneres geschaffen und gebildet, du weißt wohl, was einer Mutter ihr Kind ist, du weißt, wie das Mutterherz mit allen Lebensfädeu und Fibern ihr Kind umschlingt und umschließt, und wenn der Tod die kalte Hand legt an das Kind, es ihr von der Seite reißt, dann reißt er auch das ganze Herz der Mutter blutend wund. Darum zürne nicht, o Herr, meinem Schmerze, habe Erbar- men mit meinem Leid und gieße deinen göttlichen Trost mir. ins Herz, gib mir Kraft zu tragen, und zu entsagen dem, was du mir entziehest. „Du hasts gegeben, du hafts genommen, dein Name sei gelobt!” Gewiß ist Alles, was du thust, wohlgethan; deiner Allweis- heit verborgenen Gang, wie könnte des Menschen beschränkter Sinn ihn ergründen wollen! Dunkel und unerforschlich ist dein Wal- 133 ten, doch was du auch über uns verhüngst, es ist zu unserm Heile. Du bist ja unser Vater und wir deine Kinder, du unser König und wir dein Voll, du unser Hirte und wir deine Heerde — wie solltest du etwas Anderes über uns beschließen, als das Heilvolle. So laß mich denn, mein Gott, in deiner Liebe und Treue meinen Trost finden. Laß mich durchdrungen sein von den erheben- den, besänftigenden Lehren und Worten deiner geheiligten Reli- gion. Stärke mich in dem seligen Glauben, daß du mein verklürtes Kind liebevoll und freundlich in deine himmlischen Wohnungen hast hineingenommen, um seine reine Seele zu entziehen der Sünde und den Verirrungen dieses Lebens, es zu bergen vor Erdenschmerz und Trübsal. So laß, Allgütiger, mein Kind als lichter Engel auf mich herabschauen, daß sein verklärtes Bild mir stets vorschwebe; laß seine Stimme mich warnen, wenn ich in Gefahr bin vor dir zu fehlen; laß sein Auge mir strahlen, wenn ich etwas Verdienstliches geübt, und laß mich einst von ihm empfangen, wenn du mich einst heimberusen wirst in dein Himmelreich. Amen. Aus dem Grabe eines Verwandten. „Der Mensch ist dem Hauche gleich- seiue Tage dem Schatten, der vorüberwallt.” Theure (r) Hingeschiedene (r), du warst mir werth und lieb im Leben, und ich komme aus deine Ruhestätte, um deiner verklär- ten Seele im Jenseits noch meine Gefühle der Liebe zu zollen, und hier zu Gott für deinen ewigen Frieden zu beten. Möge der Allgütige meine frommen Wünsche für dich erhören, möge deinen Gebeinen sanfte Ruhe, und deinem Geiste des Himmels Selig- keiten und FreudenfülIe werden! Hier„, in dieser stillen Behausung des Todes, sollte der Mensch sich oft ergehen, um stets der Nichtigkeit alles Irdischen sich bewußt, und seiner höhern Bestimmung auf Erden eingedenk zu bleiben. —— Was ist das ganze Erdenleben! Eine Spanne Zeit und wir stehen am Grabe. Unser Lebensweg, ob er mit den Blüthen der Freude und des Genusses sich bekränzt, und das Glück und der Reichth1nn mit uns Hand in Hand wandelt, oder ob er 134 uns ein blumenloser Steinweg ist, von Unglück umdunkelt, von Dürgigkeit verödet: wohin führt er anders als an die Pforten des odes! Und diese öffnen sich für uns, ob wir in der Blüthe jugendlicher Schöne, oder von Alter geknickt da stehen. Das Reich des Todes nimmt uns auf, und wir werden zu Moder und Asche; und das, womit wir so oft in thörichtem Dünkel groß ge- than, in Stolz und Hochmuth geprunkt, und darüber so oft das Edle und Bessere vergessen und verachtet haben — sinkt in Trüm- mer und Verfall. Doch nur die Hülle sinkt zusammen, aber das eigentliche We- , sen bleibt unvergänglich; die morsche Hütte bricht, aber der Geist steigt aus in seine ewigen Wohnungen des Jenseits! Wohl ihm, wenn er seiner Bestimmung getreu seine Erdenpilgerschaft voll- bracht hat; wenn er in allen Kämpfen und Mühen des Lebens nie sein ewiges Heil außer Acht gelassen; wenn er gereinigt und ver- klärt, begleitet von Werken der Liebe und Gerechtigkeit, zur ewi- gen Herrlichkeit eingeht! — Lerne du, mein Herz, hier das Leben würdigen, lerne ge- brauchen die Tage des Glückes, wie die Tage des Mißgeschickes zum Heil und zur Bildung deines unsterblichen Geistes, damit ich ohne Bedauern und Reue am letzten meiner Tage darauf zurück- blicken kann, und meine Seele in Frieden und Seligkeit zu meinen Vorfahren eingehe. Dies sei dein Wille, Herr, mein Gott, dazu gib mir deinen Segen und deine Kraft. Amen. Am Laubhüttenfest beim Kreisgang mit dem Lulaw und Esrosg. „Jch wasche meine Hände in Reinheit Und umringt deinen Altar, o Ewiger” (Psalm 26, 6.) Herr des Weltalls, reich geschmückt mit deinen Gaben und Segnungen hast du die Natur. Das Thal mit seinem üppigen Grün, der Berg mit seinem Kranz von Wäldern, das Gefilde mit seiner lachenden Frucht ist ein Erzeugnis; deiner Gnade, zum Se- gen deiner Menschenkinder, zur Nahrung ihres Leibes, zur Stil- lung ihrer Bedürfnisse, zur Ergi5tzuug ihres Auges, zum Balsam 135 ihrer Wunden; und kein Blättchen ist so klein, kein Grashalm so niedrig in dem weiten Reiche der Natur, daß es nicht wohlthuende heilsame Kräfte für uns enthielte. Die einfache Stande und der prangende Baum, das duftende Reis und die goldene Frucht, Alles ruft uns zu: „Lobe, o Erdensohn, den allmüchtigen Herrn, der so Wundervolles hat geschaffen; lobe, Menschenkind, deinen himm- lischen Vater, der so alIgütig dich versorgt!” — Und mit Lob und Preis und Dank ergreifen wir diesen Feststrauß, der viererlei Er- zeugnisse der Natur, dieses kleine Abbild der reichen Mannigfal- tigkeit der Erde, diesen Berkünder deiner Allmacht und Güte, o Gott, und heben und wenden ihn nach allen Welt- und Himmelsge- genden; denn überall, in allen Enden und Ecken der Welt, wächst und sprießt uns dein Segen empor; und lobsingend umkreisen wir damit deinen Altar. Doch, Herr, nicht nur unser Mund soll dir danken, nicht nur unsere Lippen dir lobsingen; sondern durch Thaten der Frömmig- keit und der Liebe wollen wir dich verehren und anbeten. Wie du liebend uns beschenkst, wollen wir mild und liebreich der Armen neben uns gedenken; wie du freundlich uns Festtage des Segens und der Freude spendest, wollen wir durch erqnickende Gaben des Dürftigen Herz erfreuen und festlich stimmen. Dies sei unser Dank, das unser Festop,ser, das du huldvoll von uns annehmen mögest. Gebet am Neujahrs- und Versöhnungsfeste und vor Alenu. Gott, dich seh ich überall, Wohin auch mein Auge schaut, Von den Bergen, aus dem Thal Tönet mir der süße Laut: „Eines Gottes weise Hand „Hat die Himmel ausgespannt, „Schuf den En el und den Wurm, „Frühliugshauch und Wintersturm.” (Salomo.) Du hoher, Erhabener! In Demuth und Ehrfurcht beuge ich mich vor dir, dessen Herrschast durch alle Zeiten, durch alle Welten geht. Mein Herz, von Dank und Liebe erglüht, bringt dir sein Lob- und Preislied dar! Wie groß und hehr bist du! 136 Das All entstand auf deinen Wink. Deine Hand legte die Grundfeste der Erde, spannte darüber aus den sterndurchwirkten, strahlenden Himmelsteppieh, deine Hand bildete, dein Hauch be- lebte, was da athmet und sich regt; deine Liebe einzig und allein ist es, die Alles hegt und trägt, schützt und schirmt! Du einzig und allein im Himmel und auf Erden, — ist es deine Macht allein, die in donnernden Wogen des Meeres Fluten sehleudert, und den sengenden Samum durch die Wüste führt — das Ster- nenheer seine xiedliche Bahn leitet, und zur Erde schicket den wohlthätigen onnenstrahl. Du einzig und allein, immer- dar und überall. Wo ich bin, und wohin ich blicke, finde ich dich, du Einziger, Ewigherrlicher, du Schutz und Hort- des Alls! Drum beugt sich vor dir allein mein Knie, bete ich dich im. Staube an; schaut zu dir mein Auge auf in jeder Noth, wie in jeder Freude meines Lebens; trage ich zu dir hinauf alle Wünsche und alle Hoffnungen meines Herzens. Wie unglückselig sind jene, deren Herz so verstockt ist, dich nicht zu fühlen, deren Geist so blind, dich nicht zu schauen, dich nicht in deinen Werken, dich, den Unsichtbaren, nicht in seiner s ichtb ar en Natur zu erkennen, in diesem Spiegel und Widerschein deiner Herrlichkeit und Größe. O öffne die Augen denen, die nicht sehen, reinige die Herzen derer, die pour Taumel der Leiden- schaft befangen, nur dem Götzen der weltlichen, eitlen Freuden huldigend, von dir sich abgewendet haben! daß alle Weltbewohner zu dir zurückkehren; alle von der Erlenntniß deiner Herrlichkeit beseligt werden; alle Knie vor dir sich beugen, alle Herzen dir zu- fliegen; alle Lippen in dein Lob und Preis sich ergießen; daß dein Name, du Einziger, Ewiger, Wundervoller gefeiert und gerühmt werde durch alle Zeiten und Räume. Amen. Challa-Gebet חלה Vater im Himmel! Nach deinem Wägen Gebot sondere ich die Hebe von meinem Teige ab. Es mahnet mich diese fromme Sitte nicht nur an die Vergangenheit unseres Volkes, wo unsere Vorfahren ihre Erstlinge alle freudigen Herzens auf deinen Altar niederlegten, sie tnahnet mich auch, daß wir auch heute noch auf 137 den Altar der Liebe und der Menschlichkeit gottgefülIige Opfer niederlegen können. Wenn wir den Hunger des Dürftigen stillen, seiner Noth abhelfen, seinen Mangel lindern, seine Nahrnngosor- gen erleichtern, dann bringen wir dir, der du ein Vater der Armen und Bedrängten bist, unsere Opfer bar. So nimm denn, hinnnlischer Vater, diese Hebe wohlgefällig an, und mache mein Herz fest und treu, daß auch da, wo du größere und schwerere Opfer heischst, ich in Glaubensfreudigkeit willig und bereit sei, sie dir darzubringen. Segne, Gott, uns das tägliche Brod, daß wir es in Ehren und ohne Kummer gewinnen, und sein Genuß uns Segen und Gedeihen bringe, damit wir in Fülle der Gesundheit und Kraft uns des Lebens und seiner Güter freuen, frohen Muthes und heitern Geistes dein Lob, du Spender alles Guten, anstimmen, und allen unseren Pflichten uns ungehindert hingeben können. ברוך אתה יי אלהינו מלך העולם אשר קדשנו במצותיו וציונו להפריש חלה Gelobt seiest du, Herr unser Gott, Könige der Welt, der du uns durch deine Sagnngen geheiligt, und die Abscheidung der Hallah uns geboten hast. Hagbahm Gedi-ist dein: cinparheden der ans’ges1eliten Sporn, nach der Vor- lesung aus derselben. *) Dteß ist die Thora. dießsdas Wort- Das Gott uns hat gegeben, Daß ivir’s bewahren fort und fort Und tragen’s durch das Leben. Weis auf, Volk Juda, hoch sie aus, Du darfst mit Stolz sie zeigen, Sie ist gekauft unt hohen Kauf, Um hohen Kauf dein eigen. *) Von Dr. Kiefer. 138 Du gabst ja hin für dieses Gut, Was nur der Mensch besitzet; Glück, Habe, Freiheit, Ehre, Blut Hast du darum versprihet. Dies ist das himmlische Panier, Um das wir muthig stritten- Und tausend Tode haben wir Um dieß Panier gelitten. Gott, unser König, Gott der Macht! Du gabst es unsern Ahnen, Berloren haben wir die Schlacht, Doch hier sind unsere Fahnen. Die Kämpfer sanken un: sie her, An Menge nicht zu zählen; Doch ließ der Rest sich nimmermehr Zu feigem Abfall quälen. Es qnoll Verderben rings hervor, Wir schwammen durch die Fluthen, Hoch hielten wir die Fahn’ empor, Aus Lavastromes Gluthen. Wohl Mancher ward, in sie gehüllt, Den Flammen übergeben, Wohl Mancher ließ auf diesem Schild Durchbohrt sein tapf'red Leben. Der Feind schoß Pfeile, Feuer, Gift In nie gestü1tem Streite, Wir retteten die Gottesschrift, Sonst Alles ward zur Beute. Drum heben wir sie freudig auf, Wir dürfen kühn sie zeigen, Sie ist gekauft um hohen Kauf, Um hohen Kauf und eigen. 139 Die Kämpfer ruh'u, doch würden ste Je wieder uns erreichen, Sie sollen's finden, daß wir nie Von unsern Fahnen weichen. Eine Legeude, aus dem Menorath Hamaor, zur Erbauung, am Versöhuungstage, zur Zeit des Mussaphgebetes. 1) Ueber Juba war gekommen eine Zeit der Noth und Schmach, Salomonis heil”ger Tempel tief in Schutt und Asche lag, Reich an Trümmern, leer an Menschen, .lag Jerusalem zerstört, Doch die Glaubenstreue hatte nicht im Volke aufgehört. Da begann der Heidenlaiser eines Tags mit wildem Spott: „Will doch sehen, ob sie halten fest an ihrem alten Gott; Bringt mir her die fromme Mutter, die, wie jüngst man mir gesagt, Lebt mit ihren sieben Söhnen, gläubig, fromm und um-erzagt!” — Und die fromme Mutter führen sie, gleich einer Sünderin, Jst Geleite ihrer Söhne vor den Thron des Kaisers hin, Und er spricht zum ült”sten Sohne: -,Siehst du jene Erzgeftalt? Das ist meines Gottes Bildnis, beuge dich vor ihm alsbald!” Doch es gibt zur Antwort Jener: „Uusre heil’ge Schrift gebeut: „Jch der Herr, ich bin dein Gott, der aus Eghpten dich befreit, Keiuen andern Göttern sollst du weihen im Gebete dich, Keinem Götzenbild dich beugen, denn dein Gott allein bin ich! 2) Also sprechend ward der Jüngling weggeführt zu Qual und Tod, Und der Herrscher d’rauf dem Zweiten: „Opfre diesem Gott!” gebot; Doch der sprach: „Wer andern Göttern dienet als dem Herrn allein Soll vertilgt mit seiner Sünde von dem Erdenrunde sein.” 3) Tödten ließ auch ihn der Kaiser und befahl mit kaltem Hohn: ”Kniee zum Gebete nieder nun du.dritter frommer Sohn! ” „Jm Geseß,” erwiedert dieser, „steht — wie du auch zornig bist: „Höre, Israel, der Ew’ge, unser Gott, der einz’ge ift!” 4) 1) Von L. Liber. 2) 2. B. M. 20, 2-5. 3) 2. B. M. 22, 19. 4) 5. B. M. 6, 14. 140 Wenig Augenblicke später fiel er durch des Henlers Schwert, Und vom vierten Bruder Jener nun den GövendIenst begehrt, Doch es spricht der Jüngling gläubig: „Ehre nur dem Herrn gebührt, Jhn nur bet’ ich an, der gnädig aus der Knechtschast uns gesührt.” 1) Also sprach er, sest umschlungen von des nächsten Bruders Arm, Und so litten Beide freudig bald des Martertodes Harm. Jetzt gebot dem sechsten Sohne auch der Kaiser grausig wild: „Zögre nicht und tvirf dich nieder hier vor meines Gottes Bild!” Ruhig doch entgegnet Jener: „Lieben soll ich immerdar Meinen Gott von ganzer Seele, ihn den Herrn nur tren und wahr.” 2) Kaum verhallten seine Worte, da auch strmte hin sein Blut, Als ein neues Opfer blinder. gräßlicher Tyrannenwuth. Und den letzten Sohn der Mutter rief der Kaiser zu sich hin, Jhn, den Jüngsten, einen Knaben, der mit kindlich reinem Sinn In des Herrschers fjnst’res Auge blickte ohne Furcht und Scheu, Jugendfrische in dem Antlitz, in dem Herzen Lieb’ und Treu’. „Lieber Knabel” sprach der Kaiser mit vers’tellter Freundlichkeit, „Du gewiß bist vor dem Bildnis dich zu neigen wohl bereit!” „Jn der Schkift,” so rief der Knabe, „steht: Erkennt und glaubt die Lehr’: Gott im Himmel und aus Erden ist der Herr, und keiner mebr.” 3) Und der Kaiser bittet hastig: »Sieh, vom Finger wers’ ich hier Diesen gold’nen Ring zu Boden, nimm’ ihn aus und bring” ihn mir, Daß, wenn du nach ihm dich bückest, doch das Volk sei überzeugt, Hättest mein Gebot ersüllet, dich vor meinem Gott gebeugtl” Da beginnt das Kind zu weinen, und zum Herrscher draus es spricht. „Wie? du scheust dich vor den Menschen und ich sollte doch mich nicht Eürchten selbst vor Gott, dem König aller Kön’ge, der die Welt insi erschuf sammt allen Wesen, dessen Allmacht sie erhält?” Zornentbrannt befiehlt der Kaiser: „Schlagt ihn an den Pfahl geschtvindl” Doch die Mutter küßt noch einmal brünstig ihr geliebtes Kind, Läßt noch einmal ihn, den Knaben, in den Mutterarmen ruh’u, Und von ihren Lippen tönen schmerzersüllt die Worte nun: 1) 5. B. M. 4, 39. 2) 5. B. M. 5, 6. 3) 5. B. M. 4, 89. 141 „Liebe Kinder, wenn ihr droben Vater Abraham geschaut, Saget ihm, er habe einen Altar für den Sohn gebaut; Doch ich hätte der Altare sieben anfgerichtet heut’, Hätte meine sieben Söhne d’ra.uf dem Opfertod geweiht” „Schwer geprüft von meinem Gotte, hab’ ich doch das tiefe Weh Seiner Prüfung lett bestanden, Preis und Lob ihm in der Höh’!” Und die Mutter fchwieg, da kiffen grausam sie das Kind ihr fort, Und bald Unterlagen Beide, Kind und Mutter schnödem Mord. — Diistern Grimmes saß der Wlith’rich, als fein Henker es vollbracht, War doch unbesiegt geblieben echter Glaubenstreue Macht Da ertönte eine Stimme aus des Himmels Höh’ herab: „Ihrer ist das ewige Leben nach der dunklen Erde Grab!” Dans für die Genesung.*) 1. Gott, Vater der Natur! Du Urquell alles Lebens! - , Auf dich hab' ich gebaut lind hoffte nicht vergebens. In Krankheit und Gefahr Hilft deine .Baterl)and; Sie süllt der Schmerzen Pein, Sie hemmt des Fieberd Brand. 2. Als mich der Krankheit Wirth Aufs Jammerlager brachte, Als ich die Tage zählt’, Die Nächte lang dnrchwachte. Als fast mein Aug' erlosch — Und Mund und Wang' erblichr Da flehi’ ich, „Herr! zu dir, lind du erhörtesi mich. *) und Islishne שירי ישירון 142 3. Du strön1test Ruh' ins Herz, Und Kraft in meine Glieder. wi Mein Auge sieht die Welt Und deine Sonne wieder; Mein Ohr vernimmt dein Lob I Ja Garten, Wald und Flur; Mein Mund stimmt zum Gesang Der feiernden Natur. 4. Gott! ewig soll der Dank Von meinen Lippen fchallen. Hilf mir, nach deinem Wort Dnrch's Pilgerleben wallen! Und bin ich einst am Ziel: So leite deine Hand Den mir empfohl’nen Geist Jn’s bessre Vaterland. — 143 Ein Wort an die edlen Mütter und Frauen in Israel. Ehe diese Blätter der Presse übergeben werden, kann die Verfasserin derselben es nicht unterlassen, noch ein Wort daran zu knüpfen über einen Gegenstand, der auf’s Tiefste in die Speichen der menschlichen Gefittung und des mensch- lichen Geschickes eingreift: dies ist über die Erziehung unserer Töchter. Je bescheidener die Stellung ist, die die Frau in der gesellschaftlichen Verfassung einnimmt, um so bedeutungs- voller ist dagegen ihre Stellung in den Räumen ihrer Häuslichkeit, und desto einflußübender und weitreichender ihr Wirkungskreis in ihrer Doppelaufgabe als Gattin und Mutter. Denn die Gattin ist es, die dem Leben des Mannes erst den wahren Werth und die echte Weihe verschafft. Den 144 Fleiß des Gatten soll sie durch ihr wirthliches Walten erst zum wahren Segen bringen, das Haus, das er baut, soll sie mit emsiger kunstreicher Hand zieren und ausfchmücken, es durch Freundlichkeit, Milde und Wohlthätigkeit zu einer segensreichen und gefegneten Stätte machen. Sie soll es verstehen, mit sanften Worten allen Groll und Unmuth von seiner Stirne zu scheuchen," und seine Freudenstunden zu erhöhen und zu versüßen; durch verstcindige Rede den ra- schen auflodernden Zorn des Mannes zu bew(iltigen und seinen oft unbeugfamen, oft unverföhnlichen Sinn zu Tha- ten der Milde und Versöhnlichkeit zu neigen. Sie soll ihm eine treue Gefährtin im Kampfe des Lebens sein; eine freundliche Trösterin in den trüben Tagen des Unglücks; überall und immerdar der fürforgliche Engel seines Da- seins. Und welch ein bedeutungsvoller Wirkungskreis eröff- net fich erst vor ihr in ihrer Eigenschaft als Mutter! Jn der That, unberechenbar„ist die Tragweite der weib- lichen Leistungen als Mutter und Erzieherin ihrer Kinder. Aus den vier Pfählen ihrer Hciuslichkeit dehnet sich in dieser Beziehung ihr Wirkungskreis über ganze Generatio- nen und Geschlechter aus. —- Das Kind in den ersten Jahren seines Daseins, wo sein kleines Herz, weich wie Wachs, sich bilden und modeln läßt, von wem empfängt es anders die ersten Eindrücke als von der ”zårtlirhen Mutter, die es stets umgibt, die es pflegt und wartet. deren Ausspruch ihm ein Orakel, deren Blick ihm ein Himmel ist. Ihr Lied, ihr Wort, ihre Mahnung und ihr Beispiel dringt durrh alle Poren der jungen Seele, und bildet dort die Quelle des Guten, der Tugend und der Religion, die ihm Heil bringet fürs ganze Leben, und 145 durch ihre Strömungen noch fernem Geschlechtern zum Segen gereicht. Der Vater hat keine solche Macht über des Kin- des Herz, denn sein Beruf hält ihn oft fern vom Hause; die Sorgen des Erwerbs und Verkehrs halten zu oft seine Gedanken gefangen, auch fehlt ihm meist jene Sanftmuth, Weichheit und Milde, die nur dem weiblichen Gemüthe eigen ist, und unter deren warmen Hauch das zarte Reis sowohl gedeiht. Doch nur ein edles Herz und ein gebildeter Geist ver- mag diesen heiligen Doppelberuf der Frau vollständig zu erfüllen, und es bedarf einer gar sorgsamen Anleitung und Erziehung, damit unsere Töchter einst als Priesterinnen an dem Altare ihres Hauses so beglückt und beglückend walten mögen. Eine derartige Erziehung ist eine Aufgabe, deren Lö- sung viele Kenntnisse, viel Klugheit, ja sogar viel Weis- heit erfordert nebst einem richtigen Takt und unermüdlicher Ausdauer. Denn wie der Sämann in die Furchen der mütterlichen Erde mannigfache Saaten und Keime legt, und ihr derart die verschiedensten Früchte entlockt, und alle ihre vielfachen Kräfte zu unserm Nutz und Frommen wirk- sam macht: sv muß der Erzieher in den jungen Boden, dessen Pflege ihm anvertraut ist, mannigfachen Samen streuen, und alle in ihm schlummernden Kräfte zum Gebei- hen bringen. Während wir die Hand in kunstreicher Füh- rung der Nadel und in sonstiger haushälterischer und prak- tischer Betriebsamkeit üben, müssen wir auch auf die freie Entwicklung des Geistes wirken. Doch während wir den Zweigen der Industrie unsere Aufmerksamkeit widmen, und den Geist durch Bildung schmücken und mit Kenntnissen 146 aller Art bereichern, dürfen wir auch das nicht vergessen, was der eigentliche Grundstein alle: Gesittung ist, und ohne das alle Kenntnisse und alle Bildung des Geistes nur der uns fernstehenden. winterlichen Sonne gleichen, die wohl Licht und Glanz, aber keine Wärme spendend, - ihre Strahlen unerquicklich und unwirksam über die Ge- filde streift — dies ist die Veredlung des Herzens, die Hebung und Kräftigung der religiösen Ge- fühle! Aber leider wird dies in der Gegenwart nur zu sehr hintangesetzt! Das Aeußerliche und Schimmernde wird gepflegt, aber das Herz mit allen seinen Blüthen und Kei- men wartet man nur mit nachlässiger Hand, und überläßt es ruhig der Zeit, was sie aus ihnen bilden wird, ob süße, erquickende Früchte, oder Unkraut, oder gar Giftpflanzen. Die Lehre der Religion wird nur nebenbei, nur als Form- und Nebensache behandelt! Und doch ist der Adel der Ge- fühle und die tiefsinnige Religiosität der höchste Schmuck der Frau. Sie gießen über ihr ganzes Wesen jenen unver- gänglichen Zauber und Liebreiz aus, der ihr alle Herzen gewinnt; sie geben allen ihren Eigenschaften und Talenten erst den wahren Werth; im Verein mit ihnen werden die- selben erst ein Segen für ihr Haus und für die Welt, für die Gegenwart und für die Zukunft! — Darum, ihr edlen Mütter in Israel, sorgen wir da- für, daß dieser hohe Schmuck unsern Töchtern nicht ent- gehe. Machen wir es ihren Erziehern zur ersten Pflicht, daß sie durch den erhabenen Unterricht von Gott und sei- nen Wundern die Herzen derselben veredlen; daß sie vor ihnen aufrollen die Geschichte und Geschicke unserer Vor- 147 fahren, und ihre Seelen erfüllen mit treuer, ausopfernder Anhänglichkeit an ihr Volk, und mit glühender Liebe für die Menschheit; begleiten wir unsere Töchter in das Haus des Herrn, wo Predigt und Gesang und Gottesdienst einen veredelnden Einfluß auf das.weibliche Gemüth üben, seine Gefühle heiligen, und zur tiefinnigen Verehrung Gottes füh- ren. — Aber, um bei diesem Gottesdienste mit segensreichem Erfolg sich betheiligen zu können, daß die frommen Klänge und Gesänge unserer Gotteshäuser veredelnd und erhebend an die Saiten des weiblichen Gemüthes antönen, thut auch wie- der eins vor Allem Noth. Es ist die Kenntniß und das Verständniß unserer heiligen Gebetsprache. Denn ohne das hören wir dort nur Wörter, aber keine Worte, dringen uns die Töne blos zum Ohre, aber nicht zum Her- zen, und wir beten nur mit den Lippen, aber nicht mit der Seele. Die heiligen Gesänge Zions, die herrlichen Psalmen eines David, die erhabenen, seelenvollen Gebete Jsraels bleiben für uns ein versiegeltes Buch. Aber, warum sollten unsere Töchter, die auf Klavierspiel und Oper.ngesänge, auf Erlernung von Sprachen, die nur die Sitte und Mode der Zeit erheischt, so viel Zeit und Fleiß verwenden, nicht auch jener heiligen Sprache, der ehrwür- digen Mutter aller Sprachen, täglich eine Stunde weihen- da sie doch der Schlüssel zu jenen Schätzen des Geistes und des Herzens ist, die Gott in seinem Buche, das wir so bezeichnend das Buch der Bücher nennen, niedergelegt hat? —— Nicht auch der Erlernung jener Sprache einen kleinen Theil ihrer Zeit widmen, die noch immer das Band ist, das die durch alle Länder der Welt zerstreuten Glieder Jsraels zusammenhält? In allen Gegenden der Erde, in Cincinnati und in Bombay, in Tunis und in Warschau, 148 in Wien und in London tönt noch immer aus den jüdischen Tempeln die Sprache, in der einst Gott vom Sinai redete! — Mit den Gefühlen echt weiblicher Religiosität paare sich ein erhebendes Nationalgefühl.. Unsere Töchter sollen lernen mit Stolz und Selbstbewußtsein den Namen Jfrae- liten tragen. Sie follen den wahren innern Werth ihres Volkes erkennen und sich’s bewußt werden, daß die Ge- brechen, die manchen traurigen Figuren das Verhängniß wirklich ausgeprägt hat, so wie die Sehmach, die nur Bos- heit oder Vorurtheil uns anzuheften bestrebt ist, sich end- lich im Strome der Zeiten rein waschen wird und muß. Sie sollen sich’s bewußt werden, daß es eine Entwürdi- gung ihrer selbst wäre, wenn sie srch schämten, einem Stamme anzugehören, der so groß als irgend einer in der Geschichte dasteht, und dessen Blätter reich sind an glänzenden Helden, edlen Männern, aufopfernden Märty- rern. Es soll ihr Trost, ihr Streben, ihre Begeisterung sein, durch ihr Gemüth und ihren Wandel über jeden Tadel fich zu erheben, und sich als echte Töchter des Vol- kes zu bewähren, das inmitten eines jahrtaufend-langen Kampfes gegen mancherlei tieffchmerzliche Anfeindungen sich doch den Segen eines frohen, häuslichen Sinnes und einer edlen Sittlichkeit wahrte. Aber auch auf ihre Umgebung wollen wir unsere be- sondere Aufmerksamkeit richten, wollen verhüten, daß kein zweideutiges Wort, keine verletzende Handlung die reine Harmonie ihrer Seele störe, kein unreiner Hauch den klaren Spiegel ihrer Herzen trübe. Doch wodurch schützen wir zumeist den frischen, sich 149 eben aufschließenden Kelch der jungfräulichen Blume vor dem Gifte des Verderbens? Indem wir sie strenge jenen Gesellsehaften entziehen, wo rücksichtslos jeder Gegenstand verhandelt wird; wo über Gott und die heiligsten Lebensverhältnisse leichtsinnig, freigeisterisch abgeurtheilt wird; wo über die Begeistrung für Recht und Wahrheit, über die erhabensten Gefühle als eine läeherliche Schwärmerei gespottet wird, und derart der göttliche Funke in dem jungen Herzen erstickt, der Strahl, der ihr Leben verklärt, verdunkelt werden muß. — So werden wir sie auch unbedingt jene Orte meiden lassen, wo die Klatschsucht ihre Sonde an alle Spalten und Fugen im Charakter und Wandel des lieben Nächsten legt, scho- nungslos jeden Fleck und Makel offenbart, und die ge- sihc"tftige Verläun1dung das ihrige hinzuthut. — Oder, wo der Ton jener Galanterie herrscht”, der durch süße Schmei- chelstimmen das Ohr so verwöhnt, daß dafür der kräftige Klang der Wahrheit verletzend wird und sie nicht hören mag; oder gar jene Galanterie, die verderbliche aufregende Bilder in die Seele trägt und den ruhigen Schlag des Herzens freberisch aufregt. Wir müssen ferner streben, daß keine Macht über sie gewinne die verderbliche Lesewuth der Romane, diese Seuche des Jahrhunderts, wo ohne Wahl und Takt Alles gelesen wird, was die Neuzeit bringt, Produkte, von denen die meisten die Phantasie aufregen und überspannen, die Begriffe von echter reiner Weiblichkeit verwirren und schwä- chen, und die gerade jene Vergehungen, die den strengsten Bannstrahl verdienen,- mit dem Schleier der Nachsicht be- decken, oder gar in einen Nymbus gehüllt erscheinen lassen. Wohl sollen wir unsere Töchter unter Menschen führen, 150 aber unter solche, bei denen sich ihre Herzen in fröhlicher harmloser Offenheit erschließen können und ein gleichtönen- des Echo finden. Wir sollen ihnen eine Umgebung suchen, wo eine reine Natürlichkeit, ein frommes unschuldsvolles Herz geschätzt und heilig gehalten wird; wo ihnen das Bild weiblicher Würde und Tugend in seiner anmuthigen Gestalt entgegentritt, sie zur Nachahmung und Wetteifer beseelt, und ihr geistiges Auge an das Edle und Schöne gewöhnt. Wohl sollen wir ihnen Bücher geben, aber gewählte, von dem streng prüfenden Blick einer verständigen Mutter oder Erzieherin auserlesen. Wir haben deren ja so viele, die Herz und Geist erheben und bilden; die Gegenwart ist reich genug an Schriften, der gewandten Feder geistreicher Autoren entflossen, die sowohl die Belehrung als das Ver- gnügen der jungen Lesewelt zum Zwecke haben. Vor Allem aber wollen wir ihnen als edles Bei- spiel der Bescheidenheit, der Genügsamkeit, des häuslichen Waltens, der innigen Anhänglichkeit an Gott und Volk und Glauben, und der treuen Erfüllung aller unserer Pflich- ten vorangehen, und sie lehren, in einem höhern Streben als in dem nach Luxus und eitlem Tand ihr Vergnügen und ihren Genuß suchen. Wenn die Bildung unserer Töchter eine derartige Pflege erhält, dann dürfen wir hoffen. daß mit ihnen das Glück einziehen werde in ihr eheliches Haus, daß Freude und Wohlergehen darin seinen bleibenden Wohnsisz nehmen- der Geist des Friedens und der Eintracht, der Geist des Edelmuths und inniger beseligender Religiosit(’it darin herrschen werde. 151 Allein dem Reichen und Bessergestellten ist es ein Leichtes, für seine Töcht"er eine vollständige Geist und Herz bildende und veredelnde Erziehung zu erlangen; denn er hat die Mittel, ihnen tüchtige Erzieher und Erzieherinnen zu geben, die mit Weisheit und Umsicht das Heil ihrer Zöglinge erstreben. Oder er vertraut sie der Obhut von Töchterschulen an, wo vielfache Lehrkråfte sich vereinend, ihre hohe Aufgabe zu lösen sorgsam bemühet sind, und seit und unermüdlich ihrem Ziele zuschreiten. Derart ist für die Vermöglichen gesorgt. Was sollen jedoch die Mittellosen oder gar die Armen beginnen, denen nicht weniger, ja noch dringender, ein verständiger Unter- richt Noth thut? Nützliche Kenntnisse könnten ihnen eine Ver- sorgung eröffnen, ihnen einen heitern Lebensweg anbahnen, während ohne dieselben die Armen an ihre Dürftigkeit und ihr Elend ewig gefesselt bleiben. —— Drum, wenn unter allen humanistischen Geburten der Neuzeit die Lehr- und Erziehungsanstalten für die weibliche Jugend die meiste Würdigung gefunden, und ihre segens- reichen Wirkungen allenthalben unverkennbar sind: so sind doch jene die preiswürdigsten, deren Stiftungen dahin lauten: die Mittellosen unentgeltlich aufzuneh- men, und die derart, wie die Sonne den Höhen und Nie- derungen ihre lebenspendenden Strahlen in.gleichem Maße sendet, so über Reiche und Arme die Wohlthaten und Segnungen ihres Unterrichtes gleich ergießen! Ihre Stif- ter haben sich in ihnen ein Denkmal gesetzt, das sicherer als alle Monumente von Gold und Marmor ihre Namen vereinigt. Aber leider haben nur sehr wenige unserer Gemein- den derartige Anstalten. Jch kann mich deshalb nicht er- 152 wehren, hier den Wunsch auszusprechen, daß diejenigen Menschenfreunde und -Freundinnen, denen des Armen Wohl am „Herzen liegt, die gern durch fromme Spenden Lust und Freude in die dunklen Hütten der Dürftigen bringen, und ihnen nicht nur momentane Abhilfe ihrer schreienden Nahrungssorgen, sondern eine gesicherte Aussicht in die Zukunft verschaffen wollen:” daß diese warmen und edlen Herzen sich vereinen möchten, um in ihren Gemeinden solche Institute zu gründen, daß sie an den Bau dieses edlen, heilbringenden Werkes energisch die Hände legten, und auf diesem Altare ihre Opfer dem Herrn darbråchien, auf welche der Ewige gewiß segnend und wohlgefcillig niederblicken würde. Die Versasserin. Drud von Gebrüder Raß in Dessau. Dessau. Drud von Gebrüder Raß.